"Das Preis-Leistungs-Verhältnis wird zugunsten der Dienstleister optimiert"
Stefan Regniet, Outsourcing-Experte im deutschsprachigen Raum und CEO der Beratungsfirma Active Sourcing, erzählt im Interview von spannenden Learnings bei Outsourcing-Projekten und einer erstaunlichen Entwicklung im Banking-Markt. Zudem präsentiert er einen Vorschlag, der HP genau dort Flügel verleihen könnte.
Herr Regniet, täuscht der Eindruck oder ist im aktuellen Jahr in der Schweiz bisher nicht allzu viel los bezüglich grosser Deals?
Das ist tatsächlich so. Bereits 2011 war das Volumen der IT-Outsourcing-Deals im Vergleich zu 2010 deutlich tiefer. Selbst wenn wir die zwei grössten Deals von 2010 herausrechnen, war die Zahl 2011 tiefer. Wir sehen im aktuellen Jahr jedoch Bewegungen hin zu einem Turnaround für 2013. Das erkennen wir einerseits an unserer eigenen Auftragslage. Bis Ende des Jahres sind nicht mehr allzu viele Vertragsabschlüsse zu erwarten, doch ab 2013 sollte wieder deutlich mehr laufen. Die Anzahl der Deals ist grundsätzlich nicht das Problem, denn dort liegen wir mit 20 auch 2012 im Schnitt der letzten Jahre. 2013 wird die Anzahl Deals vermutlich sogar deutlich steigen. Wir können jedoch den Trend bestätigen, dass das Volumen der Deals insgesamt kleiner wird.
Inwiefern haben die tieferen Volumina damit zu tun, dass die Outsourcing-Verträge der grossen Player derzeit noch laufen und kein Bedarf an Erneuerungen besteht?
Wir haben im Moment keine Hinweise auf grössere Vertragserneuerungen. Ganz ausgeschlossen ist dies jedoch nicht.
Dabei könnte man ja eigentlich erwarten, dass aufgrund der Finanzkrise und des starken Kostendrucks viel mehr los sein müsste.
Die Finanzkrise an sich hat unmittelbar keinen Outsourcing-Boom ausgelöst. Sie hat den Markt vorerst eher gelähmt, da die Unternehmen ihre Kernaufgaben in den Vordergrund gestellt haben und dadurch die IT auf der Prioritätenliste nach unten gerückt ist. Wenn es um grosse Entscheide wie Werkschliessungen geht, dann fällt die Ersparnis durch ein IT-Outsourcing weniger ins Gewicht. Die Normalisierung nach der Finanzkrise und ein stetiges Kostenmanagement sind unserer Ansicht nach Ursachen für das gegenwärtige Wachstum.
Die Banken sind vorab wegen neuer Regulatorien und Kostendruck doch ziemlich stark unter Zugzwang. Weshalb halten sich viele Banken nach wie vor zurück?
Es ist schon erstaunlich, dass die IT bei den Einsparungen im Bankensektor immer noch zu wenig im Fokus steht. Selbst als wir einem Kunden angeboten haben, einen Vertrag neu zu verhandeln, mit garantierten Kosteneinsparungen von mehrere Millionen Franken, sagte dieser: Kein Interesse. Ein solches Szenario ist uns in der Industrie noch nie passiert. Die meisten Banken – hier klammere ich die Grossbanken aus – leisten sich viele Funktionalitäten und eine sehr spezifische Abbildung von Prozessen und begnügen sich mit der reinen Nachverhandlung bestehender Outsourcing-Verträge, anstelle substanzielle Veränderungen zu schaffen. Dadurch bleibt die IT nach wie vor teuer und aufwendig wartbar. Stärkere Standardisierung und mehr Fokussierung auf Kernkompetenzen ist nur bei wenigen Instituten ein Thema.
Vor allem die Privatbanken scheinen sich in Zurückhaltung zu üben.
Es ist fast eine Glaubensfrage. Diverse Privatbanken sagen, dass sie wegen ihrer Kundendaten nicht auslagern können. Doch bei grossen renommierten Instituten scheint das IT-Outsourcing ja zu klappen. Dabei ist das Thema Kundendaten paradox: Haben Sie schon einmal gehört, dass ein externer Mitarbeiter eine Daten-CD herausgegeben hat? In all den Fällen, die bekannt geworden sind, waren es immer interne IT-Mitarbeiter, die Daten-CDs veräussert haben, weil sie möglicherweise unzufrieden waren mit ihrem Arbeitgeber. Demgegenüber ist noch kein ähnlicher Fall mit externen Mitarbeitern bekannt geworden. Es ist auch verständlich, weshalb das so ist: Externe Mitarbeiter haben keinen Antrieb, der Bank eins auszuwischen. Sie werden von ihrem Dienstleister bezahlt und dieser hat ein Interesse daran, mit der Bank im Geschäft zu bleiben.
Bezüglich der externen Dienstleister haben Sie im vergangenen Jahr gegenüber der Netzwoche erwähnt, dass die Betriebskostenbei den Standardlösungen etwa für Kernbankensysteme noch wesentlich zu hoch seien – gerade etwa im Vergleich zum Betrieb von ERP-Systemen. Sehen Sie da Veränderungen?
Eigentlich hätte man erwarten können, dass aufgrund des Wettbewerbs unter den Betreibern der Kernbankenlösungen und des Drucks der Banken die Preise sinken. Das ist nicht eingetreten. Im Gegenteil: Das Preis- Leistungs-Verhältnis wird derzeit zugunsten der Dienstleister optimiert. Noch 2009 konnten wir bei Verhandlungen der Deals für unsere Kunden die Schraube anziehen, tiefere Preise erzielen, höhere Service- Levels fordern und alle Dienstleister zogen mit ihren Angeboten mit. Das tun sie heute nicht mehr. Preisnachlässe werden derzeit praktisch nur im Bereich Storage gewährt. Hingegen wird für Application Management unterdessen meistens wesentlich mehr bezahlt als früher.
Woran liegt das?
Nachdem 2004 der grosse Boom der standardisierten Kernbankenlösungen von Avaloq und Finnova eingesetzt hatte, war das zunächst der Beginn eines starken Wettbewerbs bei den Betreibern. Swisscom IT Services hat mit Erfolg den Avaloq-Markt praktisch für sich alleine eingeholt und ist auch heute noch der Platzhirsch. Der einzige relevante Mitbewerber, B-Source, scheint bisher wenig Druck erzeugt zu haben. SITS hat auch im Finnova-Markt eine starke Marktstellung erreicht, musste dort aber IBM, Inventx und Econis Marktanteile überlassen. Der Finnova- Markt ist heute der einzige Markt mit signifikantem Wettbewerb für den Betrieb der Bankenplattformen.
Wie beurteilen Sie die Chancen für HP?
Der bisherige Verkaufserfolg mit IBIS3G ist vorerst eher bescheiden. Der Zeitpunkt für den Einstieg in das Geschäft mit Kernbankenlösungen erfolgte eigentlich viel zu spät. Eine Möglichkeit sehe ich darin, dass HP als Betreiber anderer Lösungen auftreten und zum Beispiel in den Finnova-Markt eintreten könnte. Dazu hätten sie mit der Übernahme der Mitarbeiter von RTC ausreichende Ressourcen. Haben sie sich als Betreiber einer Lösung dann einmal einen Kundenstamm geschaffen, könnte dies auch ein Wegbereiter für den Erfolg der eigenen Softwarelösung werden.
Sie haben jetzt den Bankenmarkt angesprochen. Auch andere Branchen dürften derzeit stark unter Druck sein.
Der Reifegrad bezüglich Outsourcing ist bei den verschiedenen Branchen ganz unterschiedlich. Die Banken sind da doch schon sehr weit fortgeschritten und haben über die Branche hinweg gesehen verhältnismässig viel ausgelagert. Dort stellen sich ganz andere Fragen als etwa in der Energiewirtschaft, in der bisher noch fast nichts ausgelagert wurde. Diese Branche gerät aktuell durch die Liberalisierung des Strommarktes und auch durch den Atomausstieg stark unter Druck. Dieser wird nicht nur dazu führen, dass die Strompreise steigen werden, sondern auch dazu, dass die Unternehmen vermehrt auch IT-Dienstleistungen werden auslagern müssen. Die Exportwirtschaft ist neben den Banken eine weitere Branche mit Outsourcing-Erfahrung, die aufgrund der Situation in Europa vor besonderen Herausforderungen steht. Weshalb? Für die exportorientierten Unternehmen ist es entscheidend, wie es in der Euro-Frage weitergeht. Man muss klar sehen, dass das Produzieren in der Schweiz durch die derzeitige Unsicherheit ganz grundsätzlich infrage gestellt ist. Erstens ist die Produktion im Euroraum deutlich günstiger, unter anderem wegen des gegenwärtig tiefen Euro-Kurses von 1.20 CHF. Zweitens sinkt das Währungsrisiko, das sogenannte Natural Hedging, für stark in diesen Raum exportierende Unternehmen. Das betrifft selbstverständlich auch die Produktion von IT-Dienstleistungen.
Sind in diesem Zusammenhang auch die Pläne von SITS, vermehrt im Ausland zu produzieren, zu sehen?
Es ist abzusehen, dass die lokalen Schweizer IT-Dienstleister vermehrt nur noch diejenigen IT-Dienstleistungen in der Schweiz selbst produzieren werden, die auch tatsächlich in der Schweiz erbracht werden müssen, etwa aus rechtlichen oder sicherheitstechnischen Gründen. IT-Dienstleister mit Produktionsstandort Schweiz können preislich einfach nicht mehr mit der internationalen Konkurrenz mithalten. Das sehen wir etwa bei Cloud- Lösungen. Im EU-Raum gibt es allein durch die Grösse enorm viele Möglichkeiten mit EU-Clouds. Deren Anbieter können mit dem Leverage-Effekt eines grossen Marktes spielen und preislich sehr aggressiv auftreten. Für viele Infrastrukturleistungen bezahlen Kunden in einer EU-Cloud bis zu 50 Prozent weniger als in der Schweiz. Swiss Clouds haben da praktisch keine Chance, sondern sind nur für Unternehmen attraktiv, die nur in der Schweiz verarbeiten wollen.
Was sind sonst generell die spannendsten Learnings, die Unternehmen in den letzten Jahren mit Outsourcing-Projekten gemacht haben?
Ein Learning sehen wir gerade im Bereich der Cloud-Angebote: Zwischen dem, was das Marketing erzählt, und dem, was die Kunden erhalten, gibt es einen enorm grossen Unterschied. Das ist kein schlechter Witz, sondern eine Tatsache, die wir im täglichen Beratungsgeschäft mit diversen Kunden erfahren. Wir sprechen hier vorab von Anbietern von Private-Cloud-Lösungen. Viel erstaunlicher ist folgendes Learning: Es ist erschreckend, wie viele Unternehmen es heute noch gibt, die die genau gleichen Fehler bei IT-Outsourcing- Projekten machen wie vor 20 Jahren. Wir sehen Outsourcing-Verträge und Governance- Konstrukte, bei denen wir uns fragen, ob sich die CIOs vorher überhaupt über die wesentlichen Konsequenzen und Risiken beim Outsourcing informiert haben. Nicht nur bei Anwenderunternehmen, sondern auch bei den Anbietern ist dieses Verhalten kaum verständlich. Letztere unterstützen ihre Kunden so oft auf dem Weg in eine falsche Richtung, obwohl sie es besser wüssten. Wenn der Kunde genug gross ist, tun sie Dinge, die ganz grundsätzlich gegen die branchenüblichen Standards und Best Practices verstossen. Sie tun es aber trotzdem, wenn der Kunde es so haben will, ohne dagegen Einspruch zu erheben.
Woran liegt das?
Über IT-Outsourcing tauschen sich die CIOs einfach noch zu wenig aus – als wäre das Thema immer noch ein Tabu. Dabei gibt es derart viele Vorträge, Zeitschriften, Informationsplattformen, aber auch Beratungsunternehmen. Ein Multi-Millionenprojekt wird lieber mit Laien realisiert, als dass man etwas Geld für den Beizug von Experten ausgibt.

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