Verwaltung

E-Government: eine Auslegeordnung

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von Dr. Christopher H. Müller, CEO und Inhaber, Die Ergonomen Usability, Zürich

Wenn die Schweiz beim E-Government hinterherhinkt, dann hat das viele verschiedene Gründe. Es bremsen etwa die föderalen Strukturen, das (Selbst-)Verständnis von Verwaltung, das mangelnde Zielgruppendenken, um nur einige zu nennen. Statt nun zum wilden Kampf an allen Fronten aufzurufen, hier der Versuch einer Auslegeordnung.

Christopher H. Müller, CEO und Inhaber, Die Ergonomen Usability, Zürich. (Quelle: Die Ergonomen Usability)
Christopher H. Müller, CEO und Inhaber, Die Ergonomen Usability, Zürich. (Quelle: Die Ergonomen Usability)

Die Schweiz kommt, wie es scheint, mit dem E-Government einfach nicht so recht voran, und zwar schon seit den Anfängen in den 90er-Jahren. Im internationalen Vergleich hinkt sie chronisch hinterher. Gemäss dem "E-Government Survey 2014" der Uno liegt sie europaweit auf Platz 30, womit sie gegenüber der Klassierung 2012 gar 15 Ränge verlor.

Ist das ein Grund zur Beunruhigung? Es ist sicher nicht der Untergang der Eidgenossenschaft, aber etwas nachdenklich stimmen sollte uns das schon. Fragen wir einmal nach den Gründen. Allgemein anerkannt ist, dass die Schweiz als ausgesprochen föderalistisches Land bei solchen übergreifenden Aufgaben von Natur aus langsamer vorankommt als zentralistischer organisierte Staaten wie etwa Deutschland, Frankreich oder Österreich. Kommt noch hinzu, dass in der Schweiz eine konsensorientierte Kultur herrscht, die das E-Government auch eher ausbremst.

Der Fluch einer guten Verwaltung

Ein weiterer Punkt ist, dass es in der Schweiz momentan eigentlich gar keinen Druck von der Basis hin zum E-Government gibt. Die Verwaltung funktioniert im internationalen Vergleich hervorragend, und man muss den Bürgern schon sehr gute Gründe liefern, dass sie digitale Angebote überhaupt nutzen. Immerhin verlieren sie beim E-Government den persönlichen Kontakt zur Person hinter dem Schalter. Das ist besonders in kleineren Gemeinden ein Handicap, weil man in vielen Fällen die Leute vom Amt ja persönlich kennt. Auf ewig wird das aber kaum so bleiben – es darf hier nämlich spekuliert werden, dass vielen Digital Natives der persönliche Kontakt wohl eher egal ist.

Ein weiteres Hemmnis ist bei der politisch-institutionellen Kultur anzusiedeln. Die Verwaltungseinheiten von Bund, Kantonen und Gemeinden agieren in der Schweiz vergleichsweise autonom – man nennt das auch Divisionalisierung. Sie führt dazu, dass die fortschrittlichen Amtsstellen durchaus innovative E-Government-Angebote entwickeln, die dann aber einsam und versteckt in den Tiefen der grossen Gemeinde-Website vor sich hindümpeln. Der Bürger sucht aber oft ämterübergreifende Dienstleistungsbündel – man kann die auch One-Stop-Shops oder Single Points of Contact nennen. Ein Beispiel: Neu Zugezogene müssen sich bei der Einwohnerkontrolle anmelden, brauchen für ihr Kind einen Platz im Kindergarten, sollten für ihr Auto eine Parkkarte lösen, wenn sie es auf der Strasse vor dem Haus abstellen wollen. Dafür wollen sie weder einen Nachmittag vor den diversen Schaltern der zuständigen Ämter verbringen noch stundenlang deren jeweilige Subsites danach absuchen.

Auf der technischen Seite fehlt der Schweiz schlicht eine digitale Identität, die erst die Grundlage für viele Transaktionen im Web bildet. Das ist wohl auch ein Grund dafür, dass das E-Government in der Schweiz noch immer überwiegend Information und Kommunikation, kaum aber Transaktionen anbietet. Die SuisseID hat sich nicht durchgesetzt, und mögliche Nachfolger werden gerade erst von verschiedenen Firmen entwickelt. Laut aktuellem Schwerpunktplan des Steuerungsausschusses E-Government Schweiz soll die elektronische Identität aber bis 2019 etabliert sein.

Die Krux mit der Kundensicht

Nicht zuletzt behindert auch die mangelnde Nutzer- und Nutzungsfreundlichkeit der vorhandenen Angebote das Fortkommen im E-Government. Schaut man sich die real existierenden Angebote an, muss man zum Schluss kommen, dass auf den Verwaltungen oft noch nicht einmal der Schritt von der Innen- zur Kundensicht vollzogen wurde. Von dem, was man heute gemeinhin unter einem guten Nutzererlebnis versteht, ist auf den Verwaltungsseiten nicht viel zu finden. Und die Amtssprache, die man auch im Web oft vorfindet, tut ein Übriges, die Bürger eher auf Distanz zu halten.

Dieses Konglomerat aus erschwerten Rahmenbedingungen, technischen Unzulänglichkeiten und suboptimaler Darreichungsform hemmt die (interne und externe) digitale Transformation der öffentlichen Dienste in der Schweiz ganz bedeutend. Und dabei ist diese Aufzählung bei weitem noch nicht vollständig.

Jetzt bloss keinen wilden Aktionismus!

Was kann also getan werden, um in dieser Sache weiterzukommen? Angesichts der vielfältigen Probleme mag man sich fragen, wo man denn nun überhaupt anfangen soll. Hier der Versuch, eine Schneise zu schlagen:

  1. E-Government ist keine internationale Castingshow. Deshalb gibt es jetzt auch keinen Grund für wilden Aktionismus. Die digitale Transformation soll vor allem nützen, und zwar den Bürgern, der Wirtschaft und der Verwaltung. Dabei gilt es insbesondere auch, den Nutzen für Letztere nicht zu übersehen. Wie das gehen kann, zeigen etwa die Versicherungen: Sie bauen schon eine Weile an E-Commerce-Plattformen, die ebenso den Kunden im Web, den Mitarbeitenden im Kundendienst und den Aussendienstlern weiterhelfen.
  2. E-Government muss in eine Multi-Channel-Strategie eingebettet sein. Will heissen: Die Angebote auf allen Kanälen sollen sich ergänzen und wiedererkennbar sein. Auch hierfür gibt es mittlerweile bewährte Konzepte, wie sie etwa die Schweizerische Post und ihre Töchter umsetzen.
  3. Das Internet ist nur ein Kanal unter vielen. Es tritt bei uns vor allem in Konkurrenz zum persönlichen Kontakt auf der Verwaltung. Entsprechend toll muss das Nutzererlebnis sein, das hier geboten wird, und entsprechend vertrauenerweckend müssen Transaktionen gestaltet sein.
  4. Mobile Government ist bloss ein Teil des digitalen Kanals. Man sollte also nicht haufenweise Geld in mobile Projekte stecken, nur weil die Industrie gerade behauptet, "Mobile Irgendwas" sei die Lösung aller Probleme. Selbstverständlich soll man die mobilen Nutzer aber auch nicht vergessen, etwa indem man ihnen zuoberst auf dem Display Nutzerinformationen liefert und nicht ein überdimensioniertes Header-Bild.
  5. Genutzt wird E-Government von den Bürgern nur dann, wenn es ihre Sicht und Bedürfnisse abbildet. Nutzer sind keineswegs bereit, sich in die Organisationsstruktur ihrer Verwaltung hinein­zudenken, um das gesuchte Angebot nach langem Stöbern endlich zu finden. Das könnte man natürlich lösen, indem man eine Koordinationsabteilung gründet, die eingegangene Anfragen und Begehren den einzelnen Verwaltungsstellen zuweist. Das eigentliche Potenzial des E-Governments lotet man damit aber nicht aus (Verbesserung der Servicequalität, Verschlankung der Prozesse, Einsparung von Ressourcen etc.)
  6. E-Government ist eine landesübergreifende Angelegenheit. Es erreicht seine volle Wirkung nur, wenn die Angebote der Ämter, Gemeinden, Kantone und des Bundes möglichst ähnlich zu bedienen sind. Dabei ist es nicht einmal wichtig, dass sie ständig dem allerletzten Stand der Technik angepasst werden. Viel wesentlicher ist, dass sie den Erwartungen der Nutzer entsprechen. Wie die aussehen, zeigen etwa die beliebten Onlineangebote des Handels.
  7. Gutes E-Government kostet viel, nützt aber auch viel. Es ist deshalb ein Unding, dass bei den üblichen Sparübungen meist zuerst in diesem Bereich gekürzt wird. Viel gescheiter wäre es, zumindest die Kernsysteme nach dem Prinzip "einmal entwickeln, mehrfach nutzen" zu beschaffen. Hierfür müsste man sich aber gemeinde-, wenn nicht gar kantonsübergreifend zusammentun und beschaffungsrechtliche Hürden eliminieren. Das ist ja nichts Neues in der Schweiz und es kann funktionieren, wie die vielen überkommunalen Zweckverbände in den Bereichen Ver- und Entsorgung zeigen.
  8. Das schönste Layout, das beste Prozessdesign nützt nichts, wenn der Onlineschalter eine Sprache spricht, die die Bürger nicht verstehen. Dieser Punkt mag banal klingen, aber er gilt unter Kommunikationsfachleuten nach wie vor als eine der grössten Knacknüsse bei der Interaktion zwischen Bürger und Staat. Die Verwaltungen sind einfach seit Jahrhunderten daran gewöhnt, immer denselben passiven Nominalstil zu pflegen. Manch eine Beratungsfirma soll sich daran schon die Zähne ausgebissen haben. 
Webcode
ITFG1628