"Wir planen, vor das Gericht für Menschenrechte in Strassburg zu gehen"
Balthasar Glättli, Netzpolitiker und Nationalrat der Grünen, äussert sich zu den Entscheidungen des Ständerats zum Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF).
Herr Glättli, in einem früheren Interview mit der Netzwoche sagten Sie, dass der Datenschutz in Bern zu wenig ernst genommen werde. Wie stehen Sie heute dazu?
Ganz simpel gesagt: Ich denke, dass man das alles "post Snowden" ein wenig radikaler sehen muss. Die ganze NSA-Affäre hat mir gezeigt, dass der Unterschied zwischen den Daten, die der Staat im Rahmen des Staatsschutzes sammelt und denen, die Unternehmen sammeln, gar nicht so gross ist, wie man das immer dachte. Diese Erkenntnis bezieht sich übrigens nicht nur auf die Vereinigten Staaten. Zudem frage ich mich, wie wir als Individuum reagieren sollen und wie die Politik reagieren wird. Ausserdem sollte das Datenschutzgesetz endlich einmal erneuert werden, es ist extrem veraltet. Der Bund will derzeit das Vorgehen der EU abwarten, aber diese Haltung ist zu defensiv. Während das Europa-Parlament praktisch einig ist, blockieren einige Staaten den Abschluss.
Welche Daten sammeln denn Unternehmen?
Daten, die man in sozialen Netzwerken hinterlässt, werden für Benutzerprofile miteinbezogen. Damit kann man ernorm viel über eine Person erfahren. Diese Daten lassen sich nicht nur kommerziell missbrauchen, auch Geheimdienste können solche Informationen missbräuchlich nutzen.
Die neuen Entwürfe für das BÜPF und das Nachrichtendienstgesetz stehen ja derzeit zur Debatte. Wie stehen Sie zu den beiden Papieren?
Was wir Grünen am BÜPF (Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, Red.) kritisieren, ist der Pauschalverdacht, der der Vorratsdatenspeicherung zugrunde liegt. Zudem haben wir ein Problem mit dem Bundestrojaner, weil er viele zusätzliche Probleme mit sich bringt. Es ist unmöglich, sicherzustellen, dass nicht Dritte unberechtigterweise auf infizierte Computer zugreifen und damit Schaden anrichten. Was das Nachrichtendienstgesetz betrifft, lehnen wir Grünen es ab. Der Nachrichtendienstes des Bundes (NDB, Red.) nimmt ja für sich in Anspruch, dass er entscheiden kann, ob etwas potenziell gefährlich ist oder nicht. Die Beispiele, die der NDB zu seiner Rechtfertigung bringt, sind schlecht: Proliferation beispielsweise ist sowieso ein Strafbestand, da braucht es keine Sonderrechte für den NDB. De facto "braucht" der NDB Sonderrechte nur für sogenannt politische Delikte und genau das darf unserer Meinung nach nicht stattfinden, das führt direkt zurück zum Schnüffelstaat. Ich finde es wichtig, dass wir die Logik der Aufrüstungsspirale der Geheimdienste durchbrechen und die Schweiz sich auf dem internationalen Parkett für klare Grenzen der Spionage einsetzt.
Was meinen Sie damit?
Wir müssen international das Bewusstsein fördern und einen politischen Konsens finden, der die Spionage in anderen Ländern verurteilt. Die meisten Länder setzten ja dem eigenen Geheimdienst Grenzen bei der Bespitzelung ihrer eigenen Bürger und verbieten auch, dass ausländische Geheimdienste im eigenen Land tätig sind. Gleichzeitig geben sie aber ihrem Ausland-Geheimdienst genau die Kompetenzen, die er im Inland nicht hat. Die Geheimdienste tauschen dann untereinander jene Informationen aus, die sie selbst nicht sammeln dürfen: Information ist die Währung der Geheimdienste. Würde die USA eine Konvention unterschreiben, die verbietet, dass Geheimdienste im Ausland tätig sind, müssten sich alle daran halten, weil ihre Handlungen sonst in den USA selbst illegal wären.
Ist es nicht eine Illusion, zu glauben, dass Gesetze die Geheimdienste davon abhalten, Informationen zu sammeln?
Natürlich bedeutet das nicht, dass in Zukunft nicht gegen das Gesetz verstossen würde. Ich bin ja nicht naiv! Aber immerhin hätte man einen Anlass, die Geheimdienste zu kontrollieren. Wenn etwas verboten ist, drohen zudem die entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen, wenn etwas aufgedeckt wird. Oder, anders gesagt, man kann nicht alles hundertprozentig verhindern, aber man kann durchaus wirksame Hürden einbauen.
Hat die Snowden-Affäre Auswirkungen auf Ihr persönliches Kommmunikationsverhalten?
Ich kommuniziere seither mit verschlüsselten E-Mails, aber das ist natürlich weniger bequem als vorher. Ich nutze auch verschlüsselte Chat-Applikationen, oder zumindest solche, von denen ich denke, dass sie End-zu-End verschlüsselt sind.
Wie stehen Sie zu den Entscheidungen des Ständerats zum BÜPF?
Was mich enttäuscht, ist, dass die Kommission des Ständerats auf der Linie des Bundesrates geblieben ist und unter anderem die Ausbreitung der Vorratsdatenspeicherung von 6 auf 12 Monate akzeptiert. Der Ständerat hat so mit grossem Mehr etwas beschlossen, was der Europäische Gerichtshof innerhalb der EU als Grundrechtsverletzung gewertet und untersagt hat. Weil der Entscheid des Ständerats so zu erwarten war, habe ich mit anderen Leuten zusammen – koordiniert von der Digitalen Gesellschaft - Mitte Februar eine Klage gegen den Dienst ÜPF eingereicht. Wir gehen damit bewusst nicht auf die Telkos los, die führen ja nur aus, was man ihnen gesetzlich aufträgt.
Was versprechen Sie sich davon?
Wir sind uns bewusst, dass wir damit in der Schweiz auf taube Ohren stossen werden. Unser Plan ist, vor das Menschenrechtsgericht in Strassburg zu gehen. Wenn der Europäische Gerichtshof die Vorratsdatenspeicherung kritisiert, haben wir eine gewisse Chance, mit dieser Kritik auch in Strassburg durchzukommen.