Interview mit Marianne Wildi

Wie die Hypi Lenzburg den Mietprozess mit der Blockchain digitalisieren will

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Abseits von Kryptowährungen, ICOs und Trading sind konkrete Anwendungen der Blockchain-Technologie noch dünn gesät. Die Hypothekarbank Lenzburg arbeitet an einer: die Digitalisierung des Mietprozesses. Wie das gehen soll, darüber gibt CEO Marianne Wildi Auskunft.

Marianne Wildi, CEO der Hypothekarbank Lenzburg. (Source: zVg)
Marianne Wildi, CEO der Hypothekarbank Lenzburg. (Source: zVg)

Welche Prozesse im Kontext der Immobilienmiete wollen Sie auf Grundlage der Blockchain anbieten?

Marianne Wildi: In einer ersten Phase werden wir auf einer von uns neu entwickelten IT-Plattform den gesamten Mietprozess digitalisieren. Die involvierten Parteien sollen alle Interaktionen digital ausführen können – von der Interessensbekundung an einem Mietobjekt bis zur Auszahlung der Mietkaution nach Beendigung des Mietverhältnisses. Auf dieser Basis wollen wir dann in einer zweiten Phase ein digitales Ökosystem aufbauen, das ergänzende Dienstleistungen für den Mieter und den Vermieter beinhalten wird, etwa die Koordination von Handwerkerterminen oder Funktionen für die Optimierung des Gebäudeunterhaltes.

Den ganzen Mietprozess zu digitalisieren klingt nach einer schwierigen Aufgabe. Warum haben Sie sich gerade für diesen Aspekt entschieden?

Der bestehende Prozess zum Abschluss und zur Auflösung eines Mietverhältnisses inklusive Mieterkaution basiert noch stark auf manueller Arbeit – speziell bei kleineren Immobilienverwaltern. Durch die Digitalisierung der papierlastigen Prozesse ergeben sich für alle Parteien massive Vereinfachungen. Zudem wird der Mietprozess weniger zeitintensiv und fehleranfällig, wenn er durchgängig digitalisiert ist.

Lässt sich das nicht auch ohne Blockchain realisieren?

Die Digitalisierung des Mietprozesses ist theoretisch auch ohne Blockchain-Technologie denkbar. Sobald jedoch im Zuge der Digitalisierung weitere Prozesse und Parteien hinzukommen, die sich unter Umständen nicht mehr direkt austauschen können, bietet die Blockchain interessante Möglichkeiten.

Zum Beispiel?

Wenn wir die Prozesse mit Smart Contracts abbilden, sind die Vertragsgegenstände für alle Parteien klar und transparent und allen involvierten Vertragsparteien stehen dann die gleichen Daten zur Verfügung.

Werden Verträge auf Papier verschwinden, wenn alles über die Blockchain läuft?

In gewissen Fällen ist dies erst möglich, wenn Regulator und Gesetzgeber eine verbindliche Regelung herausgeben. Gewisse Verträge bedingen heute noch der qualifizierten Schriftlichkeit oder sogar einer öffentlichen Beurkundung. Somit können nicht alle Verträge medienbruch-frei digitalisiert werden.

Auf welche technologische Variante der Blockchain setzen Sie?

Umgesetzt wird das Projekt mit der Distributed-Ledger-Technologie (DLT). So können wir die Vorteile einer verteilten Datenbank nutzen, das Recht auf Vertragseinsicht für spezifische Rollen einschränken und gleichzeitig auf aufwändige Konsensmechanismen verzichten. Mit der Distributed-Ledger-Technologie können wir spezifische Rollen definieren und die Prozesse unternehmensübergreifend standardisieren, was mit einer öffentlichen Blockchain nicht möglich wäre. Wir setzen dabei die R3-Plattform von Corda ein, welche von einem Konsortium aus mehr als 200 Unternehmen aus der Finanzbranche entwickelt wird.

Mit welchen Partnern arbeiten Sie für die Entwicklung der Lösung zusammen?

Für die Entwicklung unserer Lösung arbeiten wir einerseits mit dem Business Engineering Institut St. Gallen und andererseits mit der BSZ Immobilien AG zusammen. Das BEI hilft uns bei der Prozessmodellierung, -analyse und vor allem bei der technischen Umsetzung der Lösung, die BSZ Immobilen AG ist der fachliche Partner aus der Immobilienbranche und wird der Pilotbenutzer sein.

Bank, Verwaltung, Besitzer, Mieter, Gemeinde - bei der Vermietung müssen viele Akteure zusammenarbeiten. Wie lassen sich diese auf die Blockchain bringen?

Bei Immobilienverwaltungen und Banken brauchte es nicht viel Überzeugungsarbeit. Die Effizienzsteigerungen haben für sich gesprochen. Die im Projekt involvierten Mieter waren ebenfalls begeistert davon, dass der gesamte Mietprozess digital, sprich ohne Papier, möglich sein wird und sie Zeit einsparen können. Nach der Einführung des digitalen Mietprozesses wollen wir weitere Akteure in unser digitales Ökosystem einbinden. Eine Zusammenarbeit ist unserer Meinung nach nur dann möglich und interessant, wenn alle Parteien einen Vorteil daraus ziehen können. Denkbare Partner für ein erweitertes Ökosystem sind kantonale und staatliche Stellen, etwa Einwohnermeldeämter oder die Gebäudeversicherung, oder Immobiliendienstleister wie Umzugsdienste, Putzinstitute, Handwerker oder Versicherungsgesellschaften.

Welche Herausforderungen traten bei der Entwicklung der Lösung auf?

Wir haben mitten im Projekt auf die Plattform Corda gewechselt, da diese Plattform sich inzwischen weiterentwickelt und den nötigen Reifegrad erlangt hat.

Warum sind Sie auf Corda umgestiegen?

Corda hat mittlerweile zahlreiche Funktionen integriert, welche andere Systeme auf Basis der Distributed-Ledger-Technologie nicht bieten. Es handelt sich dabei um Funktionen, die für die Finanzindustrie wesentlich sind. Corda wurde von Anfang an für Business-Anwendungen entwickelt. Es können mit Smart Contracts komplexe Transaktionen abgebildet werden und der Zugang zu Transaktionsdaten kann sehr stark eingeschränkt werden. Anders als in bekannten öffentlichen DLT-Anwendungen sehen bei Corda nicht alle das gesamte Ledger mit allen Buchungen, sondern die Sichtbarkeit kann auf die involvierten Vertragsparteien und zusätzliche Rollen wie Revision oder Regulator eingeschränkt werden. In einer anderen Technologie können diese Funktionalitäten zwar auch eingebaut werden, der Entwicklungsaufwand ist aber grösser. Zu Beginn des Projektes hatten wir Corda bereits auf der Liste möglicher Technologien, den nötigen Reifegrad um darauf produktive Applikationen zu entwickeln hat die Technologie allerdings erst während dem Projekt erreicht. Deshalb haben wir uns dann für Corda entschieden und den Wechsel vollzogen.

Wie waren bisher Ihre Erfahrungen mit dem Blockchain-Projekt?

Durchwegs positiv. Wir konnten im Umgang mit der neuen Technologie wertvolle Erfahrungen sammeln und Vorurteile und Ängste beiseite räumen.

Welche weiteren Schritte planen Sie?

Der digitale Mietprozess auf dem Kernbankensystem Finstar wird im ersten Quartal 2019 marktreif sein. Danach haben wir sehr viele Ideen für interessante Erweiterungen rund um das Thema Miete und Wohnen. Wir befinden uns in ersten unverbindlichen Gesprächen mit potentiellen Ökosystem-Teilnehmern für weitere Ausbauschritte.

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DPF8_117783