Editorial von Joël Orizet

Der arme Teufel im System

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Die neue Netzwoche ist da. Zum Auftakt berichtet Joël Orizet was passiert, wenn UCC in die falschen Hände gerät.

Joël Orizet, Redaktor, Netzwoche (Source: Netzmedien)
Joël Orizet, Redaktor, Netzwoche (Source: Netzmedien)

Wer würde dazu schon Nein sagen? Eine Software, die alles kann – was sich damit wohl anstellen liesse? Aber für den Anfang würde mir ein Programm genügen, das mir bei der täglichen Kommunikation tatsächlich hilft. Sodass ich etwa weniger Zeit mit E-Mails verplemperte. Das wäre schon mal nicht schlecht ...

Solche Tools haben aber auch ihre Schattenseiten. Und zwar dann, wenn sie in die falschen Hände geraten. Das merkte ich, als ich neulich auf den Zug wartete und sich folgende Szene abspielte:

Mein Telefon klingelt. Am anderen Ende meldet sich eine Frau. Sie nennt mehrmals meinen Namen, ansonsten verstehe ich kein Wort. In gebrochenem Spanisch teile ich ihr mit, dass ich kein Italienisch spreche. "Sì, sì", sagt sie, bevor mich ein Wortschwall an die Wand pustet. Endlich holt sie Luft. Ich wimmle sie ab und denke mir, die Sache ist gegessen. Pustekuchen.

Am nächsten Abend klingelt mein Handy erneut. Diesmal ist ein Mann an der Strippe. Auch er nennt mich mehrmals beim Namen und sagt: "Meine Kollegin rief Sie gestern an. Nun sagt mir mein System, dass Sie Deutsch sprechen." Ich erwidere: "Was denn für ein System?"

Der Mann stellt sich vor. Angeblich arbeitet er für eine Firma namens SCE Finance Controlling. Google findet nichts. Ob ich eine Minute Zeit hätte, fragt er. Ich sage Nein. Und überhaupt: kein Interesse an telefonischen Verkaufsgesprächen. Er behauptet, er sei kein Verkäufer, sondern Analyst. Dann folgt so etwas wie ein Dialog.

Er: Ich sehe, Sie können Geld sparen.

Ich: Das sehe ich anders. Woher haben Sie meine Nummer?

Er: Das System sagt, es gibt da, ganz speziell für Sie, Herr Orizet, eine Krankenkasse ...

Ich: Können Sie mich bitte aus Ihrer Datenbank löschen?

Er: Ich kann es Ihnen zeigen. Wir haben jetzt Videochat.

Ich: Das freut mich für Sie. Löschen Sie jetzt bitte meine Nummer?

Er: Ich kann Sie auch anchatten.

Ich: Kennen Sie das Gefühl, in einer Schleife zu stecken?

Er stutzt. Dann faselt er schon wieder etwas von einer Kranken­kasse. Ich bitte ihn ein drittes Mal, meine Nummer zu löschen. Er sagt: Okay. Wenn Sie mir nur rasch Ihre E-Mail ...

Ich unterbreche ihn schroff. Ich drohe ihm, von wegen Datenschutz und so. Ich höre mich schimpfen wie ein wütender alter Sack. Und als ich endlich auflege, da tut er mir leid. Wie ist dieser arme Teufel nur im Telemarketing gelandet? Ob er wohl wenigstens ein Hobby hat? Doch dann kriecht sie wieder hoch. Und diesmal bleibt sie da. Die Wut darüber, dass meine Nummer wohl für immer in diesem verdammten System bleibt.

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