Wild Card von Daniel Liebhart

Machen wir uns nichts vor!

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Alle machen es oder denken darüber nach: bestehende IT-Systeme in die Cloud zu verschieben. In erster Linie, um Kosten zu sparen. Die grossen Hersteller präsentieren einfache Rezepte, damit ein solches Vorhaben störungsfrei über die Bühne geht. Das tut es aber meist nicht!

Es hört sich verlockend an. Die Betriebskosten werden halbiert und es braucht nur noch einen Bruchteil des Personals. Das verspricht auf jeden Fall die "Lift and Shift"-Anleitung von Amazon, die sich auf eine Studie des Analystenunternehmens IDC stützt. Dazu kommt noch, dass das Prinzip sehr einfach ist. "Lift and Shift" oder auch "Rehost" bedeutet nichts anders, als dass die bestehende Infrastruktur eins zu eins ohne grosse Veränderungen in die Cloud verfrachtet wird. Obwohl Rechenleistung, Speicherplatz und Netzwerkbestandteile ersetzt werden, bleiben Anwendungen unverändert. Die Experten des Forbes Council gehen davon aus, dass sich zirka 25 bis 30 Prozent der Anwendungen eines Unternehmens für eine solche Vorgehensweise eignen. Die Voraussetzungen für eine nahtlose Migration sind jedoch recht umfangreich. Im Idealfall sollte bereits vor dem Umzug modernste Infrastruktur eingesetzt worden sein. Allen voran virtuelle Server. Alle Unternehmen, die bereits versucht haben, einen Grossrechner oder eine IBS-AS400-Maschine in die Cloud zu schieben, können davon ein Liedchen singen. Die Experten von Forbes raten sogar explizit davon ab.

Es gibt jedoch drei Alternativen zu "Lift and Shift". Die naheliegendste nennt sich "Replatform". Die Anwendung bleibt auch in diesem Fall unverändert. Es wird jedoch ein Teil der Infrastruktur ersetzt. So wird etwa im einfachsten Fall die bestehende Datenbank eines Herstellers durch ein Open-Source-Produkt ersetzt, um Lizenzkosten zu sparen. Umfangreichere Ansätze sehen den Einsatz modernster Cloud-Services als Ersatz für bestehende Infrastruktur­bestandteile wie etwa Software-defined Storage statt eines traditionellen SAN (Storage Area Network). Auch hier winken satte Kostenvorteile. Gemäss Gartner können so bis zu 75 Prozent eingespart werden.

Die zweite Alternative zu "Lift-and-Shift" ist die Modernisierung einer bestehenden Anwendung. Dieses Vorgehen wird auch "Refactor" genannt. "Refactoring" – also die Umgestaltung der inneren Struktur einer Anwendung – ist in der modernen Softwareentwicklung ein übliches Vorgehen. Mit steigendem Alter einer Anwendung wird das jedoch zu einem schwierigen Geschäft, da der Umfang der notwendigen Re-Engineering-Arbeiten zunimmt. Zwar kennen wir heute mit "Chicken-Little" (einem schrittweisen Vorgehen) und "Butterfly" (einem zweigleisigem Vorgehen) zwei gut etablierte Modernisierungsstrategien für Anwendungen. Beide müssen jedoch sauber auf die Bestandteile und die Möglichkeiten der Ziel-Cloud abgestimmt werden.

Bleibt zu guter Letzt mit "Build new" der vollständige Neubau der Anwendung als Möglichkeit. Der grosse Vorteil ist der optimale Einsatz der vielen und umfangreichen Bausteine einer Cloud. Allerdings setzt das voraus, dass die Architektur der Anwendung vollständig neu gedacht werden muss. Und es setzt voraus, dass genügend Zeit da ist, um die Anwendung neu zu bauen.

Machen wir uns also nichts vor. Das einfache Verschieben von bestehenden Anwendungen eines Unternehmens in die Cloud ist wohl eher der Ausnahmefall. Meistens führt mit Sicht auf eine bestehende Anwendungslandschaft erst eine kluge Kombination der möglichen Vorgehensweisen dazu, signifikante Vorteile herauszuholen. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass gemäss einer aktuellen Umfrage im Auftrag von Logic-Monitor knapp ein Viertel der Unternehmen glaubt, dass es noch länger als sechs Jahre dauern wird, bis der grösste Teil (95 Prozent) ihrer Workloads in der Cloud laufen wird.

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