Editorial

Die IT, das bin ich

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Oliver Schneider, stellvertretender Chefredaktor, Netzwoche (Source: Netzmedien)
Oliver Schneider, stellvertretender Chefredaktor, Netzwoche (Source: Netzmedien)

Die "New York Times" hat vor Kurzem auf einen interessanten Widerspruch in der Diskussion um 5G aufmerksam gemacht. Die Zeitung berichtete, wie der amerikanische Ableger von "Russia Today", "RT America", in den USA eine veritable Kampagne gegen den neuen Mobilfunkstandard 5G fährt. Von einer "5G-Apokalypse" sei beim russischen Fernsehsender die Rede. Ein Beitrag mit dem Titel "Ein gefährliches Experiment mit der Menschheit" mache 5G-Strahlung unter anderem für Hirntumore, Alzheimer und Impotenz verantwortlich und schüre gezielt Ängste vor der Technologie – ohne wissenschaftlich tragfähige Belege zu nennen. Ganz anders sieht es freilich in der Heimat von "RT America" aus. Für den russischen Präsidenten Wladimir Putin sei der Aufbau einer 5G-Infrastruktur eine Herzens­angelegenheit. Am 20. Februar 2019 habe er den Start eines neuen Mobilfunknetzes in Auftrag gegeben. "Wir müssen nach vorne ­schauen", zitiert ihn die Nachrichtenagentur Tass. "Die Herausforderung für die kommenden Jahre besteht darin, den universellen Zugang zum Hochgeschwindigkeitsinternet zu schaffen und die 5G-Kommunikationssysteme in Betrieb zu nehmen."

Woher rührt diese Diskrepanz? Haben die russischen Medien ihren Präsidenten über die Gefahren von 5G im Unklaren gelassen? Die "New York Times" vermutet einen anderen Hintergrund. 5G sei eine Schlüsseltechnologie im Rennen um die vernetzte, intelligente und digitale Welt von morgen. Indem die russische Regierung gezielt Stimmung gegen 5G im Ausland mache, versuche sie, ihre globalen Konkurrenten auszubremsen. "Das ist ökonomische Kriegsführung", zitiert die Zeitung den Fake-News-Analysten Ryan Fox. "Russland liegt beim Aufbau von 5G im Hintertreffen. Also versucht das Land, die Technologie in den USA zu untergraben und zu diskreditieren."

Inwiefern diese Theorie zutrifft, weiss nur "Russia Today". Der Fall 5G zeigt aber, wie sehr IT heute auch Politik, gar Geopolitik ist. Und es gibt zahlreiche weitere Beispiele: Die Aussperrung des chinesischen Technologiekonzerns Huawei im Rahmen des Handelsstreits zwischen China und den USA, das Vorpreschen der Europäischen Union beim Datenschutz mit der EU-DSGVO oder das Katz-und-Maus-Spiel zwischen Anbietern von Verschlüsselungsmethoden und Staaten, die Zugang zu Informationen möchten. Der springende Punkt ist, dass Informatik nicht nur unter technologischen oder ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet werden darf. Der Betrachter muss immer auch nach den politischen Zusammenhängen, nach Konflikten, Interessen und Machtverhältnissen fragen. Dies gilt nicht zuletzt für die Kryptowährung Libra, mit der Facebook zum Sprung in die Finanzwelt ansetzt. Dieses Thema steht denn auch im Zentrum dieser Ausgabe der "Netzwoche".

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