Interview mit Gabriela Unseld

Wie sich KI auf Kreative und Kunstschaffende auswirkt

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Gabriela Unseld arbeitet in der Werbebranche als Art- und Kreativdirektorin. Anfangs lehnte sie KI-Bildgeneratoren ab, nun setzt sie sich für einen verantwortungsvollen Umgang mit KI-Technologien ein. Unseld spricht darüber, wie generative KI ihren Alltag als Künstlerin prägt.  

Gabriela Unseld, Art- und Kreativdirektorin. (Source: zVg)
Gabriela Unseld, Art- und Kreativdirektorin. (Source: zVg)

Wie wirkt sich generative KI auf die Kunstwelt aus?

Gabriela Unseld: Das ist ein sehr komplexes Thema, die Kunstwelt ist ja sehr umfassend. Auf die Entwicklung von Bildern bezogen, wird generative KI sehr grosse Auswirkungen haben und zu einem Paradigmenwechsel führen, gerade im Grafikdesign. Aber es gibt immer zwei Seiten einer Medaille: Generative KI hat eine wahnsinnige Innovationskraft, die dermassen mächtig ist, und nicht alles ist nur negativ. Wir Kreativen müssen uns damit auseinandersetzen, sodass wir uns nicht einfach den Unternehmen der KI-Modelle unterwerfen, sondern uns auch mit kritischem Denken und Handeln einmischen.

Was meinen Sie mit "sich einmischen"?

Mit ethischen Prompts können wir dazu beitragen, dass die KI-Modelle nicht Welten kreieren, die unsere Autonomie untergraben und irgendwann eine Welt darstellen, die nur noch Fiktion ist. Es entstehen Bilderwelten, die es so gar nicht gibt. Was ist echt, was ist wahr? Was hat stattgefunden? Was gibt es, was gibt es nicht? Hier kommt Ethik ins Spiel. Wollen wir als Kreative wirklich den schönsten Part unseres Berufs, nämlich kreativ zu sein, einer Maschine unterordnen, oder wollen wir uns so einbringen, dass beides möglich ist? Man muss überlegen, wann es sinnvoll ist, generative KI einzusetzen, und wann es keinen Sinn ergibt.

Wie stehen Sie zum Einfluss von KI auf die Kunst?

Aktuell teste ich vieles mit Midjourney und bin sehr fasziniert. Die Tools entwickeln Bildwelten, die absolut faszinierend sind, aber sie haben eine völlig andere Qualität als wenn man selbst malt. Malen ist etwas Sinnliches, Schöpferisches, bei dem ich selbst Teil des Prozesses bin. Ich gestalte den Prozess und das Ergebnis nach meinen Vorstellungen oder Empfindungen, aber wenn ich Bilder generiere, ist es immer eine Blackbox – ein permanentes Überraschungsei. Auch wenn der Prompt noch so gut ist, kommt immer etwas anderes heraus, als man sich vorgestellt hat. Man gerät dabei in einen Rausch, eine Fear of Missing Out, wie das nächste Bild aussieht und das nächste und das nächste. Da vergehen ganz schnell mehrere Stunden und man hat hunderte oder tausende von Bildern generiert. Es ist aber nicht so erfüllend, wie wenn ich mit Acryl auf die Leinwand male oder mit einem Fotoapparat in die Natur hinausgehe und dort versuche, Motive zu finden, um daraus etwas Neues zu machen. Es sind zwei völlig unterschiedliche Sinneswahrnehmungen. Ich gehe davon aus, dass sich das auf die Kunstschaffenden und auf die Kunstszene so auswirkt, dass im Branding oder im Design wieder stärker der Fokus auf Art-Direktion gesetzt werden muss. Handwerkliches Wissen aus der analogen Welt wird unglaublich wichtig, um ein gut generiertes Bild aus den Tools herauszubringen.

Wie hat KI Sie als Künstlerin in Ihrer Arbeit beeinflusst?

Für mich ist künstliche Intelligenz ein Experiment und wird niemals die Malerei ersetzen, da es eine Sinneswahrnehmung ausserhalb des normalen Berufsfeldes ist. Ich sitze nicht vor einem Screen oder einer Tastatur, sondern begebe mich irgendwohin ausserhalb des Regulären. Wenn ich im Atelier bin, dann riecht es nach Farbe, ich kann tolle Musik spielen und schaue dann, was auf der Leinwand entsteht. Man hat dabei Tage, an denen es gut gelingt, und Tage, an denen es überhaupt nicht geht. Es ist ein langsamer Prozess. Aber ein völlig generisches Bild mit KI herzustellen, dauert etwa 20 bis 30 Sekunden. Es ist nicht vergleichbar. In den aktuell laufenden Diskussionen höre ich noch zu wenig über das Reflektieren, was eigentlich Kunst oder was ein Bild ist. Ist der Output einer KI ein Bild oder ein Foto? Oder ist es nicht einfach nur ein Rendering? Ein Foto bildet in der Regel die Realität ab, also kann es kein Foto sein. KI generiert die Bilder mathematisch begründet, nach einer Wahrscheinlichkeit, und ist im Prinzip reine Statistik. Die Bildergebnisse eines KI-Generators sind sichtbar gemachte Statistik, und das finde ich faszinierend.

Was halten Sie davon, dass Ihre Bilder womöglich fürs Training von KI-Modellen benutzt werden?

Die Datenmodelle werden immer wieder überarbeitet und neu trainiert, im Prinzip mit allem, was im Internet veröffentlicht wird, durch sogenanntes Daten-Crawling. Das kann man sich so vorstellen, als würde die KI das gesamte Internet einsaugen und jedes hochgeladene Bild als Trainingsdatensatz verwenden. Das heisst, wenn man als Künstler, als Illustrator, als Grafikdesigner einen sehr einprägsamen Stil hat, fliesst das in die KI mit ein. Deshalb achte ich sehr darauf, und viele meiner Bilder sind nicht online.

Was bedeutet es für das kreative Schaffen, wenn man die Stile anderer Künstler so einfach kopieren kann?

Die Nutzung von KI ist erst seit ein bis zwei Jahren für alle zugänglich. Momentan gibt es Diskussionen in der kunstschaffenden Welt und Organisationen wie Getty Images haben grosse Klagen am Laufen, bei denen es um das Thema Urheberrecht geht. Die Kunstschaffenden wurden nicht um Erlaubnis gefragt und auch nicht dafür entlohnt. Da kommt die Ethik zum Thema Fairness ins Spiel. Ist es fair, dass die gesamte Kunstwelt eigentlich ungefragt ihrer Arbeiten entledigt wurde, die jetzt Grundlage sind für ein absolut geniales Tool? Müssen wir da nicht darüber nachdenken, wie das fair für alle wird – nicht nur für die KI-Unternehmen und User, sondern auch für diejenigen, die Teil der Datengrundlage sind, nämlich die Kunstschaffenden?

Was können Kunstschaffende gegen Diebstahl tun?

Es gibt eine Software namens Nightshade, die von Forschenden der Universität Chicago entwickelt wurde. Damit können Kunstschaffende ihre Bilder, die sie hochladen möchten, so rendern und den Code verändern, dass die KI mit dem Bild nichts anfangen kann. Es dauert allerdings etwa sechs bis acht Stunden. Wenn ich zum Beispiel einen einzigartigen Stil für grüne Wiesen mit Kühen habe, kann dies die Software so rendern, dass die Kühe nicht mehr als Kühe dargestellt werden, sondern als Handtaschen. Damit können Kunstschaffende ihren Stil schützen.

Welche Regulierungen wünschen Sie sich als Künstlerin in der Schweiz?

Ich finde es richtig, dass man KI-generierte Bilder kennzeichnet, einfach aus ethischer Sicht, um zu vermitteln, was in Wahrheit stattgefunden hat und was nicht. Denn Bilder bleiben schneller im Gedächtnis als Worte; und wenn grosse Plakate eine scheinbare Wirklichkeit abbilden, die es eben so nicht gibt, kann das viele Menschen täuschen. Aus diesem Grund bin ich für eine Kennzeichnung. Man könnte das auch umdrehen: Ab einem Zeitpunkt, an dem fast alles nur noch KI-generiert ist, ein Gütesiegel einführen, das echte Bilder kennzeichnet. Ich vertrete nicht das Argument, dass in der Werbung ja auch alles bearbeitet wird. Es stimmt zwar zum Teil, aber es sind trotzdem echte Models, mit einer Ausstrahlung, und echte Locations, die es in Wirklichkeit gibt. Nichts gegen KI-generierte Bilder, aber ich bin für die Authentizität und es ist kein grosser Aufwand, Bilder zu kennzeichnen.

Wo ist der Einsatz von KI Ihrer Meinung nach sinnvoll?

In der Werbung etwa ist der Einsatz von Bildgeneratoren bei generischen Bildern, Produkten, Produkt-Packshots, Bildideen oder Bildtonalitäten sinnvoll. Oder eben dort, wo man mit herkömmlichen Methoden nicht mehr weiterkommt. Der interessante und tolle Part von generativer KI ist, wenn man dann in neue Dimensionen vorstossen kann. Da entsteht etwas Neues. Und es ist offenkundig, dass das nicht die Realität ist. Aber wenn man in der Unternehmenskommunikation das Management KI-generiert abbildet, wäre das wenig sinnvoll. Als Unternehmen möchte man Gehör finden und Vertrauen bei den Kunden erwecken. Hier kann man nicht mit KI-generierten Bildern des Managements daherkommen. Die Kunden möchten sehen, wie der CEO in Wirklichkeit aussieht und mit wem sie es zu tun haben. Ich finde es wichtig, dass man reflektiert und das Gegebene nicht einfach so hinnimmt, wie es ist. Was ist Kunst? Was ist ein Bild? Was ist ein Foto? Ein Bild von einer Frau mit ihrem Kind im Kinderwagen, das von Midjourney generiert wurde, ist für mich kein Foto. Man muss die Begrifflichkeiten auch neu definieren. Kreativschaffende müssen sich auch wieder auf ihre Kernkompetenzen fokussieren, damit nicht alles zum Mittelmass wird. Die KI-Bildgeneratoren sollten nicht zum Selbstzweck eingesetzt werden, sondern als neue handwerkliche Möglichkeit beziehungsweise als Werkzeug.

 

Die Hersteller von KI-Modellen nutzen Unmengen an Trainingsdaten ohne Einwilligung der Urheber - im Hintergrundbericht erfahren Sie, wie die Rechtslage in der Schweiz aussieht und wie sich die Kunstwelt durch KI verändert.

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