Was Klarträume, innere Schweinehunde und Nilpferde mit KI zu tun haben
In Aarau hat am 16. Mai 2024 zum zweiten Mal die "visiONstage" stattgefunden. Im Aarauer Kultur- und Kongresshaus drehte sich dieses Jahr alles um künstliche Intelligenz und wie sie die Zukunft verändern wird.
Am 16. Mai ist im Aarauer Kultur- und Kongresszentrum die "visiONstage" über die Bühne gegangen. Ganz nach dem Event-Motto "Experience the future now" machte um neun Uhr ein Android den Auftakt. Von der Grossleinwand blickte ein weiblicher humanoider Roboter dem Publikum entgegen, der vielleicht den ein oder anderen an die Androidin Ava aus dem Film "Ex Machina" erinnerte. Der Roboter begrüsste die Gäste und konfrontierte sie zugleich ein erstes Mal mit dem Thema künstlicher Intelligenz (KI) und ihren Auswirkungen auf die Menschheit. Durch den Tag führte jedoch ein echter Mensch, der Basler Radio- und Fernsehmoderator Daniel von Wattenwyl. Zusammen mit Stefan Büttler und Michel Laubscher, den Organisatoren und Managing Partnern von Edgewind, eröffnete er die zweite "visiONstage". Bevor es überhaupt richtig losging, machte Laubscher dem Publikum bereits den krönenden Abschluss des Tages schmackhaft. Man habe ein Bier kreiert, dessen Zutaten mit KI zusammengestellt worden seien. Doch ob man den Gerstensaft auch wirklich geniessen könne, werde sich erst am Tagesende zeigen.
Die Organisatoren Michel Laubscher und Stefan Büttler, Managing Partner von Edgewind, eröffneten den Event, Moderator Daniel von Wattenwyl führte durch den Tag. (Source: Frédéric Waltenspiel)
Der erste Gast des Tages war der Aarauer Stadtpräsident Hanspeter Hilfiker, der die Gäste im Saal auf den Tag einstimmte. Er brachte unter anderem die Konsequenzen von KI und die Zusammenarbeit der Menschen ins Spiel und wie Städte auf technologische Entwicklungen reagieren könnten.
"Wir sollten keine Angst davor haben, von Grösserem zu träumen, Darling"
Mit der Frage, wie die Zukunft mit künstlicher Intelligenz aussehen könnte, beschäftigte sich auch der erste Vortrag des Tages. Nico Perony, AI Founder und Director of AI Research bei Unity, malte zunächst ein düsteres Bild. Angesichts der globalen Erwärmung, ideologischen Kriegen, der Bedrohung durch nukleare Waffen und Pandemien scheine den Menschen keine rosige Zukunft bevorzustehen. Die Menschheit stehe aktuell am Scheideweg: Sie könne entweder alles vermasseln oder die Weichen für eine strahlende Zukunft stellen. Um eine möglichst gute Zukunft für möglichst viele Menschen zu schaffen, benötige man nun Bausteine wie künstliche Intelligenz: "The only way out is through", oder zu deutsch: "der einzige Ausweg ist mittendurch". In diesem Zusammenhang sprach Perony vom "effektiven Akzelerationismus", einer Philosophie, die eine möglichst schnelle und unbegrenzte Entfaltung des technologischen Fortschritts, insbesondere KI, propagiert. Seine Einschätzung lautete: Die Menschheit könne nur eine positive Zukunft aufbauen, wenn sie mithilfe von KI schneller werde. Es sei denkbar, dass sich die Menschen immer mehr zu Orchestratoren entwickeln, die der KI Input geben, aber die Agenten die Arbeit ausführen lassen. Erste Anwendungsbeispiele sehen wir ja bereits heute dank Tools wie ChatGPT, Microsoft Copilot oder Gemini von Google.
Nico Perony, AI Founder und Director of AI Research bei Unity. (Source: Netzmedien)
Trainiere man nun künstliche neuronale Netze darauf, etwa in Games neuen Content zu halluzinieren, sei alles möglich. Die Linie zwischen Realität und Spiel würde verschmelzen - die Grenze bilde unsere eigene Vorstellungskraft. Bislang sei Technologie jedoch noch zu wenig persönlich, sie müsse erst in der Lage sein, mit unseren Gedanken, Gefühlen und Gehirnen zu verschmelzen. KI könne dabei als Übersetzungsebene funktionieren. Einen Prototypen einer Gehirn-Computer-Schnittstelle gibt es bereits in Form des "Halo" von Prophetic AI, der auf dem multimodalen KI-Modell namens Morpheus 1 des Unternehmens läuft. Dabei handle es sich um ein Gerät, das zum Klarträumen, auch bekannt als luzides Träumen, anregen soll - man denke an dieser Stelle an den Sci-Fi-Film "Inception", in dem Leonardo DiCaprio über Träume ins Bewusstsein anderer Menschen vordringt. In diesem Fall mutiere das Gehirn immer mehr zum Spiel, wobei die Simulation zwar noch auf einem Computer läuft, aber vollständig in unser Bewusstsein integriert ist. Solche immersiven Anwendungen und Spiele befinden sich laut Perony auf Kollisionskurs. Die KI träume und bringe alles miteinander in Einklang. Schlussendlich sei Konvergenz das Wichtigste überhaupt und dazu benötigen wir Technologie. Menschliche Gehirne seien noch unfähig, global zusammenzuarbeiten. Doch wenn wir unsere Realität auf eine KI-gestützte Realität ausweiten könnten, seien wir dazu in der Lage und würden uns um eine Realität bereichern, die von Empathie statt von individuellen Zielen angetrieben werde.
Nach diesem Blick in die Zukunft präsentierte Laubscher den ersten Live-Tool-Tipp des Tages: Suno AI, ein KI-Tool, das auf Textprompts basierende Musiklieder ausspuckt. So kreierten die Veranstalter übrigens auch den offiziellen Soundtrack zur zweiten visiONstage.
Den inneren Schweinehund trainieren
Ebenfalls über das menschliche Gehirn, wenn auch nicht ganz so futuristisch, sprach der Heilpädagoge und Neuropsychologe Wolfgang Maier. Ein "geiles Thema" sei die Neuropsychologie, meinte er scherzend. Uns Menschen unterscheide im Grunde nicht viel vom Affen. Wir seien jedoch in der Lage, meistens jedenfalls, unsere Triebe zu kontrollieren. Er erklärte, dass Menschen durch ihre Kindheit in ihren späteren Erfahrungen geprägt werden; so lernen wir etwa aus Konsequenzen, entwickeln Rollenvorbilder und erlangen Einsicht - auch wenn letztere bei manchen ein Leben lang nicht einsetze. Grundsätzlich liessen sich zwei Formen des Denkens unterscheiden: die Assimilation und die Äquilibration. Bei der Assimilation haben wir demnach als Kinder im Gehirn ein Netzwerk aufgebaut, das auf Erfahrungen mit Menschen in unserer Umgebung basiert und wir sind in der Lage, Neues zu integrieren. Äquilibration bedeute, dass wir unser eigenes Muster anpassen würden, damit dieses mit der Zukunft kompatibel sei - dabei würden wir uns neu "kalibrieren". Der Homo habilis habe nur überlebt, weil er sich erfolgreich seiner Umwelt angepasst habe - das gleiche gelte für uns.
Wolfgang Maier, Heilpädagoge und Neuropsychologe. (Source: Frédéric Waltenspiel)
Unternehmen erwarteten nun aber immer häufiger mehr von ihren Mitarbeitenden als diese überhaupt leisten könnten. Ein Blick in die Arbeitswelt und psychiatrische Behandlungszentren zeige einen deutlichen Anstieg bei den akuten Erkrankungen und Hospitalisierungen. Die Arbeitsunfähigkeitstage gehen nach oben. Ein Aspekt, der in dieses Phänomen hineinspiele, sei die Steuerung unserer Aufmerksamkeit. Maier wies darauf hin, dass wir unsere Aufmerksamkeit häufig nicht genügend steuern. Bei der Aufmerksamkeit handle es sich um einen Verstärker, den wir eigentlich gezielt steuern könnten. Nur wenn wir dies täten, seien wir in der Lage, Selbstverantwortung und Freiheiten aufzubauen. Gerade bei Kindern sei es wichtig, dass Eltern ihre Verstärker kontrollierten, denn sie selbst seien dazu nicht in der Lage - konkret bedeute dies Smartphone-Auszeiten und Süssigkeiten-Regulationen. Studien hätten gezeigt, dass Kinder, die ihre Bedürfnisse besser regulieren können, später erfolgreicher sein werden. Neurofeedback, eine computergestützte Art der Verhaltenstherapie, könne Menschen dabei helfen, ihre bewusste Selbstregulation zu verbessern. So zeige Neurofeedback unter anderem an, wenn Biomarker für ADHS, Stress und Ängste oder Depression und Burnout im Gehirn vorlägen. Zu Demonstrationszwecken holte Maier einen Zuschauer auf die Bühne und legte ihm ein entsprechendes Gerät an, das live seine Gehirnwellen mass. Wer nun schon kritisch seine eigenen Verhaltensmuster hinterfragt, sei beruhigt. Den inneren Schweinehund könne man trainieren, sagte Maier, und das in jedem Alter. Natürlich werde es "bei alten Eseln" schwieriger.
Computer der Zukunft
Gestärkt nach der ersten Kaffeepause ging es mit dem Vortrag von Alexandra Beckstein, CEO und Co-Founder von Qai Ventures, weiter. Sie richtete mit ihrem Vortrag den Blick wieder in Richtung Zukunft: "Quantum - and why you should care". Dabei konzentrierte sie sich ausschliesslich auf die positiven Aussichten und die technologischen Seiten des Themas Quantencomputing. Beckstein forderte die Gäste auf, sich eine Zukunft vorzustellen, in der man bspw. genau vorhersagen könne, welches Medikament im eigenen Körper wirksam sei und dass dieses genau auf einen zugeschnitten produziert werden könne. Mit unseren jetzigen Computern sei dies noch Zukunftsmusik. Zwar könnten Computer auf technologischer Ebene komplexe Berechnungen bereits ausführen. Diese dauerten jedoch aufgrund der Komplexität der mathematischen Probleme noch unglaublich lange. Wenn ein klassischer Computer etwa eine Milliarde Jahre rechnen müsse, könne ein Quantencomputer viele Probleme in wenigen Sekunden berechnen. Mehr zu Quantencomputern und wie sie funktionieren lesen Sie hier.
Alexandra Beckstein, CEO und Co-Founder von Qai Ventures. (Source: Frédéric Waltenspiel)
Doch Quantencomputer befinden sich immer noch in ihrer Entwicklungsphase. Es gebe nicht nur wissenschaftliche, sondern auch Ingenieursprobleme zu beantworten, bevor man von einem Quantenvorteil sprechen könne. Dies sei wahrscheinlich erst in den kommenden acht bis zehn Jahren der Fall. Beckstein rechnete weiter damit, dass mit der Weiterentwicklung der Quantencomputer auch künstliche Intelligenz nochmals einen Boost erhalten. KI nutze schliesslich Modelle, die immer grösser und physikalisch irgendwann nicht mehr rechenbar sein werden. Dann könnten Quantencomputer zum Einsatz kommen. Anwendung finden erste Quantencomputer bereits, wie an der Universität Basel, wo sich das erste kommerziell nutzbare Modell befinde. Dieses werde unter anderem bereits für Logistik- und Finanzprobleme genutzt. Zwar investierten vermehrt Unternehmen wie Qai Venters in Start-ups im Bereich Quantencomputing. Vorangetrieben werde die Forschung aber primär an den Universitäten, wobei die Software- und Algorithmen-Entwicklung in Europa stattfinde.
Bevor es mit der letzten Session des Vormittags losging, präsentierte Laubscher das zweite Live-Tool des Tages: Runway. Mit dem KI-Tool liessen sich bspw. ganz einfach 2-D-Bilder animieren.
Der patrouillierende Roboter auf BMX-Rädern
Für Bewegung auf der Bühne sorgte auch Alessandro Morra, CEO und Co-Founder des ETH-Spin-offs Ascento. Er brachte ein Modell des Ascento Guard mit, einem Überwachungsroboter auf Rädern. Der Guard sauste während des Vortrags jedoch nicht non-stop über die Bühne, sondern setzte sich gemächlich hin und richtete seine kreisrunden Augen in Richtung Publikum. Zunächst sprach Morra über Technologie und wie sie die Arbeit von Menschen beinflusst. In vielen Bereichen sei die Technologie den Menschen bereits voraus. So könne KI repetitive Arbeiten bereits besser ausführen und wie das Beispiel der Autoindustrie zeigt, bauen Roboter mittlerweile ganze Autos zusammen. Die Robotik habe sich in den vergangenen Jahren extrem schnell weiterentwickelt und zwar soweit, dass Roboter bereits Arbeiten in unstrukturierten Umgebungen ausführen können - man denke dabei an den Laufroboter Anymal. Wichtig sei jedoch die Learning Based Contorol. Roboter werden laut Morra heute nicht mehr auf jede einzelne Situation spezifisch programmiert. Stattdessen definiere man Ziele und versuche anschliessend, den Roboter in einer Simulation lernen zu lassen. Man müsse ihm dabei aber beibringen, was richtig und wichtig sei.
Alessandro Morra, CEO und Co-Founder des ETH-Spin-offs Ascento. (Source: Frédéric Waltenspiel)
Der Ascento Guard habe bereits gelernt, über alle möglichen Terrains zu fahren - er balanciere, fahre Gefälle hoch und runter und nehme präzise seine Aufgaben wahr. Auch falls er mal einen Platten einfahre, wisse er, wie er sich zu Verhalten habe. Der kleine Wachroboter komme inbesondere für Sicherheitsaufgaben wie Patroullien auf grossen Firmengeländen zum Einsatz. Die verantwortlichen Peronen müssten dem Guard dazu spezifische Aufgaben zuteilen, den Rest erledigt er dann alleine. Sicherheitsrelevante Vorfälle melde der Guard umgehend an die Zentrale weiter. Künftig denkbar ist, so Morra, dass solche Überwachungssysteme mit mehreren Inputsystemen kompatibel sind - wie etwa eine Kombination von Drohnen, Kameras und Robotern, die dadurch komplexere Patroullien durchführen könnten. Besucherinnen oder Besucher, die nun bereits ein Auge auf den Roboter geworfen hatten, musste Morra allerdings enttäuschen. Den Ascento Guard gibt es nicht einfach zu kaufen. Stattdessen vermiete das Unternehmen seine Roboter an seine Kunden, die dem Roboter einen Namen verleihen dürfen. Und wer die leise Befürchtung hegte, dass der Asento Guard sein Gesicht aufgezeichnet hatte, konnte Morra beruhigen. Der Überwachungsroboter besitze keine Gesichtserkennungsfunktion.
Während die ersten Bäuche bereits grummelten und darauf warteten, mit Essen verköstigt zu werden, gab es noch einen kleinen Publikumswettbewerb und eine Kurzvorstellung der Breakout-Sessions am Nachmittag. Alle Speaker durften kurz auf die Bühne und für ihren Vortrag die Werbetrommel rühren. Zur Auswahl standen Sessions von North C Datacenters und dessen Partner Phoenix Systems, Datahouse und Fernao Somnitec. Die Besucherinnen und Besucher konnten in einem Saalvoting ihre Stimme ihrem Favoriten abgeben - und dann ging es auch bereits ab in die Mittagspause.
Über Mittag wurden bereits erste Stimmen laut, die nach dem KI-Bier riefen. Doch es galt: Zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen. Das Bier werde erst ab 16.00 Uhr verteilt. Dafür konnten sich die Gäste ein weiteres KI-Tool notieren: den Leia Pix Converter, ein Tool für die Bildbearbeitung mit 3-D-Effekt.
Wenn Drohnen über Strommasten surren
Den Auftakt am Nachmittag machte Konrad Zöschg, seines Zeichens CIO der nationalen Netzgesellschaft Swissgrid. Er brachte dem Publikum das Thema Transformation dank Innovation näher, konkret, wie Betreiber von kritischen Infrastrukturen dank Technologie neue Wege beschreiten können. Zöschg erklärte anfangs, dass das Übertragungsnetz, auch Transportnetz genannt, das Bindeglied zwischen Stromproduktion und -verbrauch darstellt. Das Netz transportiere Strom in alle Regionen der Schweiz und gleiche die Energie aus Produktion und Verbrauch stets ab und prüfe, wie viel Leistung im Netz hänge. Treten nun bspw. unvorhergesehene Unwetter auf, können diese für Schwankungen in der Stromproduktion und im Verbrauch sorgen und hohe Kosten verursachen, führte Zöschg weiter aus. Diese Kosten werden schlussendlich an den Endverbraucher weiterverrechnet. Um solche Massnahmen möglichst gering zu halten, nutze Swissgrid IoT-Sensoren an ihren Masten, welche die Betreiberin über mögliche Probleme informieren.