UBS CIO im Interview

"Mit IT lässt sich keine Bank retten, aber mit der falschen IT eine versenken"

Uhr | Aktualisiert
von Thomas Brenzikofer

Als Leiter UBS IT Schweiz und CIO Wealth Management & Swiss Bank ist Stefan Arn Herr über 3500 IT-Spezialisten und damit für eine der grössten IT-Organisationen in der Schweiz zuständig. Der Netzwoche erklärt Arn, warum der ICT-Standort Schweiz für die Grossbank von zentraler Bedeutung ist.

Herr Arn, seit Anfang des letzten Jahres ist die UBS mit einer neu formierten IT-Organisation unterwegs. Wie tiefgreifend sind die Veränderungen ausgefallen?

Als eines der letzten Unternehmen mit über einer Milliarde IT-Budget hat sich die UBS noch lange eine Silo-Informatik geleistet. Es gab zwar sogenannte Shared Functions für den Betrieb, doch jeder Unternehmensbereich hatte seine eigene IT. Der Group-CIO hatte nur einen beschränkten Einfluss auf Entscheidungen in diesen Silos. Dies hat sich nun mit der Bildung von Group Technology unter der Leitung von Michele Trogni geändert. Heute gilt: So eigenständig wie nötig und so gemeinsam wie möglich. Gerade in Bereichen wie Finanzen oder Human Resources gab es viele Parallelentwicklungen und Redundanzen, die jetzt eliminiert wurden.

Dafür zählt das Organigramm jetzt fast ein Dutzend CIOs.

Die UBS beschäftigt in der IT weltweit 9000 Mitarbeitende. Auf der horizontalen Ebene wurden neu vier Provider-Bereiche etabliert, die je einem CIO unterstellt sind. Geblieben sind die IT-Organisationen der einzelnen Sparten und deren CIOs. Letztere sind „Business Facing“ im Gegensatz zu den Providern, die einen klaren Dienstleistungsauftrag zu erfüllen haben. Als weitere Ebene kommen dann noch die Regionen USA, UK/EMEA, Schweiz und Asien hinzu.

Hat die Reorganisation eher zu einer Aufwertung des Schweizer ICT-Standorts innerhalb der UBS geführt oder umgekehrt?

Faktisch hat die Schaffung von Group Technology den Prozentanteil der Schweizer IT-Belegschaft erhöht. Dies hat vor allem damit zu tun, dass die UBS an anderen Standorten eine grössere Zahl von Mitarbeiterabgängen zu verzeichnen hatte.

Unter dem Strich bedeutet dies aber auch, dass Stellen in der IT abgebaut wurden – trotz ICT-Fachkräfte-Mangel.

Das hängt eben stark vom Profil ab. Fakt ist, dass der Schweizer Markt für gewisse Spezialistenfunktionen vollkommen ausgetrocknet ist. Wir haben momentan über 100 offene IT-Stellen in der Schweiz. Es gibt Stellen, die schon seit zwei Jahren unbesetzt sind. IT-Kompetenzen mit ganz spezifischem Bankfach-Know-how sind zum Teil extrem schwierig zu finden. Ebenfalls schwierig ist es, international erprobte Projektleiter einzustellen. Für viele Profile müssen wir heute mindestens in ganz Europa, wenn nicht global suchen.

Kommen diese Leute gern zum Arbeiten in die Schweiz oder wird man die Tätigkeiten vermehrt ins Ausland verlagern müssen?

Unsere Feststellung ist, dass die Schweiz weiterhin sehr attraktiv ist. Die Ansiedlung ist nicht das Problem, sondern die Arbeitsbewilligung. Gerade für Spezialisten ausserhalb der EU ist dies in den vergangenen Jahren sehr viel schwieriger geworden. So mussten wir jüngst zwei Projekte im Ausland ansiedeln, weil sich in der Schweiz nicht die richtigen Skills finden liessen und wir die notwendigen Arbeitsbewilligungen für ausländische Spezialisten nicht erhalten hätten. Zudem treibt der Fachkräftemangel natürlich auch die Preise und Löhne in die Höhe, was die Auslagerung von Tasks an günstigere Standorte ebenfalls beschleunigt.

Das heisst, dem ICT-Werkplatz Schweiz droht die Erosion?

Ja, diese Gefahr besteht. Auf einen Schlag werden Unternehmen ihre IT nicht an einen anderen Standort verlegen. Aber nach und nach ist eine Verlagerung nicht auszuschliessen.

Stellt dies für die Bank ein Problem dar?

Auch für die Bank wäre eine solche Entwicklung suboptimal. Unsere Schweizer Mitarbeitenden sind überaus loyal und identifizieren sich sehr mit der UBS, was sehr viel wert ist und gerade in strategischen und längerfristigen Projekten die nötige Nachhaltigkeit garantiert. Es ist sehr wichtig für ein Finanzinstitut, das IT-Know-how gepaart mit Banking-Know-how möglichst in den eigenen Reihen behalten zu können.

Wer ist Ihrer Meinung nach gefordert, um dem Fachkräftemangel zu begegnen?

In erster Linie die IT-Branche. Ich glaube nicht, dass man von der Politik verlangen kann, dass sie unsere Probleme wirklich nachvollziehen, geschweige denn antizipieren soll. Wir müssen uns als Branche schon selbst Gehör verschaffen. Wir brauchen dringend effiziente Rahmenbedingungen, um die von uns benötigten Kompetenzen sehr viel unbürokratischer in unser Land bringen zu können. So sind zum Beispiel die Kontingente für Arbeitskräfte aus dem aussereuropäischen Ausland viel zu tief angesetzt. Das Abstruse dabei ist, dass an der ETH zum Teil Leute aus China für teures Steuergeld ausgebildet werden, diese bei uns dann ein Praktikum absolvieren, aber keine Festanstellung annehmen können, weil sie nach Studienabschluss nach Hause geschickt werden. Dabei muss man klar sehen: Wenn wir die Fachkräfte für spezifische Aufgaben nicht ins Land holen dürfen, dann verlieren letztlich auch Schweizer ihre Stelle, weil die Projekte eben abwandern.

Der UBS und anderen Grossbanken wird vorgeworfen, mit eingeflogenen Fachkräften aus Osteuropa oder Indien hierzulande Lohndumping zu betreiben.

Das ist blanker Unsinn. Die Stellen sind ja hier ausgeschrieben, und es gibt für uns keinen Grund, keine Schweizer anzustellen. Nur melden sich eben keine. Es ist ebenso naiv, zu denken, wir können einem Ukrainer oder Inder weniger bezahlen. Die Arbeitsämter stellen das konsequent sicher. Auch die Strafen sind vergleichsweise hart. In extremis riskiert man die Sperrung sämtlicher Ausländerkontingente. Dann hat man als Grossunternehmen definitiv ein Problem.

Sie scheinen das Problem des Fachkräftemangels eher durch Immigration von Fachspezialisten begegnen zu wollen als durch Unterstützung der ICT-Berufsbildung. Überlässt man das lieber den Kollegen von der Credit Suisse?

Ich kann offen sagen, dass wir nicht in die Stiftung ICT-Berufsbildung einzahlen. Zum einen, weil die Stiftung gut finanziert ist, zum anderen weil die UBS zum Zeitpunkt der Gründung andere finanzielle Prioritäten setzen musste. Wir setzen uns aber auf anderen Wegen für die ICT-Berufsbildung ein, unter anderem durch die Unterstützung von Organisationen wie „Engineers Shape our Future Ing.CH“. Zudem sind wir der grösste ICT-Ausbildner der Schweiz. Man muss aber klar sehen: Jeder investierte Franken in die Ausbildung wird sich frühestens in 10 Jahren auszahlen.

Unter ICT-Anbietern haben solche Initiativen auch Kopfschütteln ausgelöst, weil man im gleichen Zeitraum die Finanzkrise dazu nutzte, massiv die Tagessätze nach unten zu schrauben.

Dass Tagessätze teilweise gekürzt wurden, trifft zu. Aber das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Sobald wir unsere IT in Group Technology konsolidiert hatten, mussten wir feststellen, dass einzelne IT-Anbieter pro Sparte, für die sie tätig waren, für die gleiche Arbeit sehr unterschiedliche Tagessätze verrechnen konnten. Diese Ansätze haben wir nun vereinheitlicht. Trotzdem: Auch als UBS haben wir nicht die Marktmacht, um die Preise beliebig diktieren zu können. Es ist ja nicht so, dass es in der Schweiz zu einem ICT-Dienstleister-Sterben gekommen ist. Im Gegenteil, ich kenne kaum einen etablierten Anbieter, dessen Auftragsbücher nicht voll sind. Wir befinden uns also weiterhin in einem Anbietermarkt.

Und die Finanzkrise spielte bei dieser Diskussion überhaupt keine Rolle?

Die Konjunktur spielt insofern eine Rolle, als es einfacher ist, in Zeiten der Krise Projekte aufzuschieben, um sich so bezüglich Staffing etwas Luft zu verschaffen. Zudem lassen sich eher Fixpreise aushandeln. Letzteres wollen wir auch beibehalten. Denn wenn ein Lieferant bereit ist, sich am Projektrisiko zu beteiligen, dann soll das auch honoriert werden. Umgekehrt, arbeitet er auf Basis von Zeit und Material, fehlt ihm jeglicher Ansporn, das Projekt zeit- und budgetgerecht abzuliefern.

Die Konsolidierung unter den Lieferanten soll aber vor allem kleinere Schweizer Anbieter getroffen haben.

Nein, das Gegenteil ist der Fall. Gelitten haben eher die grossen internationalen Anbieter. Wir haben zwar die Menge der Lieferanten reduziert, nicht aber das Budgetvolumen, dieses ist gestiegen. Davon haben dann vor allem die Schweizer Anbieter profitiert. In den einzelnen Regionen arbeiten wir vorzugsweise mit den dort ansässigen Spezialisten zusammen. Diese haben dann auch das Recht, in anderen Regionen anzubieten. Wenn sich also ein Schweizer Dienstleister ein Herz fasst und in den asiatischen Raum expandiert, dann hat er gute Chancen auch dort für die UBS tätig zu werden. Das war vor der Neuorganisation sehr viel schwieriger.

Wie schlägt sich denn der ICT-Werkplatz Schweiz?

In der Schweiz bekommen wird die höchste Qualität. Unsere Schweizer Lieferanten können so in puncto Preis/Leistung bestens mithalten. Zudem ist die Dichte an spezifischem Banken-Know-how hierzulande sehr gross.

Aber der typische Schweizer Anbieter gilt eher als konservativ, was die Expansion anbelangt.

Das stimmt zwar. Aber wir sehen derzeit, dass sich einige unserer Schweizer Lieferanten über eine Auslandsexpansion Gedanken machen. Ich finde das sehr erfreulich. Bislang waren viele IT-Anbieter zu selbstgenügsam. Es ging ihnen eben auch sehr gut mit dem Status quo. Doch der Markt verändert sich, und wenn man weiterhin mitspielen will, muss man flexibler sein. Braucht die UBS in Hongkong eine Software und ein Schweizer Anbieter ist vor Ort, dann hat er aus meiner Sicht sehr gute Chancen, berücksichtigt zu werden.

Nähe ist also wichtig. Ist daraus zu schlies­sen, dass Offshoring oder Nearshoring für die UBS eher weniger ein Thema ist?

Nein. Wir haben mehrere Projekte, die wir global sourcen. So bauen wir derzeit den Bereich Host-Applikationen in Manila auf den Philippinen aus. Ob Offshoring oder auch Outsourcing funktioniert, hängt stark von der Maturität der eigenen Organisation ab. Man muss die Schnittstellen richtig setzen und in der Lage sein, diese über die Zeitzonen und kulturellen Grenzen hinweg effizient zu managen. Als IT-Organisation mit 9000 Mitarbeitenden haben wir sicher eine Grösse, die es uns im Verlauf der vergangenen Jahre erlaubt hat, alle möglichen Konstellationen durchzuspielen und Erfahrungen zu sammeln. Inzwischen wissen wir ziemlich genau, was funktioniert und was nicht.

Die UBS leistet sich eine relativ hohe IT-Fertigungstiefe, wird das bleiben?

Dies wird sich in den nächsten Jahren stark verändern. Wir werden uns mehr und mehr auf diejenigen Bereiche fokussieren, in denen der Technologieeinsatz einen Wettbewerbsvorteil generiert. Alles, was Commodity ist, soll hingegen von einem externen Spezialisten erbracht werden, denn dieser kann aufgrund der Skaleneffekte einen Service in gleicher Qualität zu geringeren Kosten erbringen. So können wir als Bank von der Industrialisierung, die derzeit in der IT stattfinden, profitieren.

Wie sieht es denn mit dem Corebanking-System aus, ist dieses nun Commodity oder strategisch?  

Weder setzen wir auf ein Standardsystem, noch entwickeln wir alles selbst. Wir verfolgen einen hybriden Ansatz. Im Einsatz sind verschiedene Standardkomponenten, die in ein Ganzes eingebettet sind. Von den über 50 Niederlassungen weltweit läuft nur die Schweiz auf einem eigenen Gebilde. Überall sonst wenden wir ganz verschiedene Systeme an.

Ist das nicht ein Luxus, wird man dies nicht irgendwann vereinheitlichen müssen?

Nein, aus unserer Sicht sind die Märkte zu verschieden. "One size fits all" sieht zwar auf dem Papier gut aus, bewährt sich aber in der Praxis nicht. Allenfalls wird der Betrieb günstiger. Dies bezahlt man aber damit, dass man an Flexibilität verliert und kompetitive Vorteile preisgibt, weil sich die lokalen Eigenheiten nicht mehr so einfach abbilden lassen. Unser Ziel ist es ja nicht, möglichst günstig zu sein, sondern eine gute Topline zu erreichen. Mit einer Aldi-IT lässt sich kein Angebot für Feinschmecker betreiben. Oder mit anderen Worten: IT kann keine Bank retten, aber mit der falschen IT kann man eine Bank versenken. Die IT in der Finanzindustrie geniesst wahrscheinlich, vielleicht abgesehen von einem AKW, so ziemlich das grösste Exposure. Wenn sich in einer Versicherung die Auszahlung eines Schadenfalles um ein paar Tage verspätet, gefährdet dies das Geschäft kaum. Kann hingegen ein Börsengeschäft nicht termingerecht abgewickelt werden, ist dies unter Umständen existenzbedrohend. Hinzu kommen die gesetzlichen und regulatorischen Verpflichtungen, die bei Nichteinhalten gar zum Lizenzentzug führen können.

Dies betrifft vor allem den Betrieb. Inwiefern ist die interne IT für die Innovation von strategischer Bedeutung?

Unsere Banken-IT muss nicht primär innovativ zu sein, im Zentrum steht der Betrieb. Ich muss jedoch wissen, was technisch möglich ist und wohin die Entwicklung geht.

Ist das denn nicht Teil der Innovation?

Diesbezüglich bin ich zu sehr Ingenieur. Wissen, wie man was zu welchem Zweck einsetzen kann, ist allenfalls kreativ, aber nicht innovativ. Innovation bedeutet, etwas grundlegend neu zu erfinden. Aber das wird heute oft anders gesehen. Wenn ich mit gewissen Leuten aus unserer Branche rede, dann bekommt man schnell einmal den Eindruck, man habe zuerst das E-Banking erfunden und erst dann das Internet.

Ist es nicht wettbewerbsrelevant, ob eine Bank ihre iApp selbst bauen kann oder nicht?

Die Realität ist, dass man schneller ans Ziel kommt, wenn man das entsprechende Know-how extern beschafft, zumal dieses auf dem Markt vorhanden ist. Es gibt Bereiche, wo dies anders aussieht. Hier kann es durchaus sein, dass es von strategischer Bedeutung ist, über ein spezifisch technisches Know-how zu verfügen.

Eine starke Schweizer ICT-Landschaft ist also für die UBS wichtig?

Genau, das ist der Punkt. Businessanalyse oder Projektleitung machen wir intern. Wir müssen unsere Plattform und unsere Finanzanwendungen im Griff haben sowie das Business verstehen und vor allem wissen, wie Technologie und Banking zusammengebracht werden können. Das ist unsere Kernkompetenz. Das Engineering, die Implementierung, das Kodieren oder das Testen können andere hingegen teilweise ebenso gut zusammen mit unseren Leuten ausführen.

Wo sehen Sie denn in den nächsten Jahren die grossen Baustellen, und wo orten Sie die strategischen Sweetspots für die Banken-IT?

Die grösste Herausforderung betrifft die regulatorischen Bewegungen. Diese haben teils massive Auswirkungen auf unsere Systemlandschaft. 60 Prozent unserer Ressourcen gehen momentan in solche Projekte.

Damit verdient man aber noch kein Geld? Wo spielt denn die Musik?

Mobile und Virtualisierung sind die offensichtlichsten Bereiche. Die Zeiten der traditionellen Familienbank sind vorbei. Heute unterhalten die meisten Kunden Beziehungen zu unterschiedlichen Banken. Deshalb muss man sich vor allem beim Service differenzieren können. Dies gelingt, indem man dem Kunden nicht nur beim Reporting mehr Tiefe bietet, sondern auch eine grössere Convenience. Deshalb sehe ich über die nächsten Jahre vor allem ein gros­ses Potenzial in der Customer-Facing-IT. Hier verfügen wir auch über einen strategischen Vorteil. Die Fusion zwischen dem Bankverein und der SBG hat uns seinerzeit gezwungen, in ein sehr robustes modernes Banking-System zu investieren. Damit sind wir nun in der Lage, sehr flexibel auf die Bedürfnisse unserer Kunden einzugehen.

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