Netzneutralität

Auf der Suche nach Richtlinien für die Datenautobahn

Uhr | Aktualisiert
von Janine Aegerter

Welche Organisationen oder politischen Vertreter setzen sich in der Schweiz mit der Netzpolitik auseinander? Welche Entwicklungen gibt es zum Thema Netzneutralität und Vorratsdatenspeicherung und was sagen die Provider dazu? Die Netzwoche bietet einen Einblick.

In der Schweiz sind wir einen freien und unbeschränkten Zugriff auf das Internet gewohnt. Es herrscht Pressefreiheit, kein Parteibüro schreibt uns vor, was wir auf unseren Websites publizieren dürfen oder nicht. Dies ist nicht überall so, wie man in Ländern wie China oder Nordkorea sieht. Überhaupt können wir uns in der westlichen Welt kaum vorstellen, was eine Beschränkung der Freiheit des Internets bedeuten würde.

Dementsprechend heftig fallen die Reaktionen aus, sobald wir eine solche Beschränkung befürchten. So berichteten im Dezember viele Medien über die Weltkonferenz für Internationale Telekommunikation (WCIT). Ziel der Zusammenkunft war es, eine Neufassung der internationalen Telekommunikationsregulierungen auszuhandeln. Einige Staaten wollten diese auf das Internet ausweiten. 55 Länderdelegationen, darunter auch diejenige der Schweiz, haben den dort ausgehandelten Vertrag zum neuen Gesetz der internationalen Telekommunikationsregulierungen nicht unterzeichnet. 89 Delegationen hingegen haben ihn unterschrieben. Man werde den Vertrag und dessen Auswirkungen auf die Schweiz erst analysieren, sagte die Mediensprecherin des Bakom, Deborah Murith. Die neue Regelung soll per 2015 in Kraft treten. Dies gelte für jene Länder, die unterzeichnet haben. Für Länder, die dies nicht taten, würden weiterhin die alten Bestimmungen gelten. Das bestätigt auch Peter Grütter, Präsident von Asut, dem Schweizerischen Verband der Telekommunikation. Eine neue Regelung könne nicht einfach durch einen Mehrheitsentscheid zustande kommen. Asut begrüsse die Haltung der Schweiz und hoffe, dass sie den Vertrag auch in Zukunft nicht unterzeichne. Denn darin gäbe es einige Bestimmungen, die eine Gefahr für die Freiheit des Internets darstellten. Dazu zählt Grütter unter anderem diejenigen zu Spam-Mails, die auch eine Kontrolle des Inhalts darstellten.

Vorratsdatenspeicherung und Netzneutralität

Auch andere Schweizer Organisationen setzen sich für die Freiheit des Internets ein. Dazu gehört die Digitale Gesellschaft Schweiz (DGS). Sie ist ein loser Zusammenschluss von Organisationen und Einzelpersonen, die sich mit Netzpolitik auseinandersetzen, erklärt Urs Peter (Name von der Redaktion geändert). Er ist Mitglied des netzpolitischen Vereins "Swiss Privacy Foundation", einer Organisation der DGS. Zur DGS zählen Personen, die Infrastrukturen anbieten, Parteien und die Swiss Internet User Group. Die Digitale Gesellschaft Schweiz setze sich für ein offenes Internet ein, das diskriminierungsfrei und ohne übermässige Überwachung funktionieren könne, so Peter. Die Themen, mit denen sich die Digitale Gesellschaft Schweiz beschäftigt, sind vielfältig: Datenschutz gehört dazu, aber auch Überwachung, Open Data, Netzneutralität und Urheberrecht.

Konkret hat sich die Digitale Gesellschaft Schweiz letztes Jahr im Zusammenhang mit der VÜPF-Anhörung im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung engagiert. VÜPF steht für "Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs" und regelt eine Überwachung im Falle einer schweren Straftat, sei es nun rückwirkend oder in Echtzeit. Die neue Verordnung forderte laut Peter deutliche Verschärfungen. Unter anderem sollte die Verordnung für alle gelten, die im Internet eine Dienstleistung anbieten, anstatt nur für die Access Provider. "Hätten die Verschärfungen für alle gegolten, hätten alle Anbieter von Internetdienstleistungen die technischen Vorkehrungen treffen müssen, um die Nutzer überwachen und rückwirkende Auswertungen machen zu können", sagt Peter. Durch ihre Intervention habe die Digitale Gesellschaft erreichen können, dass die neue Verordnung nur für Provider gilt.

VÜPF: Wofür steht die Verordnung?

Doch was bringt die Verordnung, die vom Bundesrat per 1. Januar 2012 in Kraft gesetzt wurde, eigentlich mit sich? Nils Güggi, Datenschutz-, Öffentlichkeits- und Informationsschutzbeauftragter des Diensts ÜPF, erklärt: Gemäss VÜPF dürfen Strafverfolgungsbehörden unter bestimmten Umständen und in den rechtlichen Schranken den Post- und Fernmeldeverkehr überwachen. Die Anordnung dafür müsse von der zuständigen Staatsanwaltschaft erlassen werden. Diese Anordnung wiederum müsse durch ein unabhängiges Gericht, ein sogenanntes Zwangsmassnahmengericht, geprüft und genehmigt werden.

Das Gericht müsse beurteilen, ob der dringende Verdacht bestehe, dass eine besonders schwere Straftat begangen worden sei und ob die Schwere der Straftat die Überwachung im konkreten Fall rechtfertige. Zu den Straftaten, die unter diese Bedingungen fallen, gehören laut Güggi unter anderem Tötungsdelikte, Menschenhandel, Geiselnahme oder Vergewaltigung. Zudem könne die Fernmeldeüberwachung auch für die Suche und Rettung von vermissten Personen, zum Beispiel in den Bergen, eingesetzt werden.

Dabei sei zwischen Echtzeit- und rückwirkenden Überwachungen zu unterscheiden, so Güggi weiter. Bei Echtzeitüberwachungen werde der Inhalt der Kommunikation (Telefongespräche, Briefinhalte, Postpaketinhalte) gespeichert und von den Strafverfolgungsbehörden ausgewertet beziehungsweise je nach Situation beschlagnahmt. Rückwirkende Überwachungen hingegen beziehen sich laut Güggi auf die sogenannten Verkehrs- und Rechnungsdaten. Das seien jene Daten, die von den Post- und Fernmeldedienstanbietern aufgezeichnet werden, um die Postsendung oder die Kommunikation und die Rechnungsstellung zu belegen. Bei der Fernmeldeüberwachung werde im Wesentlichen ausgewertet, welches Gerät mit welchem Gerät wann und für welche Dauer in Verbindung stand. Bei der Mobiltelefonie könne zudem anhand der Antenne, mit der ein Gerät zu einem bestimmten Zeitpunkt verbunden war, dessen ungefährer Standort festgestellt werden. "Daten, die Gegenstand einer rückwirkenden Überwachung sein könnten, müssen von den Anbietern unabhängig von einer konkreten Überwachungsmassnahme während sechs Monaten gespeichert werden", so Güggi. Die Investitionen für die notwendigen Einrichtungen betragen je nach Ausrüstungsart, Grösse und Angebot des Providers mehrere Zehntausend bis mehrere Millionen Franken, wie Peter Grütter sagt. Wie die Digitale Gesellschaft hat sich auch Asut in einer Stellungnahme zur VÜPF-Anhörung geäussert. Darin hatte der Verband unter anderem kritisiert, dass die Provider für diese Kosten aufkommen müssen.

Digitale Gesellschaft fordert Diskussion

Die Digitale Gesellschaft fordert indes mehr Offenheit und Transparenz, was die Vorratsdatenspeicherung betrifft, und befürchtet zudem eine Überwachung seitens des Staates. Peter vertritt die Meinung, dass eine Diskussion fehle. "Wir würden gerne informieren und zeigen, welche Daten gespeichert werden." Das Problem dabei: Wenn man diese Daten mittels eines Datenauskunftsbegehrens bei den Providern anfordere, nütze das nichts. Wende man sich an Swisscom und Co., werde man an den Dienst ÜPF verwiesen.

Olaf Schulze, Mediensprecher von Swisscom, bestätigt dies. Es sei zu unterscheiden, welche Art von Daten ein Kunde wolle, erklärt er. Seine Verbindungsdaten, die übrigens unter das Fernmeldegeheimnis fallen, könne der Kunde im Rahmen des Artikels 81 der Fernmeldeverordnung (FDV) verlangen. In diesem Artikel 81 ist nachzulesen, dass darunter die vollständigen Adressierungselemente der angerufenen Anschlüsse oder die Rufnummern der anrufenden Anschlüsse ohne die letzten vier Ziffern fallen. Auch das Datum, die Zeit, die Dauer der Verbindungen und das für die einzelnen Verbindungen geschuldete Entgelt fallen darunter.

Unter das Fernmeldegeheimnis fallende Verbindungsdaten, die über die in Artikel 81 der im FDV erwähnten Daten hinausgehen, könne der Kunde grundsätzlich nicht verlangen, so Schulze. Solche Daten speichere Swisscom auch nicht für eigene Zwecke, sondern als Befehlsempfänger des Staates, was dann wiederum im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung zum Tragen käme.

Netzneutralität in der Schweiz

Die Digitale Gesellschaft steht mit ihrem Engagement nicht allein da. Der Chaos Computer Club Schweiz (CCC-CH), der kürzlich in Bern gegründet wurde, wehrt sich "im Sinne der informationellen Selbstbestimmung" ebenfalls dagegen, dass immer mehr Daten auf Vorrat gespeichert werden oder sogar aktiv zusätzliche Instrumente zum Einsatz kommen – etwa in Form eines "Trojaner Federal" oder ähnlicher Spähsoftware. Der CCC-CH ist ein Zusammenschluss des Chaos Computer Clubs Zürich mit den lokalen Chaostreffs. Die politische Arbeit des CCC-CH wird laut Aussagen des CCC Zürich durch zwei Maximen bestimmt: Informationsfreiheit und informationelle Selbstbestimmung, kurz "öffentliche Daten nutzen, private Daten schützen", wie es ein Gründermitglied des CCC ausgedrückt habe. So fordere der CCC-CH beispielsweise Transparenz, was die öffentliche Verwaltung sowie die Kontrolle im Netz betrifft. Grundsätzlich solle das Internet "ein von der Wirtschaft und dem Staat unbehelligter und unkontrollierter Raum" sein, in dem weder Überwachung noch Eigentumsansprüche (Patente, ACTA) den ungehinderten Zugang zu Informationen beschränkten.

Zudem fordert der CCC-CH von den Netzbetreibern die Einhaltung der Netzneutralität, damit keine Mehrklassengesellschaft der Nutzer entstehen kann. Ein Thema, das auch den Grünen am Herzen liegt. Balthasar Glättli, Grüne-Nationalrat des Kantons Zürich, hat Mitte Dezember eine Motion eingereicht, in dem er fordert, die Netzneutralität gesetzlich zu verankern. "Die Netzneutralität muss als Grundbaustein der Informations- und Meinungsfreiheit explizit festgehalten werden und Fest- wie Mobilnetz betreffen", schreibt er in seinem Statement. Glättli ist der Meinung, dass der Datenverkehr übers Internet diskriminierungsfrei erfolgen müsse. Er befürchtet andernfalls ein Internet, das zwischen Reich und Arm unterscheiden könnte.

Der Bund allerdings wird dem Wunsch von Glättli so schnell wohl nicht nachkommen. Laut Deborah Murith, Mediensprecherin des Bundesamtes für Kommunikation, wird der Bundesrat bei der kommenden Revision des Fernmeldegesetzes geeignete Massnahmen prüfen. "Den Auftrag für diese Revision wird er noch in dieser Legislaturperiode, die bis 2015 dauert, erteilen", so Murith.

Werden E-Commerce-Anbieter benachteiligt?

Stellt sich die Frage, was ein Entscheid des Bundes gegen die Netzneutralität für Unternehmen bedeuten würde, die einen Webshop betreiben. Müssen sie in Zukunft zahlen, um nicht diskriminiert zu werden? Vermutlich nicht. Zumindest dann nicht, wenn man den Aussagen der Schweizer Telko-Anbieter glaubt. Laut Therese Wenger, Mediensprecherin von Orange, bestehen bei Orange derzeit keine Pläne, am Orange-Prinzip "Schnelles Internet für alle" etwas zu ändern oder eine Priorisierung bei den Datendiensten vorzunehmen. "Ob sich aufgrund der rasch wachsenden Zunahme an Datendiensten längerfristig eine Änderung aufdrängt, kann aus heutiger Sicht offengelassen werden, da wir ausreichend Kapazitäten zur Verfügung stellen können", so Wenger.

Auch Sunrise setzt auf Gleichberechtigung, schliesst aber mögliche Änderungen nicht aus. Sunrise beobachte die Entwicklungen rund das Thema Netzneutralität mit grossem Interesse, sagt Mediensprecher Tobias Kistner. "Wir behandeln heute den gesamten Breitbandverkehr von Festnetz und Mobile neutral – es werden also weder Kunden bevorzugt noch benachteiligt." Neue Inhalte, insbesondere Streaming-Dienste, seien allerdings mit einem überdurchschnittlichen Bandbreitenbedarf verbunden. Sunrise investiere jährlich bis zu 200 Millionen Franken in die Anpassung seiner Netze an diese veränderten Kundenbedürfnisse. Mögliche Kooperationsszenarien zu einer verursachergerechteren Kostenverteilung bei der Nutzung des Netzes seien für die Branche sicherlich denkbar, würden aber laut Kistner ein gemeinsames Vorgehen der gesamten Branche voraussetzen. Konkret lasse sich dazu im Moment allerdings noch nichts sagen.

Auch Swisscom hat laut Mediensprecher Olaf Schulze kein Interesse daran, Internetinhalte zu blockieren oder deren Übertragung zu verlangsamen, da sonst die Kunden zu einem anderen Anbieter abwandern könnten. Wie alle anderen Netzbetreiber müsse Swisscom aber gewissen Diensten Vorrang einräumen, damit deren Qualität gewährleistet werden könne. Dazu gehört zum Beispiel die Datenübertragung per TV aufgrund der qualitativ hochstehende Fernsehbilder. Bei anderen Internetdiensten wie Web-Browsing oder E-Mail-Verkehr sei dies hingegen nicht notwendig.