Interview

"Es geht um Werte, nicht um Zahlen"

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von George Sarpong

Reinhard Riedl ist Professor und wissenschaftlicher Leiter des Fachbereichs Wirtschaft an der Berner Fachhochschule. Am Best of Swiss Web Award leitete er als Jurypräsident die Auswahl der Master-Kandidaten in der Kategorie Public Affairs. Diese verzeichnete dieses Jahr aussergewöhnlich viele Projekte. Weshalb, erklärt Riedl im Interview.

Reinhard Riedl ist Professor und wissenschaftlicher Leiter des Fachbereichs Wirtschaft an der Berner Fachhochschule. (Quelle: Reinhard Riedl)
Reinhard Riedl ist Professor und wissenschaftlicher Leiter des Fachbereichs Wirtschaft an der Berner Fachhochschule. (Quelle: Reinhard Riedl)

Dieses Jahr gab es deutlich mehr Einreichungen in der Kategorie Public Affairs als im Vorjahr. Wie erklären Sie sich das?

Reinhard Riedl: Vielleicht war es schlicht Zufall. Möglich ist aber auch, dass hier ein Trend sichtbar wird: Die Grenzen zwischen Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft verschwimmen. Um gute Geschäfte machen zu können, wird es immer wichtiger, Nutzen für die Gesellschaft zu schaffen. In den USA mit ihrem Good-Works-Marketing, bei dem Unternehmen soziale Initiativen starten, um Absatz oder Markenwert zu erhöhen, ist das ausgeprägter als bei uns. Aber auch hierzulande kommen Ideen wie "Shared Value" an. Dieses Ostküsten-Konzept für nachhaltiges Wirtschaften wurde ursprünglich sogar für ein Schweizer Unternehmen entwickelt. 

Was macht die Kategorie Public Affairs besonders spannend?

Es geht um Werte, nicht um Zahlen. Und es geht um das Gemeinwohl, nicht um den Profit des Auftraggebers. Eine Site ist dann preiswürdig, wenn sie erstens direkt Nutzen für seine Stakeholder schafft und zweitens indirekt positiv auf die Gesellschaft als Ganzes ausstrahlt. Dabei zählt nicht so sehr der gute Wille wie die tatsächliche Wirkung, die allerdings sehr vielfältig sein kann. Die Jury von "Public Affairs" versucht damit offen umzugehen und ist alles andere als ein Gutmenschen-Klub.

Wie meinen Sie das?

Wir haben Spass an bösen Kommentaren und stellen die harte Frage: Wem nützt dieses Angebot und wie sehr? Diese Frage – und zwar eben nicht nur in rein monetärer Hinsicht – sollte sich eigentlich jeder Webdesigner stellen.

Was hat Sie besonders überrascht?

Dass die Idee endlich angekommen ist, dass es um mehr als nur um technische Coolness geht, und wir diesen gros­sen Zuwachs an Eingaben hatten. Positiv ist auch, dass die Vielfalt durch die steigende Professionalität nicht ab-, sondern zunimmt. Die Angst vor dem Langeweile-Tod durch Perfektion ist unbegründet.

Wie erklären Sie sich den Trend zu "sexy" Websites bei der ­öffentlichen Hand?

Die öffentliche Hand war ihren Klienten immer sehr nahe. Ihr Auftritt spiegelt seit jeher primär die Vorlieben des Souveräns wider. Und sekundär jene ihrer Mitarbeiter. Wenn sich die Menschen und ihre Erwartungen ändern, verändert sich auch die öffentliche Hand. Wenn wir eine visuell attraktive öffentliche Hand wollen, bekommen wir sie auch. Und mittlerweile will das die Mehrheit. So einfach ist das.

Welche Trends gab es an der Technologiefront?

Hier gibt es in der Kategorie Public Affairs noch ein wenig Entwicklungspotenzial. IoT und Linked Data ermöglichen viele Innovationen, die man aber erst vereinzelt sieht. Technik, Prozesse und Webdesign müssen erst zueinander finden. Auch mit den guten alten Expertensystemen liessen sich einige innovative bis revolutionäre Beratungsdienste bauen, wenn man anerkennen würde, dass Suchmaschinen nicht immer die beste Option sind.

Welche weiteren Trends gab es?

Ein weiteres Thema, das wir in den letzten Jahren immer wieder, doch noch immer zu selten, sehen, sind Integrationsportale. Diese müssen gleich zwei Aufgaben bewältigen: Daten und Prozesse vernetzen und zugleich einen einfachen Zugriff darauf ermöglichen. Das eine verlangt bisweilen gesetzliche Änderungen, das andere ist eine gewaltige Design-Hürde. In den nächsten Jahren erwarte ich trotzdem einige Public-Affairs-Medaillen für Prozessintegrationen.

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