"Ich würde gerne Menschen aus dem Silicon Valley auf den Campus holen"
Nach acht Jahren als Dekan der Fakultät für Informatik und Kommunikation an der ETH Lausanne zieht es Willy Zwaenepoel in seinem Sabbatical ins Silicon Valley. Dort will er Kontakte knüpfen und nicht zuletzt auch Investoren davon überzeugen, in Schweizer Start-ups zu investieren.

Herr Zwaenepoel, Sie haben gerade zwei Amtszeiten von jeweils vier Jahren als Dekan der Fakultät für Informatik und Kommunikation an der ETHL hinter sich. Welche Pläne haben Sie?
Zunächst möchte ich ein Sabbatical an der Stanford University im Silicon Valley einlegen. Ich müsste im Juli 2012 zurückkehren. Dann wird man sehen. Ich möchte als Professor zurückkehren, aber mein Ziel ist es nicht ausschliesslich, zu unterrichten oder wissenschaftliche Beiträge zu verfassen. Ich habe in der Vergangenheit Artikel veröffentlicht und die Lorbeeren geerntet und ich denke, meine jüngeren Kollegen sind heute genauso gut in der Lage dazu wie ich – ich möchte nicht auch noch den Nobelpreis bekommen! Ich möchte mich nun viel intensiver der Gründung von Start-ups im Informatikbereich in der Region widmen. Wir haben eine der besten Informatikfakultäten Europas, neben denen der ETH Zürich, in Cambridge und am Imperial College – sowohl was die Studierenden als auch was die Professoren betrifft. Unternehmerisch und hinsichtlich eines günstigen Ökosystems für die Gründung junger Unternehmen hinken wir jedoch anderen Standorten hinterher. Ich denke, dies ist ein Bereich, in dem ich mehr bewegen kann – und es ist ein äusserst spannendes Projekt.
Haben Sie konkrete Vorstellungen davon, was zu tun wäre?
Ich habe ein paar Ideen. Meine Erfahrung in Stanford und die Kontakte, die ich hier acht Jahre lang als Dekan der Fakultät geknüpft habe, werden mir sicher nützlich sein. Ich würde gerne Menschen und Organisationen aus dem Silicon Valley auf den Campus holen. Dies ist auch einer der Gründe für mein Sabbatical in Stanford. Mein ehemaliger Kollege aus Cambridge hat einen ähnlichen Weg eingeschlagen und war damit sehr erfolgreich. Er ging für mehrere Jahre nach Kalifornien und hat dann das Netz genutzt, das er zu seinem Nutzen und zum Nutzen der Hochschule aufgebaut hatte – er ist übrigens ziemlich reich geworden. Ich hoffe also, Beziehungen zu den Netzen der Venture Capital Gesellschaften (VCs) und zu den Anwaltskanzleien im Silicon Valley knüpfen zu können. Es gibt dort einige, die sich auf die Gründung von Start-ups im Informatikbereich spezialisiert haben. Sie haben den unschätzbaren Vorteil, dass man ihnen nicht alles erklären muss: Sie haben es bereits tausend Mal getan und kennen alle kleinen Fehler, die man nicht machen darf. Mein Ziel wäre es daher, einige dieser VCs und Kanzleien ins Quartier de l’Innovation der ETH Lausanne zu holen. Ich glaube, das wäre bereits eine ganz andere Welt.
Welche Vorteile hätte die Präsenz von amerikanischen Investoren und Anwälten?
Zunächst wäre man miteinander verbunden, da sie zu Hause ihr Netz haben. Dann würden wir das Know-how importieren, das uns noch fehlt. In der Schweiz sind wir sehr kompetent im Pharmabereich und anderen Gebieten, in denen wir traditionell führend sind. In der Informatik ist dies aber anders, da geht es nicht um Patente, sondern vor allem um Menschen, die besondere Kompetenzen besitzen. Das Timing ist ebenfalls anders: im IT-Bereich ist es illusorisch, Projekte auf zehn Jahre zu entwickeln, da sich der Markt viel schneller entwickelt.
Wie wollen Sie amerikanische Investoren für die Region gewinnen?
Das ist das klassische Problem von Henne und Ei: Gibt es nicht viele Start-ups, ist es schwierig, Investoren anzulocken, und ohne Investoren ist es schwierig für die Start-ups, nach oben zu kommen. Man darf jedoch nicht aufgeben, ohne es versucht zu haben. Es geht darum, egal wie gute Startbedingungen zu schaffen. Vor acht Jahren, als ich als Dekan hierher kam, gelang es mir auch, Professoren von prestigeträchtigen Unternehmen und Universitäten hierher zu holen, obwohl man mir sagte, dass dies unmöglich sei. Heute sind die amerikanischen Investoren vor allem in Israel, in England und in China vertreten, aber ich glaube, dass man sie auch hierher holen kann. Der ETHL-Professor Martin Odersky, der die Programmiersprache Scala erfunden hat, die unter anderem von Twitter verwendet wird, hat zum Beispiel eine Investition in sein Unternehmen seitens einer namhaften VCs aus dem Silicon Valley erhalten. Ich habe übrigens von ihrer Präsenz profitiert, um ihnen meine Idee vorzustellen. Und auch wenn sie noch nicht dazu bereit sind, bin ich doch zuversichtlich, dass die Dinge mit ihnen oder mit anderen ins Rollen kommen werden. Nun muss man sie nur noch beschleunigen.
Wie schätzen Sie die Attraktivität der Start-ups im IT-Bereich in der Region ein?
Natürlich gibt es junge Informatikunternehmen, aber es fehlt an Skalierungspotenzial. Sie starten mit Eigenmitteln und öffentlichen Investitionen wie die KTI, bleiben aber meistens unter den kleinen und mittleren Unternehmen und es fehlt ihnen am Willen, einen Gang hochzuschalten. Man kann sie verstehen: Die Gründer tun das, was ihnen Spass macht und beziehen obendrein ein gutes Gehalt. Ausserdem fürchten sie, die Kontrolle an Privatinvestoren zu verlieren, die natürlich Einfluss in der Firma haben wollen, in die sie ihr Geld stecken. Meines Erachtens sollten keine öffentlichen Gelder in diese jungen Unternehmen gesteckt werden, die diese Philosophie vertreten, und man sollte sich eher auf diejenigen konzentrieren, die wirklich gross rauskommen wollen, auch wenn sie scheitern können. Diese Botschaft versuche ich an der Hochschule zu verbreiten. Wir haben weder die Finanzmittel noch die Reserven an Programmierern wie das Silicon Valley und dies zwingt uns, selektiver zu sein.
Welche sind die wichtigsten Forschungsgebiete an der Fakultät für Informatik und Kommunikation an der ETHL?
Wir wollen unsere Forschung natürlich an den wichtigsten Bereichen ausrichten. Für mich ist das wichtigste Thema das Cloud-Computing, das sehr im Kommen ist und beträchtliche Auswirkungen haben wird. Diese Entwicklung geht einher mit der Entwicklung der mobilen Endgeräte, der mobilen Applikationen und Webapplikationen – die Tendenz besteht eindeutig darin, die Rechenleistung in die Cloud zu verlegen und über eine Vielzahl an Endgeräten darauf zugreifen zu können. Dann kommt die Sicherheit, die auch eines meiner Lieblingsthemen darstellt. Die heutige Gesellschaft fusst mehr und mehr auf Software und es müssen Fortschritte gemacht werden hinsichtlich Sicherheit und Zuverlässigkeit, wenn man zum Beispiel an ihre Anwendung in Krankenhäusern denkt. Auch in diesem Bereich muss die Schweiz eine Rolle spielen: Zuverlässigkeit und hohe Qualität sind sozusagen in ihrem genetischen Code festgeschrieben. Es wundert mich, dass im Bereich Design seitens der Studierenden nicht mehr nachgedacht wird. Als die Informatik noch neu war, lagen die Computer in den Händen von Spezialisten. Heute nutzen die meisten Menschen Smartphones und Tablet-PCs, ohne sich wirklich bewusst zu sein, dass sie einen Computer benutzen. Das Verführerische ist nicht mehr die Leistung, sondern mehr und mehr das Design, wo Apple die Nase vorn hat. Auch in diesem Bereich ist die Schweiz sehr kompetent, wenn man nur an die Architektur und die Uhrmacherei denkt. Unsere Zusammenarbeit mit der Ecole Cantonale d’Art de Lausanne (ECAL) geht in diese Richtung. Ein letztes wichtiges Thema ist schliesslich das der grossen Datenmengen, ob es dabei um Speicherung, Analyse oder Indexierung geht. Und dieser Bereich interessiert nicht nur die wissenschaftlichen Institute wie das CERN, sondern auch Facebook, Google oder Swisscom.
Wie ist das Image der Informatik im Vergleich zu anderen Disziplinen innerhalb der akademischen Welt der Schweiz?
Die Informatik hat keinen sehr hohen Stellenwert innerhalb des akademischen Ökosystems und der Forschung der Schweiz. Sie wird oft als Dienstleisterin für andere Disziplinen angesehen. Die besten Studierenden entscheiden sich für Physik, was vor 30 Jahren in den Vereinigten Staaten der Fall war, aber nicht mehr heute. Dieser Mangel an Interesse für die Informatik wird sofort offensichtlich, wenn man das Organigramm des Schweizer Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung betrachtet. In den USA ist die Informatik eine der Hauptabteilungen. In der Schweiz hingegen gibt es vier Abteilungen, von denen die zweite als „Mathematik, Natur- und Ingenieurwissenschaften“ bezeichnet wird. Die Ingenieurwissenschaften bilden eine Unterabteilung, unterhalb derer die Informatik aufgeführt wird – erst auf der dritten Ebene also. Das hat mehrere Folgen. Erstens erhalten wir nicht genug Geld. Dann hat das vor allem als Konsequenz, dass die von uns eingereichten Forschungsprojekte von Personen ausgewählt werden, die aus verschiedenen Disziplinen stammen, die Projekte bevorzugen, die sich nicht ausschliesslich mit IT befassen, sondern nur ihre Anwendung betreffen, wie das Hochleistungsrechnen. Und eine weitere Folge besteht darin, dass die Professoren natürlich ihre Laborarbeiten auf Forschungen ausrichten, die voraussichtlich eine höhere Finanzierung erhalten.
Was wären für Sie rein informatische Disziplinen?
Man muss sich nur die wahren Erfolge anschauen. Google und Facebook sind keine wissenschaftlichen Anwendungen. Ich bin nicht gegen diese Anwendungen, aber sie müssen als Forschungen aus anderen wissenschaftlichen Bereichen angesehen werden. In dieser Hinsicht ist das Ökosystem schlecht organisiert. Wenn es eine einzige Sache gäbe, die ich ändern könnte, so würde ich dort ansetzen. Ich denke, dass die gesamte Informatikwelt in der Schweiz sich daran machen sollte, diese Situation zu ändern. Aber wie so oft darf man sich nicht beklagen und warten, dass die Dinge einem zufliegen, sondern man muss die Ärmel hochkrempeln.
Die Schweizer Informatikbranche scheint die Kräfte zu bündeln..
In der Tat. Im akademischen Bereich sind wir dabei, die ETHs, die Universitäten und die Fachhochschulen zu vereinen, um mit einer Stimme zu sprechen. Die Verbände und die Unternehmen organisieren sich ebenfalls und wir brauchen ihre Lobby-Aktivität. Ich habe auch gute Signale erhalten in den Gesprächen mit den Leitern der grossen Unternehmen der Branche und mit Politikern. Dasselbe gilt für die Tatsache, dass die Informatik der Credit Suisse an der ETH Lausanne Einzug erhält, was niemandem entgangen ist.
Wie steht es um das ewige Problem der Informatikerknappheit?
Dieses Problem betrifft nicht nur die Polytechnischen Schulen. Wir haben Bedarf an Informatikern aller Bildungsstufen, vom ETHs über die Fachhochschulen bis hin zu den Universitäten. In dieser Hinsicht gibt es gute Neuigkeiten: An der ETHL hat sich die Anzahl der Studierenden im Fachbereich 2005-2006 stabilisiert und hat in den letzten beiden Jahren sogar beträchtlich zugenommen, auch wenn noch nicht wieder das Niveau der 2000er Jahre erreicht wurde. Dies ist übrigens ein gutes Beispiel für die Ergebnisse, die man erzielen kann, wenn alle an einem Strang ziehen, wie hier die akademische Welt, die Industrie und die Hasler-Stiftung. Es sind stetige Bemühungen, die sich in der Förderung der Informatik an den Gymnasien, aber auch in unserer Fähigkeit, ausländische Studierende anzuziehen und zu halten, zeigen. In diesem Zusammenhang ist die Neirynck-Initiative zur Förderung ausländischer Diplome zu nennen. Wenn man sich die Start-ups betrachtet, die in der Region geschaffen werden, stellt man fest, dass viele von ihnen von ausländischen Unternehmern gegründet werden. Die Situation in den USA ist ähnlich und dies ist nicht überraschend, denn die Tatsache, dass jemand sein Land verlässt, verrät viel über seine Abenteuerlust.

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