Interview mit Walter Kägi, CEO von Atos Schweiz

"Unsere Mitarbeiter prophezeiten, dass es ohne E-Mails nicht funktionieren würde"

Uhr | Aktualisiert
von Janine Aegerter

Walter Kägi, CEO von Atos Schweiz, spricht im Interview über das Ziel von Atos, zukünftig ohne E-Mails auszukommen. Zudem erzählt er, was es bedeutet, als IT-Provider der Olympischen Spiele tätig zu sein.

Walter Kägi, CEO von Atos Schweiz, hofft, dass er in zehn Jahren schmunzelnd auf die heute exzessive E-Mail-Zeit zurückblicken kann. (Quelle: Atos Schweiz)
Walter Kägi, CEO von Atos Schweiz, hofft, dass er in zehn Jahren schmunzelnd auf die heute exzessive E-Mail-Zeit zurückblicken kann. (Quelle: Atos Schweiz)

Herr Kägi, Atos ist der zweitgrösste IT-Service-Provider in Europa. Dennoch ist das Unternehmen in der Schweiz nicht sonderlich bekannt, wenn man sich ein bisschen umhört. Wie kommt das?

Das mag daher rühren, dass Atos respektive die frühere Atos Origin mit zirka 70 Mitarbeitenden in der Schweiz zu den kleineren Dienstleistern gehört.

Sie haben nach dem Zusammenschluss von Atos und der IT-Sparte von Siemens den Posten des CEOs von Atos Schweiz übernommen. Fühlen Sie sich wohl in Ihrer neuen Rolle?

Ja, es ist eine äusserst interessante und spannende Aufgabe. Ich war bei Siemens ja schon für die Service-Line-Systemintegration in der Schweiz verantwortlich und durfte global das Defense- und Security-Geschäft neu aufbauen, bevor ich nun die Position des CEOs von Atos Schweiz übernommen habe. Das war sozusagen mein Gesellenstück. Ich habe extrem viel gelernt in dieser spannenden Zeit.

Was haben Sie denn gelernt?

Ich habe gelernt, schnell Entscheidungen zu treffen, in einem internationalen Umfeld zurechtzukommen und Hindernisse und Eskalationen zu bewältigen.

Was bereitet Ihnen Sorgen?

Die hohe Belastung der Mitarbeiter während des Zusammenschlusses hat mir Sorgen bereitet. Alles kam gleichzeitig, die Systemumstellung, die Integration, die Ungewissheit. Trotz dieser Belastung mussten die Mitarbeiter Top-Leistungen erbringen. Das war vor allem für diejenigen eine Belastung, die Doppel- oder Mehrfachrollen besetzen. Aber das ist bereits besser geworden.

Was bereitet Ihnen Freude?

Ich freue mich zu sehen, dass die Anstrengungen, die wir im Rahmen dieser Firmenzusammenführung unternommen haben, Früchte tragen. Zudem konnten wir unser Portfolio vergrössern, indem wir Lösungen der Ex-Atos-Origin in der Schweiz verkauft und dadurch zusätzliches Business generiert haben.

Wie ist die Übernahme überhaupt vonstatten gegangen?

Bei einer solchen Übernahme kommt es natürlich immer zu Kämpfen. Es gibt den Käufer und diejenigen, die übernommen werden. Menschen sind involviert, verschiedene Kulturen prallen aufeinander. So etwas verläuft nie ohne Probleme.

Gab es nach der Übernahme viele Abgänge?

Ja, es gab Abgänge, gewollte und ungewollte. Aber wir haben seither auch viele neue Mitarbeiter eingestellt. Die Neuen akzeptieren die Situation natürlich leichter. Für die anderen ist die Umstellung etwas härter. Sie müssen sich umgewöhnen. Bei manchen geht das schnell, andere brauchen dafür etwas länger.

Was ist denn bei Siemens anders als bei Atos?

Siemens hat einen industriellen Background und tickt anders als eine reine IT-Firma. Atos hingegen verfügt über eine komplett andere Unternehmenskultur. Wir sind sehr dynamisch und verfügen über flache Hierarchien. Zudem reagiert Atos schnell auf Gegebenheiten am Markt oder auf andere Einflüsse. Wir arbeiten nach dem Motto: "The faster you go, the less you have to do."

Man kann Dinge auch zu schnell machen und dadurch mehr Fehler produzieren.

Ich meine nicht, dass das bei uns der Fall ist. Ich will damit sagen, dass man Dinge, die man erledigen kann, sofort erledigen sollte. Was für mich eine niedrige Priorität hat, hat für einen anderen Mitarbeiter vielleicht eine hohe Priorität. Daher sollten wir einander gegenseitig unterstützen. Ausserdem wird die Qualität der Entscheidungen tendenziell besser, wenn man sie schnell fällt, als wenn man sie vor sich her schiebt.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit in einem internationalen Umfeld?

Die funktioniert gut. Natürlich bringt jeder seinen Hintergrund mit. Es ist nicht immer einfach, aber schliesslich muss man damit umgehen können, genauso wie mit den Zeitverschiebungen. Denn durch den Zusammenschluss der beiden Unternehmen mit ihren unterschiedlichen geografischen Ausrichtungen ist Atos viel internationaler geworden. Wir sind kein föderales System von verschiedenen Landesgesellschaften, sondern ein stark verwobenes Netzwerk. Damit können wir auch die Power bringen, um den Anforderungen der internationalen Kunden gerecht zu werden.

Wie ist Atos Schweiz organisiert?

Als IT-Service-Provider verfügen wir über zwei Service-Lines: die Systemintegration und Managed Services. Zur Systemintegration gehört unter anderem unser Defense-and-Security-Kompetenzzentrum. Dort entwickeln wir IT-Lösungen für die Armee und für Organisationen der öffentlichen Sicherheit und Rettung. Wir verfügen mit rund 100 hochqualifizierten Softwareentwicklern und -architekten über eine starke Softwareentwicklung im Haus. Die Arbeit rund um Sicherheitsthemen erfordert das.

Welche Projekte laufen derzeit bei Atos Schweiz?

Erwähnenswert im Zusammenhang mit der neuen Atos ist im Bereich Managed Services unser Nearshore-Konzept. Wir lagern gewisse Standardservices intern nach Russland, Polen oder Rumänien aus, um kostengünstiger zu werden werden. Zudem werden wir unser Zuger Rechenzentrum verlagern. Wir bauen in einer Colocation bei Green eine komplett neue, vollständig redundant angelegte Rechenzentrumsinfrastruktur.

Gibt es noch andere Projekte?

Ja, ein globales Projekt. Wir wollen unsere Arbeitsplätze zu Smart Workplaces machen. Dabei geht es darum, den Wohlfühlfaktor bei der Arbeit zu erhöhen und so als Arbeitgeber attraktiver zu werden. Um das erreichen zu können, wollen wir unter anderem den Anteil mobiler Arbeitsplätze erhöhen. Ziel ist es, dass die Mitarbeiter arbeiten können, wo sie wollen, und weniger pendeln müssen. Viele können zuhause konzentrierter arbeiten. Zudem wollen wir mehr Flex Desks bauen für Mitarbeiter ohne fixen Arbeitsplatz. Die heutigen Kommunikationsmittel lassen eine solche Arbeitsweise problemlos zu. Davon wollen wir profitieren.

Atos hat mit seiner Zero-Mail-Initiative in den Medien für Furore gesorgt. Um was geht es dabei genau?

Es ist eine globale Initiative mit dem Ziel, die E-Mail-Flut massiv zu reduzieren. Lanciert hat sie unser Chairman und CEO, Thierry Breton. Bei statistischen Erhebungen, die wir durchführten, fanden wir heraus, dass unsere Mitarbeiter täglich durchschnittlich drei bis vier Stunden mit dem Bearbeiten und Lesen von E-Mails verbringen. Ich selbst zum Beispiel erhalte pro Tag weit über hundert E-Mails. Allein während unseres Gesprächs steigt der Zähler stetig (lacht).

Wie hoch ist der Anteil der E-Mails, die für Sie wirklich relevant sind?

Das sind laut unserer Messungen ungefähr 20 Prozent.

Was erhoffen Sie sich von der Initiative, abgesehen davon, dass Sie die E-Mail-Flut eindämmen können?

Wir möchten, dass sich unsere Mitarbeiter auf die wichtigen Dinge konzentrieren können und nicht dauernd durch Unwichtiges abgelenkt werden.

Aber Mitarbeiter werden ja auch durch Telefone und ihre Arbeitskollegen abgelenkt.

Das stimmt. Wobei die persönliche Begegnung ja meist etwas Positives ist, zumindest empfinde ich das so. Was das Telefonieren betrifft, stellten wir fest, dass weniger telefoniert und mehr über E-Mails abgewickelt wird.

Wie lautet der Fahrplan?

Wir haben im Januar hier in der Schweiz als erstes Land angefangen und wollen bis Ende Juni das Vorhaben umsetzen. Bis Ende 2013 soll das Projekt weltweit ausgerollt sein.

Und wie soll das in der Praxis funktionieren?

Wir haben ein cloudbasiertes Collaboration Tool namens Bluekiwi. Der Name stammt von der gleichnamigen Firma, die wir letztes Jahr übernommen haben. Man kann chatten, Dateien hochladen, nach Schlagwörtern oder Mitarbeitern suchen. Man sieht sofort, wer was gepostet hat, man kommt schnell zu Informationen und kann das Wissen im gesamten Unternehmen besser nutzen als bisher. Es entstehen weniger Fehler, weil sich alles auf der Plattform befindet. Zudem verschwimmen die Grenzen innerhalb der Organisation, da sich Communitys bilden und man auch in solchen denkt. In drei bis fünf Jahren wollen wir zudem mit unseren Partnern und Kunden so kommunizieren.

Das ist ein hochgestecktes Ziel. Wie wollen Sie das erreichen?

Wir organisieren Kundenevents und stellen dort die Initiative vor. Da Bluekiwi in der Cloud läuft, kann jeder Kunde, der sich dafür interessiert, das Tool relativ kostengünstig einführen und nutzen. Er kann es auch vor dem Kauf testen, wenn er das wünscht. Momentan haben wir rund 30 Bluekiwi-Kunden.

Nutzen Sie persönlich Bluekiwi bereits?

Ja, wir haben bereits die ersten Communitys gebildet. Es ist natürlich gewöhnungsbedürftig, weil man die Arbeitsweise umstellen muss, das ist klar. Aber ich freue mich darauf, es richtig zu nutzen.

Wie haben Ihre Kunden bisher auf die Initiative reagiert?

Sie sind neugierig und wollten wissen, wie das funktionieren soll (lacht).

Wie haben die Mitarbeiter reagiert?

Kritisch. Sie prophezeiten, dass es nicht funktionieren würde ohne E-Mails. Sie konnten sich das Ganze gar nicht richtig vorstellen. Aber jetzt haben wir uns allmählich daran gewöhnt.

Haben Sie schon erste Feedbacks erhalten?

Ja. Die ersten Feedbacks sind positiv. Die Mitglieder der Communitys berichten, dass es Spass macht und sie mit weniger Aufwand schneller zum Ziel kommen.

Es gibt doch sicher auch negative Aspekte.

Klar, es gibt natürlich Probleme technischer Natur, die wir lösen müssen. Zum Beispiel, wie man einen Prozess vereinfachen könnte, indem man eine Verlinkung zum Sharepoint-Server einfügt. Wir sind laufend daran, diese Dinge anzupassen und haben eine Community, die sich nur um die neuen Releases kümmert.

Glauben Sie, dass auch andere Firmen in Zukunft auf Zero-E-Mail umstellen werden?

Ja, davon sind wir überzeugt. Heute stellen alle fest, dass wir von E-Mails überflutet werden.

Wie werden Sie den Erfolg messen?

Wir werden messen, wie der E-Mail-Verkehr abnimmt. Wir haben Kennzahlen definiert und werden den Erfolg regelmässig intern kommunizieren.

Können Sie den zeitlichen Aufwand ebenfalls vergleichen?

Das wird wahrscheinlich schwierig. Ich meine, wir müssen einfach ein paar Monate damit arbeiten, danach werden wir auch eine Bilanz ziehen können.

Sie sind ja seit 2002 der IT-Provider der Olympischen Spiele, was nur sehr wenige wissen. Was bedeutet das für Atos?

Da man den Termin der Olympischen Spiele nicht verschieben kann, müssen wir sicherstellen, dass wir alles im Griff haben. Liefe etwas schief, wäre das ein Desaster für alle Beteiligten. Daher wenden wir alleine im Vorfeld 200 000 Teststunden mit 500 Szenarien auf, um die Systeme zu testen. Unsere Cyber-Security-Spezialisten verursachen gezielte Probleme, injizieren Viren und trennen die Verbindungen zwischen den PCs und den Servern. Dann werden die Reaktionen und Bereitschaft der verschiedenen technischen Teams beobachtet und analysiert. Entsprechend werden dann Disaster-Recovery-Pläne aufgestellt.

Ist bisher immer alles gut gegangen?

Ja, es ist zum Glück nie etwas passiert.

Müsste man nicht eher sagen, dass nichts passiert ist, dass man mitbekommen hätte?

Unsere IT läuft hervorragend und es ist wirklich nie etwas Gravierendes passiert. Was die Öffentlichkeit nicht mitbekommt, ist, dass unsere Systeme täglich gehackt werden. Aber wir konnten die Angriffe immer erfolgreich abwehren.

Wie viele Server haben Sie jeweils am Austragungsort?

Wir haben etwa 900 bis 1000 Server vor Ort und gegen 10 000 Clients.

Atos ist demnach auch für die Olympischen Spiele in Sochi 2014 und in Rio de Janeiro 2016 zuständig?

Genau. Die Teams, die in London die Olympischen Spiele vorbereiteten, sind nun in Rio de Janeiro und organisieren dort alles für die Olympischen Sommerspiele 2016. Das Team in Sochi ist schon seit 2010 vor Ort. Im Prinzip kann man sagen, dass sich unsere Leute fast wie die Athleten auf die Olympischen Spiele vorbereiten.

Zur Firma: Atos

Atos ist ein europäischer Anbieter integrierter IT-Services. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 76 400 Mitarbeitende in 47 Ländern und verzeichnet einen Umsatz von 8,8 Milliarden Euro. Die Schweizer Atos AG bietet mit rund 600 Spezialisten IT-Lösungen und -Services über die ganze Prozesskette an – vom Consulting über Systemintegrationen bis zum Management komplexer IT-Infrastrukturen. Darüber hinaus agiert die Schweizer Niederlassung seit 2012 innerhalb des Konzerns als Kompetenzzentrum für Telecom, Media & Technology sowie für Public Security mit eigenen Produkten und Lösungen, die global vermarktet werden. Als IT-Partner der Olympischen Spiele gehörte Atos zu dem Team, das London 2012 ermöglichte.

Zur Person: Walter Kägi

Walter Kägi ist seit Anfang 2012 CEO von Atos Schweiz. Zuvor war er zehn Jahre lang in verschiedenen leitenden Positionen bei der durch Atos übernommenen Siemens IT Solutions and Services und bei Siemens Schweiz tätig.

Kägi ist in Neuseeland als Sohn eines Schweizers und einer Schottländerin geboren und wuchs in der Stadt Zürich auf, wo er die Primar- und Sekundarschule besuchte. Er absolvierte eine Lehre als FEAM (heute Elektroniker) bei der damaligen Cerberus AG, die heute zu Siemens gehört. Es folgte ein Studium als Elektroingenieur FH mit Fachrichtung Nachrichtentechnik und Weiterbildungen in Betriebswirtschaft und Unternehmensführung.

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Heute in zehn Jahren:
Werden wir schmunzelnd auf die exzessive E-Mail-Zeit zurückblicken.