Plädoyer für gleich lange Spiesse

Schweizer Fintech-Branche fordert weniger Regulierung

Uhr | Aktualisiert
von Christoph Grau

Am Swiss Fintech & Digitization Day hat sich die Branche für weniger Regulierungen ausgesprochen. Noch glaubt die Branche an ihre Chance im internationalen Wettbewerb. Auch der Bundespräsident will einige Anregungen vom Event mit nach Bern nehmen.

Johann Schneider-Ammann, Bundespräsident und Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung. (Quelle: Netzmedien)
Johann Schneider-Ammann, Bundespräsident und Vorsteher des Eidgenössischen Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung. (Quelle: Netzmedien)

Im Kaufleuten in Zürich ist am 3. Mai der erste Swiss Fintech & Digitization Day zu Ende gegangen. An den Event kamen rund 300 Gäste, vornehmlich aus der Schweizer Finanzbranche. Neben vielen grauen Anzügen mit Krawatten, grauen Hosenanzügen und weiteren Business-Outfits mischte sich auch die eine oder andere nicht ganz office-konform gekleidete Person.

An der fehlenden Krawatte seien diese Start-up-Unternehmer aus der Fintech-Branche zu erkennen, brachte es Moderator und Mitveranstalter Thomas Sutter von der Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) humoristisch auf den Punkt.

Lobby-Veranstaltung für Schweizer Fintech

Die Idee für die Konferenz wurde nicht einmal zwei Monate vor dem Event geboren, sagte Mitveranstalterin Christina Kehl, Mitgründerin von Knip und Board-Mitglied von Swiss Finance Startups. Ziel der Veranstaltung sei es gewesen, über die Bedürfnisse der Fintech-Branche aufzuklären und für Verbesserungen zu werben.

Dazu wurde Bundespräsident Johann Schneider-Ammann nach Zürich eingeladen. Auch in seiner Funktion als Vorsteher des Departements für Wirtschaft, Bildung und Forschung soll er Werbung für die Anliegen der jungen Branche in Bern machen. Um sich mit der Branche und ihren Anliegen vertraut zu machen, verbrachte er zunächst den Vormittag im Büro von Knip. Danach informierte er sich am Event an Round Tables über die Bedürfnisse der Fintech-Unternehmen.

Zürich will an Steuern schrauben

Doch bevor Schneider-Ammann auf die Bühne trat, begrüsste Corine Mauch, Stadtpräsidentin von Zürich, die Anwesenden. Sie betonte den hohen Stellenwert der Finanzbranche für die Stadt Zürich, wo jeder vierte Franken direkt oder indirekt über die Finanzwirtschaft verdient werde.

Die neue Fintech-Industrie könnte daher auch einen erheblichen Beitrag für einen prosperierenden Finanzplatz Zürich leisten. "Die Voraussetzungen sind gut", sagte Mauch. Ausser ICT-Clustern, erstklassigen Bildungseinrichtungen, gut qualifizierten Fachkräften und einer hohen Lebensqualität könne der Standort auch mit einem stabilen Wirtschafts-, Rechts- und Politiksystem punkten.

Darüber hinaus will sich die Stadt stärker als bisher für ein besseres steuerliches Umfeld engagieren. "Hier gibt es noch Luft nach oben", sagte Mauch und meinte damit Steuererleichterungen für die Fintech-Branche.

Schweizer Fintech-Branche hinkt hinterher

Zu Beginn seiner Rede ging Bundespräsident Schneider-Ammann auf den grossen Abstand der Schweizer Fintech-Branche im Vergleich zu den Mitbewerbern an den Standorten in den USA, in Grossbritannien und Deutschland ein. Dieser Abstand werde an den vergleichsweise geringen Investitionen von Venture Capital, also Risikokapital, in der Fintech-Branche ersichtlich, sagte der Bundespräsident.

Er untermauerte seine Ansicht anhand von Zahlen: In den USA würden fast 9 Milliarden und in London fast 3 Milliarden US-Dollar an Venture Capital investiert. In der Schweiz waren es im gleichen Zeitraum hingegen nur 58 Millionen. Um diesen Abstand wieder aufzuholen, müssten die jungen Fintech-Unternehmen mit den gestandenen Playern eng zusammenarbeiten, sagte Schneider-Ammann.

Schneider-Ammann nimmt Forderungen mit nach Bern 

Durch seinen Besuch bei Knip und die Diskussionen mit der Branche habe er viel gelernt. Diese Anregungen wolle er mit nach Bern nehmen. "Vor allem mit meinem Kollegen Ueli Maurer werde ich intensiv sprechen", sagte Schneider-Ammann.

Die Regulierungen für Fintechs müssten seiner Meinung nach angepasst werden. Der Bundesrat habe dies auch schon erkannt und einen Auftrag zur Überarbeitung der Regulierung an das Finanzdepartement erteilt. Zwischen Frühling und Herbst solle sich einiges bewegen, kündigte Schneider-Ammann an. Zudem habe der Bund auch gezeigt, dass es schnell gehen könne. Etwa bei der Genehmigung von Videokommunikation zur Eröffnung eines Bankkontos.

Finanzierung durch Private, keine Geld vom Bund

Das grösste Problem für die Fintech-Szene stellt laut Schneider-Ammann die Finanzierung da. Er forderte die Privatwirtschaft deshalb dazu auf, sich stärker an den Fintech-Projekten zu beteiligen. Die Politik sehe sich nicht in der Verantwortung, finanzielle Unterstützung anzubieten, sie könne nur für die nötigen Rahmenbedingungen sorgen, sagte der Bundespräsident.

"Die erste Million bekommt man in der Regel", sagte Schneider-Ammann. Damit liesse sich ein Geschäftsmodell entwickeln. Es fehle aber an Risikokapital, um den Firmen bei der Überwindung des sogenannten "Tal des Todes", also die Zeit bis zur Marktreife eines Produkts, zu helfen. Hier brauche es viel Geld, allerdings sei das Risiko hier auch am grössten. Ebenso die möglichen Gewinne, betonte der Bundespräsident.

Er forderte daher mehr Risikobereitschaft. Unternehmer und Geldgeber, die Risiken eingehen, sollten auch dann noch von der Gesellschaft geschätzt werden, wenn eine Investition schiefgeht. Wenn jemand strauchelt, solle ihm wieder aufgeholfen werden, damit er den nächsten Risikoversuch unternehmen kann, sagte Schneider-Ammann abschliessend.

Weniger Regulierung gefordert

Im Anschluss an die Präsidentenrede folgte ein Podium mit Vertretern von Banken, Fintech, Politik und Wissenschaft. Mehrheitlich forderten die Podiumsteilnehmer die Politik dazu auf, bessere Rahmenbedingungen für Fintech zu schaffen. Der Tenor war, dass die Schweizer Start-ups gleich lange Spiesse benötigten, um sich gegen Finanzplätze wie London, Singapur oder Berlin durchsetzen zu können. Dort hätten die Unternehmen deutlich mehr Freiheiten.

Dabei sprachen sich die Beteiligten eindeutig gegen staatliche Eingriffe und Finanzierungen aus. Die Politik solle einzig die Rahmenbedingungen dem internationalen Wettbewerb anpassen. Dies bedeute etwa weniger Regulierung durch die Finma. Denn Fintech-Start-ups liessen sich nicht so einfach in die bestehenden Schablonen wie Bank oder Finanzverwaltung pressen.

Die Regeln müssten daher technologieneutral formuliert werden, forderte etwa Claude-Alain Margelisch, CEO der SBVg. Die gesetzliche Grundlage müsse es den Start-ups erlauben, sich schnell zu bewegen.

Pensionskassengelder in Venture Capital umwandeln

Am Ende des Podiums kam die Diskussion auf eine Motion im Parlament. Diese schlägt vor, dass 1 Prozent der Pensionskassengelder als Hochrisikokapital für die Finanzierung von Start-ups verwendet werden können. Widerspruch zu dem Vorschlag gab es von FDP-Nationalrat Beat Walti. Seiner Meinung nach sollten nicht die Vorsorgegelder für solche Zwecke verwendet werden. Es gebe genügend Geld aus anderen Töpfen.

Bundespräsident Schneider-Ammann konnte der Idee aber durchaus etwas abgewinnen. Seiner Meinung nach sollte es in der Entscheidungsgewalt des Anlagechefs der Pensionskasse liegen, einen kleinen Teil der Gelder auch als Venture Capital zu verwenden. Schneider-Ammann ging in seinen Ausführungen sogar so weit, dass er Verluste durch dieses Vorgehen in Schutz nahm. Sollte die Investitionen verloren gehen, dann sollte der Anlagechef trotzdem noch eine hochgeachtete Person bleiben und keine negativen gesellschaftlichen Konsequenzen fürchten, denn er habe etwas gewagt.

Kommentar:
Es ist schon sehr gewagt, das Geld der Pensionskasse für hochriskante Investitionen in Start-ups verwenden zu wollen. Die Gelder werden überwiegend von abhängig Beschäftigten eingezahlt, in der Hoffnung auf eine zumindest bescheidene Rendite der Gelder für den Ruhestand. Daher sind die PKs dazu verpflichtet, möglichst konservative Anlageformen zu wählen. Der Bereich Venture Capital ist hier fehl am Platz. Es kann auch nicht die Verantwortung der Angestellten sein, eine Start-up-Branche zu fördern und dafür einen Teil ihres hart erarbeiteten Geldes zu riskieren.
In der reichen Schweiz gibt es genügend Unternehmen, Stiftungen und Privatpersonen, die Millionen von Franken zur Verfügung haben. Mit diesem Geld könnte leicht eine lebhafte Start-up-Szene finanziert werden.

Die Wirtschaft steht in der Verantwortung, in ihre eigene Zukunft zu investieren.
Denn gerade die Wirtschaftsvertreter verlangen nach unternehmerischen Freiheiten. Damit einher geht aber auch eine Verantwortung für die Gemeinschaft. Unter diesem Blickwinkel ist es der völlig falsche Ansatz, für risikoreiche unternehmerische Entscheidungen die Allgemeinheit in die Haftung zu nehmen. Das Risiko sollte vielmehr von der Wirtschaft getragen werden. Denn am Ende profitieren auch sie viel mehr von den Gewinnen als die Pensionskasseneinzahler.

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