Editorial

Tataa!

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René Jaun, Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)
René Jaun, Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)

Seit meiner Kindheit haben mich von allen Computern jene am meisten in den Bann gezogen, die Klänge von sich gaben. Das hat natürlich mit meiner Behinderung zu tun: Ich war als Teenager schon stark sehbehindert. Logisch, dass mich da die visuellen Fähigkeiten der Geräte nicht interessierten – abgesehen vielleicht von ein paar Bildschirmschonern mit ihren ständig wechselnden Farben.

Generell hörte ich Computern also lieber zu: Anfangs (zu Zeiten des Microsoft-Betriebssystems MS-DOS) liess ich den Ein-Ton-Lautsprecher unseres PCs alle möglichen Tonfolgen plärren. Die Aufrüstung auf ein Gerät mit Microsoft Windows (und vor allem der Einbau einer Soundkarte) empfand ich als akustische Revolution. Der Start-Jingle des Microsoft-Systems passte da perfekt: Es war das sicherlich vielen von Ihnen bekannte "Tataa!"

Wirklich arbeiten konnte ich mit dem damaligen Windows übrigens so gut wie nicht. Denn dem Microsoft-Konzern war damals das Thema Barrierefreiheit so gut wie egal. Es waren spezialisierte Unternehmen, die mit allerhand Tricks probierten, die neuartige grafische Windows-Oberfläche für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Mir finanzierte die IV zum Eintritt ins Gymnasium einen Screen-Reader einer dieser Drittfirmen – und auf einmal wurde für mich zumindest ein Teil der Windows-Welt nicht nur zugänglich, sondern richtig angenehm nutzbar: Tataa!

Schon mit Windows 2000 lieferte Microsoft ebenfalls einen Screen-Reader mit. Allerdings war "Narrator" in seiner Funk­tionalität so eingeschränkt, dass blinde Personen damit nicht produktiv arbeiten konnten. Angesichts dessen, was ein Unternehmen mit Microsofts Mitteln hätte entwickeln können, war das Produkt mehr als jämmerlich.

Doch wundersamer Weise hat sich das Blatt inzwischen gewendet. Es habe mit dem CEO-Wechsel zu Satya Nadella angefangen, erklärte Tricia Fejfar, Partner Director of User Experience bei Microsoft Digital, in einem Unternehmensblog. Nadella, der einen Sohn mit ­zerebraler Lähmung hat, habe sich für einen stärkeren Fokus seines Unternehmens auf Barrierefreiheit eingesetzt. Seither spiele das Thema im Unternehmen eine wesentlich wichtigere Rolle.

Und ja, ich als blinder User spüre die Auswirkungen dieser Neuausrichtung deutlich. Drei Beispiele: Der "Narrator"-Screen-Reader ist inzwischen so gut, dass eine Drittlösung in vielen Fällen nicht mehr nötig ist. Microsoft investiert in die Entwicklung von "Seeing AI", eine App für blinde Menschen, die ich beinahe täglich zum Lesen gedruckter Texte nutze. Und wer sich bei der letzten Ausgabe der ­Microsoft-Konferenz "Ignite" wunderte, warum sich manche der Speaker nicht nur mit ihrem Namen vorstellten, sondern auch kurz ihr Aussehen beschrieben, weiss nun warum: Microsoft versuchte auch hier, ein ansonsten verborgenes Element für blinde Menschen zugänglich zu machen.

Natürlich macht das Unternehmen in puncto Accessibility längst nicht alles richtig. Aber angesichts dessen, dass sich Microsoft jahrelang keinen Deut um Barrierefreiheit geschert hat, ist es erstaunlich, wie viel sich diesbezüglich geändert hat und wie schnell. Ich bin gespannt, was ich noch alles von Microsoft höre. Tataa!

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