Digitale Transformation

So gehen "gute" digitale Behördendienste

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von Andreas Amsler, Mitgründer und Vorstandsmitglied des Vereins Opendata.ch, Product Owner / Business Developer, Liip

Was machen eigentlich «gute» digitale Dienste aus? Was ist zu tun, um «gute» digitale ­Behördendienste zu bauen? Akteure und Gatekeeper der digitalen Transformation unseres Staates stehen bei der Beantwortung und Umsetzung dieser Fragen an. Sie brauchen praktische ­Handlungsanweisungen, die sie anwenden können.

Ein Behördendienst soll digitalisiert werden, eine Fachapplikation nähert sich dem Ende ihres Lebenszyklus. Welchen Weg gilt es einzuschlagen, um ihn zu bauen, sie abzulösen? Eine einfache Frage hilft weiter: Warum will eine Verwaltungseinheit einen Teil des ihr zur Verfügung stehenden Budgets für dieses Projekt ausgeben? Was ist das Bedürfnis, das damit erfüllt wird? Beschafft der Staat dazu Informations- und Kommunikationstechnologien wie etwa Software, geht es nicht einfach um den Einkauf von Technologie. Es geht darum, einen Dienst digital zu transformieren.

Mit Informations-, Kommunikations-, Publikations- und ähnlichen Aufgaben beauftragte Verwaltungsangestellte sind nicht «nur» da, um Websites zu beschaffen, zu konzipieren, zu entwickeln und zu betreiben. Mit ihrer täglichen Arbeit verändern sie auch die Verwaltung als Organisation, als Dienstleister und als Arbeitsprozess.

Handlungsleitende Paradigmen hinterfragen

Wenn der Staat den Wandel der digitalen Revolution aktiv vollzieht, dann sind Teile der Verwaltung nötig, die horizontal handlungsfähig sind – das heisst: über die Grenzen von Direktionen, Ämtern und Departementen hinweg. Von mehreren Verwaltungseinheiten geteilte Plattformen zu bauen und zu betreiben, erfordert eine Änderung der überwiegend vertikal organisierten Verwaltung. Gefordert sind Mutige, die sich für die Überwindung des weit verbreiteten Gärtchen-Denkens einsetzen.

Um die Veränderung anzustossen, ist es entscheidend, die Sprache zu ändern, die eine Institution verwendet. Also: Wie die Mitarbeitenden über ihre Arbeit sprechen, die Wortwahl, die sie benutzen. Darum spreche ich von «digital» und nicht von «Technologie». Ich rede von «Benutzerbedürfnissen» und nicht von «Anforderungen». Ich propagiere «iterative» Beschaffungs-, Konzeptions-, Entwicklungs- und Betriebsansätze, nicht grosse «Neu-Lancierungen» auf den einen, entscheidenden Schlag.

Angestellte von Organisationen folgen Regeln, Verordnungen und Gesetzen. Daraus folgt: Wer den Status quo ändern will, muss die Regeln ändern, und die Mitarbeitenden folgen. Regeln zu befolgen – gerade auch ungeschriebene – verschafft Menschen Beruhigung. Das ist eine gute, keine schlechte Sache. Sie schafft durch Zuverlässigkeit Vertrauen.

Früher war es nicht besser

Will der Staat einen Dienst ablösen oder neu erschaffen, sieht der Standardprozess in etwa so aus:

  1. Ein Gesetz, eine Verordnung, eine Strategie werden ­geschrieben

  2. Annahmen zu Anforderungen werden getroffen

  3. Ein IT-System wird beschafft

  4. Es wird auf die Nutzer losgelassen und

  5. über Jahre ohne Verbesserung betrieben.

Selbst wenn er «gelingt», sichert der Prozess selten mehr als das Verharren im Status quo.

Es fällt schwer, zu glauben, dass das Vorgehen so jemals funktioniert hat. Ich sehe nicht, wie selbst die klügsten Leute eine Strategie entwickeln und Anforderungen schreiben können, ohne sie mit Nutzern zu testen. Das kann schon in der Vor-Internet-Ära nicht funktioniert haben. Und heute, wo die Verwaltung mit Nutzererwartungen konfrontiert ist, die in Bezug auf Qualität, Bequemlichkeit und Aktualität der Dienste durch die Decke gehen? Dann bedeutet der heute angewandte Prozess nicht bloss Stillstand, sondern existenzielle Bedrohung.

«Ein bisschen anders» ist keine Lösung

Wollen wir wirklich digitale Behördendienste bauen, das heisst, diese neu erfinden, indem wir die Mittel des Internets nutzen, dann müssen wir den Prozess komplett reformieren. Und offen über die Tatsache sprechen, warum das notwendig ist. Dabei ist entscheidend, dass wir die politische und strategische Ebene nicht von der Umsetzung trennen. Nur wenn politische und strategische Führungskräfte gemeinsam mit Leuten von der Front zusammenarbeiten, im selben Raum, schaffen wir es, «gute» Dienste zu bauen. Wie sieht der neue Prozess für die Führungskraft einer Verwaltungseinheit aus:

  1. Organisieren Sie einen Raum. Schaffen Sie den richtigen Platz für die Leute, damit sie gut zusammenarbeiten können. Das ist nicht einfach, aber es ist entscheidend für das Resultat.

  2. Stellen Sie ein kleines, multidisziplinäres Team zusammen. Starten Sie klein, aber mit verschiedenen Kompetenzen. Sie brauchen gute Designer, Entwickler, User-Experience-Fachleute und Produktmanager. Aber Sie brauchen auch gute politisch-strategische Fachpersonen und Juristen, die den politischen und gesetzgeberischen Kontext verständlich machen. Und Sie brauchen gute Sicherheitsfachleute, aber vor allem auch Leute von der Front, die täglich mit echten Nutzern im Austausch sind. Diese bringen die Realität ins Team.

  3. Stellen Sie sicher, dass das Team die Absicht einer politischen Entscheidung versteht. Was ist das Prinzip, was ist der Sinn der Änderung, die unternommen werden muss? Wenn die politische Absicht – die leitende Produktvision – klar ist, lässt sich viel unnütze Last an angestauten Pseudo-Anforderungen abstreifen. Das ist wichtig, um Einfachheit und optimale Benutzbarkeit zu erreichen. Was Sie nicht brauchen, muss auch nicht extern beschafft werden.

  4. Vergewissern Sie sich, dass das Team die Werte und Prinzipien ihrer Organisation versteht. Als Führungskraft müssen Sie das Team befähigen, Entscheidungen zu treffen, ohne jedes Mal die Linie hinaufzugehen. Eine gute Möglichkeit ist es, die handlungsleitenden Prinzipien aufzuschreiben und sie am besten öffentlich zu publizieren.

  5. Nun lassen Sie das Team sich auf die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer fokussieren. Es muss die Bedürfnisse nicht bloss sammeln, sondern wirklich verstehen. Wenn Sie die Nutzerbedürfnisse zum wichtigsten Kriterium erklären, schaffen Sie die Voraussetzung, dass die Absicht einer politischen Entscheidung auf eine effektive und potenziell neue Art und Weise realisiert werden kann.

Zehn Prinzipien für «gute» digitale Dienste

Seit 2012 hat sich die britische Regierung neue Werte und Prinzipien für den öffentlichen Dienst gegeben und ihre Prozesse für die digitale Transformation des Staates neu aufgesetzt. Die Resultate sprechen für sich: Basierend auf einem «Government-as-a-Platform»-Ansatz ist Grossbritannien heute mit hochgradig interoperablen digitalen Diensten weltweit führend im E-Government. Die zehn handlungsleitenden Prinzipien * sind kurz und für alle Beteiligten einfach verständlich:

  1. Beginnen Sie mit den Nutzerbedürfnissen.

  2. Machen Sie weniger.

  3. Entwerfen Sie mit Daten.

  4. Nehmen Sie die harte Arbeit auf sich, Einfachheit zu schaffen.

  5. Iterieren Sie. Iterieren Sie nochmals.

  6. Haben Sie alle Nutzerinnen und Nutzer vor Augen.

  7. Verstehen Sie den Kontext ihrer Nutzer.

  8. Bauen Sie digitale Dienste, nicht Webseiten.

  9. Seien Sie konsistent, nicht einförmig.

  10. Veröffentlichen Sie, was Sie bauen: Das macht die Resultate besser.

Will unser Staat – Bund, Kantone und Gemeinden – die digitalen Möglichkeiten nutzen, um seine Aufgaben einfacher, besser und vernetzter zu erfüllen, müssen wir die Art und Weise ändern, wie wir heute für die, in der und als Verwaltung arbeiten. Packen wir es an!

Dieser Beitrag orientiert sich an einem Vortrag von Tom Loosemore, dem stellvertretenden Direktor von Government Digital Services von 2011 bis 2015 im britischen Cabinet Office.

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