Interview

"Wir waren in der Schweiz kaum sichtbar und wurden gut ignoriert"

Uhr | Aktualisiert
von Marcel Urech

Von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen hat sich das Basler Softwarehaus Magnolia zu einem der innovativsten CMS-Hersteller weltweit entwickelt. CTO Boris Kraft spricht über Stolpersteine auf dem Schweizer Markt, Basel als Standort für Softwareentwicklung und vermeintlich billigen Code aus Indien.

Boris Kraft, CTO von Magnolia International Ltd. (Quelle: Magnolia)
Boris Kraft, CTO von Magnolia International Ltd. (Quelle: Magnolia)

Herr Kraft, als CTO von Magnolia sind Sie verantwortlich für die Entwicklung eines CMS, das aus Schweizer Feder stammt. Ist Swissness für Software ein Verkaufsargument?

Auf jeden Fall. Es ist tatsächlich so, dass die Schweizer Mentalität die Entwicklung von gutem Code begünstigt. Wir von Magnolia setzen uns langfristige Ziele und bauen ein Produkt von der Basis auf. Qualität ist dabei wesentlich, denn nur so behalten wir die Folgekosten im Griff. Dieses Entwicklungsmodell ist in den USA zum Beispiel kaum möglich.

Warum nicht?

Der Markt ist schnelllebiger, da ein Investor auf die Rendite fokussiert ist und nicht darauf, einen Beitrag zum Wohlergehen der Menschheit zu leisten. Junge Unternehmen nehmen Risikokapital auf, entwickeln im Eiltempo ein Produkt und versuchen möglichst schnell möglichst viel abzusetzen und eine Nische für sich zu beanspruchen. Dann wird das Unternehmen verkauft, bevor man sich um eine langfristige Strategie Gedanken machen muss.

Nun pauschalisieren Sie aber.

Klar. Aber in den USA ist das ein klassisches Entwicklungsmodell. Verkaufsabteilungen versprechen das Blaue vom Himmel, doch das Produkt hält dem nicht Stand. Unternehmen, die sich so verhalten, machen den Markt kaputt. Das Vertrauen in die Hersteller geht dadurch verloren. Gestützt wird das Modell oft mit vermeintlich billigem Code aus Indien, bei dem es nur darum geht, eine versprochene Funktionalität zu liefern, und nicht darum, ein langfristig solides Produkt und Geschäftsmodell aufzubauen.

Wurde Magnolia ausschliesslich in der Schweiz entwickelt?

Ein Grossteil unserer Entwickler arbeitet in Basel. Ein Kernentwickler ist in Tschechien. Er wollte zurück in seine Heimat, und wir haben ihn damit beauftragt, vor Ort ein Team aufzubauen, das den Support und die Wartung übernimmt.

Aus Basel wegziehen war nie ein Thema?

Nie. Wir sind zwar mehrmals umgezogen, aber immer in Basel geblieben und hier verwurzelt. Ein Umzug ist keine Option.

Was zeichnet den Standort Basel für ein IT-Unternehmen aus?

Die Lebensqualität ist hoch und das internationale Flair spürbar. Auch die Anbindung an den Flughafen ist wichtig. Easyjet hat einen Hub in Basel. In zehn Minuten sind wir am Flughafen und zwei Stunden später bei unseren Kunden in Kopenhagen, Berlin oder Madrid. Das ist ein echter Wettbewerbsvorteil.

Trotzdem bleibt Zürich der Schweizer IT-Standort Nummer eins.

Wir haben Mitarbeiter, die über Jahre in Zürich gearbeitet haben. Sie kommen mit viel Erfahrung nach Basel und lassen sich mit der Familie nieder, weil sich ihr Wertgefüge verändert hat. Geld alleine macht eben nicht glücklich.

Zahlen Sie diesen Mitarbeitern auch Zürcher Löhne?

Wir bezahlen tiefere Löhne als in Zürich – aber in Basel lebt man auch günstiger. Menschen sind generell bereit, Abstriche im Lohn zu machen, und dafür an einer sinnstiftenden Sache zu arbeiten.

Wird Magnolia weiter ausbauen?

Seit 2006 sind wir personell rund 50 Prozent jährlich gewachsen. Heute sind wir 40 Personen und haben Tochterfirmen in Spanien, Tschechien und den USA. Auch dieses Jahr werden wir weiter expandieren. Rund 75 Prozent unseres Umsatzes machen wir in Europa, 20 Prozent in Amerika. Seit Neuestem wachsen wir sogar in der Schweiz.

Wie bitte? Die Schweiz als Knacknuss?

Oh ja. Wir waren hier lange Zeit kaum sichtbar und wurden gut ignoriert. Wenn ein Schweizer IT-Verantwortlicher Software evaluiert, blickt er erst einmal über die Grenze. Produkte grosser amerikanischer Firmen werden bevorzugt. Da braucht es schon einen langen Atem.

Nicht so in Saudi-Arabien, wo Magnolia das Middle East Broadcasting Center (MBC) als Kunde gewinnen konnte. Wie schafft das ein Basler Unternehmen?

MBC hat über 160 Millionen Zuschauer und wollte seine Dienste im Web ausbauen. Das Auswahlverfahren hat über ein Jahr gedauert, wobei mehr als 170 Produkte evaluiert wurden. Am Ende blieben vier übrig: drei proprietäre und Magnolia.

Was gab den Ausschlag für Magnolia?

Der Favorit von MBC war ein geschlossenes System, das die Geschäftsprozesse des Unternehmens genau so abbildete, wie sie es haben wollten. Magnolia konnte dies standardmässig zwar nicht. Da es aber offen ist, kann Fehlendes einfach nachgebaut werden. MBC machte einen Lasttest: Magnolia war das einzige System, das nicht zusammenbrach. Nun bringt uns das Lizenzeinnahmen in Millionenhöhe.

Open Source ist also nicht das wichtigste Verkaufsargument?

Nicht mehr. Ein Produkt muss zunächst Kundenwert generieren. Ist das gegeben, bringt Open Source aber einen klaren Mehrwert. Jeder, der mit Code vertraut ist, kann Magnolia einfach erweitern und in die bestehende Infrastruktur integrieren.

Anmerkung: Das Interview mit Boris Kraft erschien in der Netzwoche 10/2012.