Wie sich GenAI auf Schweizer Unternehmen und ihre Angestellten auswirkt
Dall-E, Midjourney, ChatGPT, Copilot, offene LLMs, RAG – seit zwei Jahren wird die digitale Welt von einer KI-Flut überrollt. GenAI ist überall und durchdringt Gespräche, Medien, Software, digitale Anwendungen und IT-Umgebungen. Um das Phänomen zu verstehen und die aktuellen Auswirkungen auf Schweizer Unternehmen zu analysieren, verglich die Redaktion die Ergebnisse mehrerer Umfragen.
Seit November 2022 hat der Einsatz von KI erheblich zugenommen. Umfragen in der Schweiz zeigen, dass eine Mehrheit der Berufstätigen diese Tools heute für ihre Arbeit nutzt, auch wenn die Ergebnisse je nach Studie unterschiedlich ausfallen (55 Prozent der Fachkräfte laut IMD, 82 Prozent der Wissensarbeiter laut Microsoft).1,2
Experimentieren und Vorausdenken
Allerdings sind die Zahlen deutlich tiefer, wenn man Geschäftsführer befragt. So gaben in einer Umfrage von PWC nur 16 Prozent der Schweizer CEOs an, dass sie GenAI in ihrer Organisation eingeführt haben.3 Dieser Unterschied lässt sich darauf zurückführen, dass Mitarbeitende GenAI-Tools entweder inoffiziell nutzen (Shadow AI) oder dass sie nicht wirklich unternehmensweit zur Anwendung kommen. In vielen Organisationen wird generative KI derzeit nur experimentell eingesetzt und ist auf bestimmte Rollen und Funktionen beschränkt. So geben lediglich 6 Prozent der Schweizer Banken an, dass sie KI operativ einsetzen, aber 32 Prozent haben erste Anwendungsfälle oder führen Pilotprojekte durch, wie aus dem jüngsten EY-Barometer hervorgeht.4
Obwohl Schweizer Unternehmen mehr mit KI experimentieren, statt sie in der Breite einzuführen, erwarten sie grundlegende Veränderungen. 53 Prozent der Schweizer CEOs gehen davon aus, dass generative KI die Art und Weise, wie ihr Unternehmen in den nächsten drei Jahren Werte schafft, generiert und erfasst, erheblich verändern wird. Auf globaler Ebene glauben 59 Prozent der von Gartner befragten CEOs, dass KI in den kommenden drei Jahren einen bedeutenden Einfluss auf ihre Branche haben werde (gegenüber 21 Prozent im Jahr 2023)5.
Die Anwendungsbereiche verändern sich
Während frühere KI-Projekte hauptsächlich auf die Automatisierung interner Prozesse und die Entscheidungsfindung abzielten, interessieren sich Unternehmen heute in erster Linie für generative KI in den zwei externen Bereichen Marketing und Kundenservice sowie für die unterstützte Programmierung im IT-Bereich. Laut einer aktuellen Umfrage von MSM Research sind die Inhaltserstellung und Kundeninteraktionen (Verkauf, Marketing, Chatbots) die beiden beliebtesten KI-Anwendungen in Schweizer Unternehmen.6
Laut einer Umfrage der ETH Zürich unter den Swissmem-Mitgliedern gehen Schweizer Industrieunternehmen davon aus, dass KI in den Bereichen Marketing und Kundenservice häufiger zum Einsatz kommt als in der Produktion und Lieferkette. Sie rechnen zudem damit, dass LLMs stärker zum Einsatz kommen als Computer Vision – eine Schlüsseltechnologie der Industrie 4.0.
Das Ziel bleibt dasselbe
GenAI verändert also Prioritäten und Projekte. Wo klassische und generative KI zusammenkommen, ist beim erwarteten Nutzen. Fast alle Umfragen zeigen, dass Schweizer Unternehmen vor allem damit rechnen, durch KI produktiver zu werden, das gilt auch für GenAI. Die Mehrheit der Schweizer CEOs geht davon aus, dass diese neuen Werkzeuge ihre Effizienz und die ihrer Mitarbeitenden steigern werden. 29 Prozent erwarten eine höhere Rentabilität ihres Unternehmens, gegenüber 16 Prozent, die einen Umsatzanstieg erwarten.3
Während das Ziel offensichtlich ist, ist der Weg dorthin weit weniger klar. Die Mehrheit der von Microsoft befragten Fachleute in der Schweiz ist besorgt über die Quantifizierung von Produktivitätssteigerungen, und 60 Prozent der Führungskräfte befürchten, dass ihr Management keinen Plan und keine Vision für den KI-Einsatz hat. 49 Prozent der von Gartner befragten Führungskräfte sehen die Schwierigkeit, den Wert von KI zu schätzen und zu demonstrieren, als eines der grössten Hindernisse für ihre Implementierungspläne an. "GenAI wirkt wie ein Katalysator in der Verbreitung von KI in Unternehmen", kommentiert Leinar Ramos, Senior Director Analyst bei Gartner. "Dies schafft einerseits ein Opportunitätsfenster für KI-Führungskräfte, andererseits ist das auch ein Test, ob sie in der Lage sein werden, diesen Moment zu nutzen und in grossem Umfang Wert zu schaffen."8
Teams müssen neu zusammengestellt werden
Zu den Zweifeln, ob das Ziel erreicht werden kann, kommen Ängste über die Auswirkungen von KI auf die Arbeit hinzu. In einer aktuellen Umfrage von EY gaben drei Viertel der Befragten in der Schweiz an, dass KI einige ihrer Aufgaben übernehmen werde.9 Eine mögliche Konsequenz ist, dass Arbeitsplätze abgebaut werden. Die Chefs sehen das aber nicht so oder sagen es zumindest nicht: Nur 1 Prozent der von PWC befragten CEOs glaubt, dass der KI-Einsatz die Mitarbeiterzahl verringern werde.3 Die vom IMD befragten Schweizer Arbeitnehmenden sind hingegen sehr gespalten: Ein Drittel glaubt, dass die KI-Welle Arbeitsplätze schaffen werde und ein Drittel meint, dass sie Arbeitsplätze abbauen werde.1
Ob Arbeitsplätze verschwinden oder entstehen – die Umfragen kommen alle zum Ergebnis, dass sich die Arbeitswelt verändern wird. "Nach Einschätzung unserer Experten gibt es keinen Weg, den ‹signifikanten Veränderungen› zu entkommen, die durch das Aufkommen von GenAI-Technologien auf dem Arbeitsmarkt ausgelöst werden. Die bevorstehende Reorganisation unserer Arbeitsumgebung wird die Beratung und Unterstützung von Experten erfordern, um erfolgreich zu sein", schreibt das IMD in seinem Bericht.1
Die Studien befassen sich mit zwei Aspekten dieser Umgestaltung der Teams. Erstens eine zunehmende Bedeutung der IT in der Belegschaft. Die Mehrheit der befragten Schweizer Fachleute ist der Ansicht, dass Spezialisten für KI und maschinelles Lernen sowie Data Engineers und Data Analysts in den nächsten drei Jahren eine wichtigere Rolle in ihren Organisationen und allgemein in der Schweiz spielen werden.1 Das ist ein Problem angesichts des Fachkräftemangels in diesen Bereichen. 68 Prozent der von der ETH Zürich befragten Schweizer Industrieunternehmen geben an, dass sie nur eingeschränkten Zugang zu den Fachkräften haben, die sie für ihre KI-Initiativen benötigen.7 Und 55 Prozent der von Microsoft befragten Schweizer Führungskräfte machen sich Sorgen, dass sie die benötigten Talente für ihre offenen Stellen nicht finden werden.2
Kompetenzen müssen entwickelt werden
Das zweite Thema, das in den Umfragen angesprochen wurde, ist die Entwicklung von Kompetenzen und die Umschulung von Teams. Die Ergebnisse fallen sehr unterschiedlich aus. Auf der einen Seite geben 72 Prozent der von EY befragten Manager an, dass sie Vertrauen in die vorhandenen Fähigkeiten ihrer Teams haben, um effektiv mit KI arbeiten und auf die bevorstehenden Umwälzungen reagieren zu können.7
Auf der anderen Seite glauben 63 Prozent der von PWC befragten Schweizer CEOs, dass die Mehrheit der Belegschaft innerhalb von drei Jahren aufgrund der GenAI neue Fähigkeiten erwerben muss3, und 91 Prozent der von Accenture befragten Manager erkennen die Notwendigkeit, ihre Umschulungsstrategien als Reaktion auf generative KI zu überdenken.10
Schweizer Arbeitnehmer sind ausserdem an folgenden Aspekten interessiert: 93 Prozent möchten laut der Accenture-Umfrage neue Fähigkeiten im Bereich GenAI erwerben.10 Aber laut EY-Umfrage sind nur 36 Prozent der Meinung, dass ihr Arbeitgeber in Bezug auf Schulungen genügend unternimmt.9 Es sei darauf hingewiesen, dass sich die analysierten Umfragen zwar mit dem Imperativ der Umschulung und deren Umsetzungsmöglichkeiten befassen, aber keine von ihnen konkrete Fähigkeiten anspricht, welche die Teams entwickeln müssen.
Risiken und Herausforderungen, die Aufmerksamkeit erfordern
Neben der Frage nach Fachkräften und Fähigkeiten stellen Daten die grösste Herausforderung dar, wie aus den Umfragen hervorgehoben wird. In dieser Hinsicht ist die Studie der ETH Zürich aussagekräftig: 48 Prozent der befragten Schweizer Industrieunternehmen geben an, dass ihre KI-Projekte durch den Wunsch motiviert sind, die verfügbaren Daten zu nutzen. Gleichzeitig ist ein gutes Drittel der Befragten der Meinung, dass die Datenqualität und -Governance für KI-Projekte derzeit unzureichend seien. Über alle Branchen hinweg sind nur 7 Prozent der von Accenture befragten Schweizer Unternehmen, also die Hälfte des weltweiten Durchschnitts, "äusserst zuversichtlich", dass sie über die richtige Datenstrategie und die grundlegenden digitalen Fähigkeiten verfügen, um generative KI effektiv zu nutzen.
Wenn es um die Risiken von GenAI geht, stechen zwei Bereiche aus den Umfrageergebnissen hervor. An erster Stelle stehen Sicherheit und Datenschutz. Beide Bereiche sind die am häufigsten identifizierten Risiken, sowohl bei den von IMD befragten Fachleuten (54 Prozent) als auch bei den von PWC befragten Schweizer CEOs (70 Prozent).3 An zweiter Stelle steht die Ungenauigkeit der GenAI-Ergebnisse und -Inhalte. 50 Prozent der von Accenture befragten Mitarbeitenden10 sind deswegen besorgt, von den Schweizer CEOs sind es gemäss PWC 54 Prozent3.
Die Fachkräfte bekunden jedoch auch Sorge hinsichtlich Stress und Burn-out (Accenture, 54 Prozent), Kontrollverlust und übermässiger Abhängigkeit (IMD, 51 Prozent) sowie algorithmischer Manipulation (41 Prozent). Angesichts dieser Risiken ist die Stimmung bei den Mitarbeitenden ambivalent.
Quellen
1 "Charting the Future: Switzerland’s Path to Generative AI Leadership in 2024 and Beyond", IMD, 2024
2 Work Trend Index 2024 (Suisse), Microsoft, 2024
3 Annual Global CEO Survey, Swiss edition, PWC, 2024
4 Baromètre des banques 2024, EY Suisse, 2024
5 "How Your CEO Is Thinking About AI", Gartner, 2024
6 "L’intelligence artificielle en Suisse", MSM Research AG, 2024
7 The state of AI in the Swiss tech industry, ETH Zurich in cooperation with Swissmem and Next Industries, 2024
8 "Gartner Survey Finds Generative AI Is Now the Most Frequently Deployed AI Solution in Organizations", Gartner 2024
9 EY European AI Barometer 2024
10 "Playing the Long Game: Can Switzerland lead the way in generative AI?" et Accenture Pulse of Change, Accenture, 2023–2024