Interview

Chris Riddell: "Ich finde es beunruhigend, dass sich bei Facebook so viel Macht konzentriert"

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Der australische Futurist Chris Riddell kommt am 21. November nach Zürich und hält die Keynote am Gala-Abend des Swiss Digital Economy Awards. Im Interview gibt er einen Vorgeschmack auf sein Referat.

Der australische Futurist Chris Riddell kommt am 21. November nach Zürich und hält die Keynote am Gala-Abend des Swiss Digital Economy Awards. (Source: zVg)
Der australische Futurist Chris Riddell kommt am 21. November nach Zürich und hält die Keynote am Gala-Abend des Swiss Digital Economy Awards. (Source: zVg)

Haben Sie als Zukunftsforscher Angst vor der Zukunft?

Chris Riddell: Ganz und gar nicht. Die Ära, in der wir uns zurzeit befinden, ist wahrscheinlich eine der aufregendsten und interessantesten, die es jemals auf unserem Planeten gegeben hat. Denn egal ob Frau oder Mann, egal welche Hautfarbe man hat, egal welche Vorstellungen man hat und egal wo auf der Welt man sich befindet: Fast jeder hat die Möglichkeit, Einzigartiges zu schaffen und es einer grossen Anzahl Menschen mitzuteilen. Und die Basis dafür ist Technologie. Ich bin jetzt 37 und wenn ich mich an meine Kindheit in den 1980er-Jahren zurückerinnere, kommt mir in den Sinn, dass meine Eltern oft mit mir gereist sind und wir in vielen verschiedenen Ländern, weit weg von Australien gelebt haben. Unsere Familie, Verwandten und Freunde waren auch in alle Himmelsrichtungen verstreut. Damals konnten wir, um im Kontakt mit unseren Lieben zu bleiben, nur telefonieren oder Briefe mit der Post verschicken. Interkontinentale Ferngespräche waren aber unglaublich teuer und dann war auch noch die Übertragungsqualität wirklich schlecht. Und ein Brief brauchte mehrere Tage bis zu einem Monat um anzukommen; oder er kam gar nicht an.

Das ist heute anders.

Ja. Die Kommunikationsmöglichkeiten, die wir heute haben, die fast nichts mehr kosten, haben die Menschen einander nähergebracht. Die Menschen sind mehr miteinander vernetzt als jemals zuvor in der Menschheitsgeschichte. Und das führt mich zu den vielen Möglichkeiten, die ich vorher erwähnt habe, und die uns aufgrund von Technologie offenstehen: Ein 13-Jähriger kann heutzutage in seinem Teenager-Zimmer zuhause bei den Eltern für ein paar Dollar online ein skalierbares Business starten, ein Medienstar auf Youtube werden, etc. So etwas war vor dem Internet und vor der Demokratisierung von Technologie nicht möglich, als Computer, Server, Netzwerkanbindung noch zehntausende von Dollar kosteten.

Sie sprechen mit so einer Begeisterung von den Vorteilen von Technologie und den vielen Möglichkeiten, die den Menschen heutzutage offenstehen. Technologie wird von Unternehmen und Regierungen aber auch zunehmend eingesetzt, um die Freiheit der Menschen zu beschneiden, sie zu überwachen, die öffentliche Meinung zu manipulieren und Wahlen zu beeinflussen. Der Einsatz von Technologie hat auch seine negativen Seiten ...

Ich finde, wir sollten etwas vorsichtig sein, dass wir hier kein falsches Bild zeichnen. Missbrauch von Technologie hat es schon immer gegeben. Es ist nicht so, dass die Dinge, die Sie erwähnen, komplett neu sind. Regierungen haben immer schon auf andere Regierungen Einfluss genommen. Wahlen wurden immer schon von in- und ausländischen Interessensgruppen beeinflusst. Ebenso die Meinung der Menschen. Früher geschah das einfach klandestin, im Verborgenen. Heutzutage – und das ist ein Riesenfortschritt im Vergleich zu früher – sind diese Vorgänge viel transparenter. Diese Transparenz brachte schliesslich Cambridge Analytica zu Fall. Nachdem bekannt geworden war, dass sie geholfen hatten, die US-Präsidentschaftswahlen für Donald Trump zu gewinnen und auch die Brexit-Abstimmung beeinflusst haben sollen, gab es einen derartigen Skandal, dass das Unternehmen Insolvenz anmelden musste, weil niemand mehr mit ihnen zusammenarbeiten wollte.

Sie haben also keine Bedenken?

Doch. Ich finde es etwa beunruhigend, dass sich bei einzelnen Organisationen wie zum Beispiel Facebook so viel Macht konzentriert. Wir sind in einer Zeit angekommen, wo ein einzelnes Unternehmen eine ganze Industrie dominiert und für alle anderen nur noch Nischen bleiben. Facebook ist ja nicht einfach ein soziales Netzwerk, sondern schlicht der grösste Medienkonzern der Welt.

Es gibt viele Menschen, die sich vor Technologie fürchten, weil sie glauben, dass sie etwa an ihrem Arbeitsplatz durch Roboter und künstliche Intelligenz ersetzt werden könnten. Was entgegnen Sie?

Wir müssen hier präzisieren: Die Menschen fürchten sich nicht vor der Technologie an sich. Sie fürchten sich vor der Veränderung, welche die Technologie mit sich bringt. Sie fürchten sich davor, irrelevant zu werden. Seit den Anfängen der industriellen Revolution oder noch früher hatten die Menschen Angst vor solchen Veränderungen. Menschen hassen Veränderung. Wir haben Angst vor der Zukunft, weil wir sie nicht kennen. Aber die Menschen haben es immer wieder geschafft sich anzupassen, sich weiterzuentwickeln. Der Unterschied zu damals ist die Geschwindigkeit, wie die Veränderungen vonstatten gehen. Deshalb fühlt es sich vielleicht so an, dass alles schlimmer als jemals zuvor ist. Die Wahrheit ist aber, dass es der Menschheit noch nie so gut ging wie heute.

Es gibt aber doch Herausforderungen?

Natürlich. Wir müssen uns gut überlegen, was wir mit der bevorstehenden Ära der künstlichen Intelligenz anstellen wollen. Denn nur, weil wir etwas tun können, heisst das nicht, dass wir es auch tun sollten. Doch vieles, was heutzutage in den Medien rund um künstliche Intelligenz geschrieben wird, dass uns die künstliche Intelligenz ersetzen wird, und es früher oder später um die Frage "Sie oder Wir?" gehen wird, stimmt nicht. In Realität ist es eine Fusion beider Welten. Künstliche Intelligenz wird zu einer Erweiterung der Menschen, die es uns ermöglichen wird, Dinge zu tun, die wir ohne sie nicht tun könnten. Denken Sie daran, dass ein Auto eine Erweiterung unserer Beine ist, um schneller von A nach B zu kommen. Genauso ist die Künstliche Intelligenz eine Erweiterung unseres Gehirns, um Dinge schneller, besser, einfacher zu denken und zu tun. Sicher wird das die Art und Weise, wie wir etwas tun, verändern, aber wir werden deshalb immer noch relevant bleiben.

Wie wird unsere Welt in 20 Jahren aussehen?

Wir werden in einer Welt leben, in der die Technologie die Reibungsverluste aus unserem täglichen Leben weitestgehend entfernt haben wird. Unsere Art zu arbeiten, unsere Art Entscheidungen zu treffen, unsere Art zu leben, wird sich durch den Einsatz von Technologie komplett verändert haben. Alles, was wir tun, wird in irgendeiner Weise technologisch unterstützt werden. Der Einsatz von Technologie wird so selbstverständlich sein wie der Strom, der aus der Steckdose kommt. Autonome Technologien werden zur Normalität geworden sein. Die Konnektivität zwischen verschiedenen Technologieplattformen wird massiv zunehmen.

Welche Technologien setzen Sie bei sich zuhause heute schon ein? Wo haben Sie die "Reibung" aus ihrem Alltag bereits verbannt?

Bei uns zuhause ist schon sehr sehr viel miteinander vernetzt. Etwa 200 verschiedene Geräte von Leuchten, über Türklingel, Garagentor, Überwachungskameras, Kühlschrank, Waschmaschine, Tumbler, Fernseher, bis hin zum Babybett, das den Schlafrhythmus unseres Neugeborenen überwacht. Nur die Klimaanlage können wir nicht darüber steuern, weil sie nicht mit Homekit kompatibel ist. Ein Silo-Problem. In Zukunft wird es keine separaten Silos und keine separaten Apps mehr geben. Die unterschiedlichsten Devices werden viel flüssiger miteinander verbunden sein als heute.

Und wie setzen Sie Social Media ein?

Ich habe ja schon gesagt, dass ich diese Machtkonzetration in einzelnen Organisationen problematisch finde. Auch glaube ich, dass wir die Bedeutung von sozialen Medien heute noch nicht richtig einschätzen können. Insbesondere ihren Einfluss auf unser Bewusstsein und unsere Psyche. Es gibt in diesem Zusammenhang noch viel zu lernen, sowohl im Positiven wie auch im Negativen. Aber ja, ich bin auch auf den Sozialen Netzwerken aktiv, etwa auf Facebook, Twitter, Youtube. Sie eignen sich hervorragend um mit den Menschen in Kontakt zu bleiben.

Wenn man über die Zukunft der Wirtschaft spricht, kommen immer schnell Start-ups zur Sprache, welche die etablierten Industrien "disrupten" werden. Welche Branchen sind besonders gefährdet?

Alle Industrien werden durch den digitalen Wandel grundsätzlich verändert. Im Gesundheitswesen tut sich sehr viel und die Healthcare-Industrie wächst massiv durch den technologischen Wandel. Die Menschen sind so interessiert an ihrer eigenen Gesundheit wie selten zuvor und monitoren ihre Gesundheit permanent mit Wearables und Apps. Früher haben wir uns nur für unsere Gesundheit interessiert, wenn wir krank waren, und zum Arzt mussten. Heute sind wir viel mehr interessiert daran, wie wir unsere Gesundheit für die Zukunft bewahren können. Die Finanzindustrie ist etwas stärker unter Disruptionsdruck. Sie hat aber reagiert und hat genug Mittel für die Transformation zur Verfügung. Vor allem die grösseren Player im Markt. Die Retail-Industrie steckt seit dem Aufkommen des Onlinehandels in der Disruption. Aber gerade Retailer wären in einer guten Position, sich der Digitalisierung zu stellen und dabei zu gewinnen. Unternehmen, die sich den Spiegel vorhalten und immer wieder challengen, was sie tun, und eine digitales Erlebnis für ihre Kunden schaffen, haben gute Chancen. Wenn Sie natürlich das, was sie heute tun, immer noch so wie vor 10 Jahren tun ... ganz ehrlich: Schliessen Sie ihren Laden! Es gibt ja einige auch grosse Retailer, wie etwa Toys’r’us, die auf die Nase gefallen sind, weil sie sich nicht angepasst haben und es werden weitere folgen.

Am 21. November kommen Sie ja nach Zürich und werden am Gala-Abend des Swiss Digital Economy Awards als Keynote-Speaker auftreten. Worüber werden sie sprechen?

Ich werde darüber sprechen, wie die nächste disruptive Technologiewelle aussehen wird. Wie wird uns Technologie verändern, was wird sie für die Menschheit tun. Was werden die Impact sein, die wir sehen werden, welche Trends haben uns bis hierhergebracht, etc. Auch werde ich darüber sprechen, wie Businesses sich anpassen und Entrepreneurship innerhalb von Organisationen fördern können. Ich werde ausserdem Beispiele von Unternehmen nennen, die das sehr gut machen. Und natürlich werde ich über künstliche Intelligenz, Blockchain und Augmented Reality sprechen.

Über Chris Riddell

Chris Riddell ist ein preisgekrönter globaler Zukunftsdenker und branchenweit anerkannter Keynote-Speaker über aufkommende Trends in unserer vernetzten Welt. Er sucht weltweit nach Verhaltensmustern, entdeckt und identifiziert, wie Menschen sich verändern und sich dem schnellen Wandel anpassen, verschafft Unternehmen und Führungskräften Erkenntnisse in der äusserst disruptiven digitalen Welt von heute.

www.chrisriddell.com

Der Award

Der neue Swiss Digital Economy Award vereint den bisherigen Swiss ICT Award und Digital Transformation Award unter dem gemeinsamen Dach der Swiss Digital Economy Award AG. Der Digital Economy Award zeichnet die digital reifsten Unternehmen der Schweiz und deren innovativste Projekte aus. Die Bewerbungsfrist läuft noch bis zum 17. September.

Ziel der Veranstalter ist es, mit dem Digital Economy Award jedes Jahr die digitale Exzellenz der Schweizer Wirtschaft zu prämieren. Von Start-ups bis zu etablierten Unternehmen und Organisationen erhalten die Bewerber die Möglichkeit, sich mit den Besten zu messen und am Gala-Abend am 21. November 2018 im Zürcher Hallenstadion im festlichen Rahmen mit Vertretern aus Wirtschaft und Politik zu feiern und zu netzwerken.

Jetzt Digitalisierungsprojekt einreichen unter www.digitaleconomyaward.ch

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DPF8_102688