Offener Brief

Human Brain Project in der Kritik

Uhr | Aktualisiert

Das derzeitige Vorzeigeprojekt der ETH Lausanne, das Human Brain Project, steht in der Kritik. Die Gegner befürchten, dass es wegen angeblich zu hoch gesteckter Ziele aus dem Ruder laufen könnte.

(Quelle: Netzmedien)
(Quelle: Netzmedien)

Zahlreiche Wissenschafter aus aller Welt haben einen offenen Brief an die Europäische Kommission unterzeichnet, in dem das Human Brain Project (HBP) kritisiert wird. Dies berichten verschiedene Zeitungen unter Berufung auf die Schweizerische Depenschenagentur.

Die Unterzeichner weisen darauf hin, dass das HBP von Beginn weg zu Kontroversen geführt habe und dass sich viele Forschungslabors dagegen gesträubt hätten, daran teilzunehmen. Als Grund dafür wird in dem Brief der "zu enge Fokus" genannt, der dazu führen könnte, dass das Projekt scheitert (und damit natürlich wertvolles Geld, das man für andere Forschungsprojekte einsetzen könnte, verloren wäre).

Das Projekt sei nicht auf Kurs, heisst es weiter. Die Europäische Kommission müsse das HBP daher genau unter die Lupe nehmen, einerseits aus wissenschaftlicher Sicht, andererseits aus der Sicht des Managements.

Subjektive oder objektive Kritik?

Manche der Unterzeichner seien von Anfang an gegen das Projekt gewesen seien, wird Gérard Escher, ein Berater des Human Brain Projects, zitiert. Bis Mitte 2016 koste das HBP rund 54 Millionen Euro. Erst danach werde die Grössenordnung steigen und dann könne man auch über zusätzliches Geld streiten.

Bei der ganzen Diskussion um das HBP stellt sich daher die Frage, wie berechtigt die Vorwürfe des offenen Briefs tatsächlich sind - oder ob es primär um die Angst geht, dass Geld verloren gehen könnte. Tatsache ist, dass die Erforschung des Hirns enorm viel Zeit und Ressourcen in Anspruch nimmt. Wie Henry Markram, Hirnforscher und Leiter des Human Brain Projects, Ende 2013 an einem Anlass von IBM erklärte, dauere es ein ganzes Jahr, um ein einziges synaptisches Leitungssystem ("a synaptic pathway") des Gehirns abbilden zu können. Das Problem dabei: Es gebe 3'000 synaptische Leitungssysteme. Hinzu kämen die Kosten: Ein Jahr, das die Forscher investierten, koste eine Million US-Dollar - und dies für einen Teil des Gehirns, der etwa der Grösse einer Stecknadel entspreche, sagte Markram damals.

Aus diesem Grund hätten sich die Hirnforscher für eine neue Vorgehensweise entschieden. Statt das gesamte Hirn bis in jedes Detail zu erforschen und abbilden zu wollen, versuchten sie, gewisse Annahmen beziehungsweise Voraussagen anhand von Basisregeln zu treffen, nach denen das menschliche Gehirn funktioniere. Statt der 3'000 hätten sie bisher nur 25 synaptische Leitungssysteme abgebildet und nutzten das daraus gewonnene Wissen, um Voraussagen und Modellannahmen zu treffen. Mittels Simulationen, die über Supercomputer laufen, könnten sie diese nach dem Trial-and-Error-Prinzip zu beweisen versuchen.

Ziel des Human Brain Projects

Das Human Brain Project soll unter anderem mithelfen, das menschliche Hirn und dessen Krankeiten dank neuer Technologien besser zu verstehen. Das Projekt steht unter der Leitung der ETH Lausanne und wurde im Rahmen eines Forschungsrahmenprogramms der EU, den sogenannten Flaggschiff-Initiativen, ausgezeichnet. Die Europäische Kommission stellt für die ausgewählten Projekte knapp 500 Millionen Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren in Aussicht. Weitere 500 Millionen Euro sollen die Staaten von über 135 europäischen Forschungsanstalten sowie die Wirtschaft beisteuern. Mit den FET Flagships will die EU grosse, ambitiöse Forschungsvorhaben mit visionären Zielen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) fördern.

Update vom 11. Juli: Die ETH Lausanne hat sich inzwischen zur Kritik geäussert.