Editorial

Nicht jede Automatisierung spart automatisch Zeit

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Kevin Fischer, Redaktor, Netzmedien. (Source: Netzmedien)
Kevin Fischer, Redaktor, Netzmedien. (Source: Netzmedien)

Viele Automatisierungen versprechen primär Zeitersparnis. Niemand baut Autos so effizient zusammen wie Roboter; kein Mensch löst ­mathematische Probleme so schnell wie ein Computer; sogar einfache Spamfilter sparen viel Aufwand. Aber automatisiert bedeutet nicht automatisch zeitsparend: Ist etwa das Ergebnis ­eines automa­tisierten Prozesses zu faszinierend, kann die Ersparnis auch schnell zum Verlust werden, wie ein Beispiel aus der Netzmedien-­Redaktion zeigt.

Im Rahmen unserer täglichen Arbeit stolperten wir über eine künstliche Intelligenz, die aus Texten Bilder kreiert – ein Konzept, das zwar nicht neu ist, aber uns komplett in seinen Bann zog. Die Website heisst "Nightcafé". Mit Wörtern beschreibt man der KI, was sie verbildlichen soll, wählt einen Stil wie "Ölgemälde", "düster" oder "Anime" und der Algorithmus kreiert ein Bild. Was dabei he­rauskommt, ist tatsächlich selten das, was man sich vorstellt – was zu Frust, aber auch zu unerwartet witzigen oder beeindruckenden Resultaten führen kann. Von "sorgenfreies Nilpferd, das durch das All schwebt" bis zu "Kermit hat einen mentalen Zusammenbruch" fütterte die Redaktion der KI alles, was ihr in den Sinn kam, und amüsierte sich über die Resultate.

Der Reiz ist vergleichbar mit dem, den ein Kind beim Drücken des Knopfes empfindet, der die Bustür öffnet. Und auch die Konsequenzen sind vergleichbar: Drückt man ständig auf den Knopf, verhindert diese Automatisierung, dass der Bus weiterfahren kann. Ähnlich erging es der Redaktion an dem Tag, an dem sie Nightcafé entdeckte: Parallel zur täglichen Arbeit versuchten wir ständig, uns gegenseitig mit Ideen für Bilder auszustechen und etwa "Beethoven spielt ein Kazoo" mit einem "Nazgûl in der Karaokebar" zu übertrumpfen.

Unterdessen ist die Nutzung dieser KI Routine – und fördert sogar die Produktivität. Sie dient nun dazu, hin und wieder in kurzen Pausen den Kopf zu durchlüften und die Kreativität anzuregen. Vielleicht kann diese Geschichte Firmen als Inspiration dienen, die damit kämpfen, dass Mitarbeitende neu eingeführte Tools zu wenig nutzen: Ein kleines Gamification-Element mit zufälligem Resultat oder Ähnliches könnte dazu motivieren, auch neue und unbekannte Tools öfter zu nutzen – insbesondere, wenn sich Mitarbeitende zusammen an diesen Resultaten erfreuen können. Am Ende steckt in jedem von uns das Kind, das immer wieder auf den Knopf drücken möchte, um zu sehen, was passiert.

An das Erlebnis mit der Bild-KI Nightcafé werde ich künftig genauso oft zurückdenken wie an viele andere Momente mit dem grossartigen Netzmedien-Team. Es sind solche erinnerungswürdigen Ereignisse und Geschichten, die meinen Abschied vom Verlag besonders schwermachen. Diese Netzwoche-Ausgabe ist meine letzte. Am 1. November startet für mich ein neuer Lebensabschnitt in einem neuen Unternehmen. Auch wenn das Kind in mir schon neugierig da­rauf ist, welche Knöpfe es am neuen Arbeitsplatz wird drücken dürfen, werde ich meine Zeit hier und besonders meine Kolleginnen und Kollegen schmerzlich vermissen.

Ich bedanke mich beim Team, bei Chefredaktor Marc Landis und bei CEO Heinrich Meyer für alles, was ich erleben und lernen durfte. Ich wünsche ihnen und der geschätzten Leserschaft alles Gute und viel Erfolg für die Zukunft. Man liest sich.

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