Interview

Wie ABB den Sprung in die Industrie 4.0 schaffen will

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ABB will sich vom Hersteller von Industriemaschinen zum digitalen Lösungsanbieter wandeln. Im Interview sagt Chief Digital Officer Guido Jouret, wie das gehen soll, welchen Stellenwert das Thema Industrie 4.0 bei ABB hat und wie das Schweizer Unternehmen im Vergleich zur Konkurrenz dasteht.

Guido Jouret, Chief Digital Officer, ABB Group. (Source: ABB)
Guido Jouret, Chief Digital Officer, ABB Group. (Source: ABB)

ABB gilt als klassischer Industriekonzern. Wie wollen Sie sich zum digitalen Unternehmen wandeln?

Guido Jouret: ABB bringt drei Schlüsselkompetenzen in die digitale Welt ein. Mit einer mehr als 130-jährigen Geschichte verfügen wir erstens über eine einzigartige Perspektive und Fachkompetenz in Bezug auf die Leistungsfähigkeit unserer Produkte, manchmal unter extremsten Bedingungen. Zweitens benötigt das Internet der Dinge ein tiefes Verständnis nicht nur der digitalen, sondern auch der physischen Welt. Wir entwickeln Sensoren auf Basis modernster Materialien und haben Wissenschaftler, die Grundlagenforschung in den Bereichen Werkstoffe, Mechanik und Elektrotechnik betreiben. Drittens hat ABB in einem grossen Spektrum an Branchen ein einmaliges Know-how über die Prozesse seiner Kunden aufgebaut.

ABB will führend beim digitalen Angebot sein. Wo stehen Sie auf diesem Weg?

Mit der Erfahrung von 70 Millionen vernetzten Geräten, 70'000 digitalen Steuerungssystemen und 6000 Unternehmenssoftware-Lösungen ist ABB ein Marktführer im Industriebereich und kann auf vier Jahrzehnte der Entwicklung digitaler Lösungen für Kunden zurückblicken. 2016 starteten wir mit ABB Ability eine Plattform, mit der unsere Kunden ihre Produktivität steigern und Kosten senken können. Seit der Markteinführung haben wir ein Portfolio von mehr als 210 Lösungen, und wir fügen laufend weitere hinzu.

Analysten sehen Sie gegenüber Konkurrenten acht Jahre im Rückstand. Wie wollen Sie aufholen?

Wir haben seit der Markteinführung von ABB Ability viel Anerkennung erhalten. Die Analysten von Frost & Sullivan lobten ABB zum Beispiel für die Strategie, in Start-ups zu investieren und so Innovationen zu fördern. Die ARC Advisory Group sieht uns in einer Spitzenposition im wachsenden Markt der Steuerung und Überwachung von Systemen der Energieversorgung.

Auf welche digitalen Produkte und Technologien will ABB in Zukunft setzen?

Wir versorgen industrielle Systeme nicht mehr ausschliesslich mit Muskeln, sondern stellen die Gehirne für diese Systeme zur Verfügung. Mit unseren Aktivitäten auf der Steuerungsseite können wir zum Beispiel automatisierte Abläufe für unsere Kunden schaffen, die sich mittels KI analysieren lassen.

Das Thema Industrie 4.0 ist momentan omnipräsent. Wo steht ABB in diesem Bereich?

Wir sind in der Industrie 4.0 ganz vorne mit dabei. Dank einer Vielzahl installierter Geräte sind wir in vielen Branchen präsent und können vom Automatisierungstrend voll profitieren. Das bedeutet, dass unsere Kunden mit der physischen Welt kommunizieren, Daten aus ihr speichern und analysieren können. Die Fernüberwachungsdienste von ABB bieten Kunden etwa Einblicke in den Zustand der Anlagen, geben Auskunft über Trends sowie Warnmeldungen über die angeschlossene Infrastruktur. Was vielen Kunden jedoch fehlt, ist die Fähigkeit, das Digitale wieder ins Physische zu verwandeln – also zu handeln. Automatisierungslösungen von ABB schliessen diesen Wirkkreis.

ABB ist ein Robotik-Spezialist. Warum bietet ABB nicht auch Roboter für den Massenmarkt an?

ABB erfand den elektrischen Industrieroboter 1974 und verkaufte davon bis heute mehr als 300'000 Stück. Unsere Kompetenz liegt im B2B-Bereich. Es ist das, was wir am besten können, indem wir unsere Kunden bedienen, die sich an die Endmärkte richten.

Hardware wird immer mehr zur Commodity. Wie reagiert ABB auf diesen Wandel?

Wir wollen unseren lösungsorientierten Ansatz für die Automation in der Industrie nutzen. Das heisst, wir wandeln uns von einem produktbasierten Geschäftsmodell zu einem Geschäftsmodell, bei dem wir Lösungen für den Kunden anbieten. Statt Roboter zu verkaufen, verkaufen wir also Robotik-Lösungen. Unser Robotik-Geschäft bleibt ein wichtiger Pfeiler für die Zukunft der Industrie.

Angenommen, ABB könnte morgen keine Maschinen mehr verkaufen. Was würde das Unternehmen dann machen?

Das ist eine sehr unrealistische Hypothese. ABB ist Marktführer oder mindestens ein Top-2-Player in allen Märkten, in denen wir vertreten sind. Früher haben wir Kunden beim Bau ihrer Anlagen unterstützt, heute unterstützen wir sie zunehmend bei der Planung, Konstruktion und dem Betrieb ihrer Anlagen – zum Beispiel durch 3-D-Simulation oder die Optimierung der Wartung. Dieses Geschäftsmodell ähnelt dem der Softwareindustrie und treibt unser Wachstum in der Industrie voran.

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