Zukunftsblog

Smarte Züge ohne Lokführer

Uhr
von Francesco Corman

Autonome Züge kommen - wobei: eigentlich sind sie schon da, sagt Francesco Corman. Nur wird das öffentlich kaum diskutiert, obschon der fahrerlose Schienenverkehr viele Vorteile brächte.

(Source: Fabrizio Verrecchia/unsplash.com)
(Source: Fabrizio Verrecchia/unsplash.com)

Alle sprechen von autonomen Autos und fragen sich, ob diese schon bald über unsere Strassen fahren werden. Manchmal bin ich überrascht von diesem Hype, denn es gibt viele Fahrzeuge in anderen Transportsystemen, die sich seit Jahren oder sogar Jahrzehnten völlig fahrerlos bewegen: In industriellen Umgebungen und Häfen arbeiten automatisierte Transportsysteme bereits seit mehr als 60 Jahren. Und die meisten Metros sind hoch automatisiert. Dennoch sind solche Systeme für die Medien kaum Thema. Vielleicht weil sie weniger regulatorische und ethische Fragen aufwerfen als autonome Autos?

Autonome Züge als Ziel

Es ist jedenfalls erstaunlich, dass autonome Züge im öffentlichen Verkehr - soweit ich das beurteilen kann - bisher kaum breit diskutiert wurden. Aber auch das ändert sich: Vor kurzem wurde auf einer bedeutenden Eisenbahnmesse eine starke Zunahme der Automatisierung verkündet. Die französischen Eisenbahnen wollen in den nächsten fünf Jahren grosse technologische Anstrengungen unternehmen, um einen Prototypen von fahrerlosen Zügen in Betrieb zu nehmen. In Australien fahren seit einigen Monaten ferngesteuerte und teilautonome Güterzüge. Auch in der Schweiz haben Unternehmen wie die SBB und die SOB Automatisierungstechnologien ohne Passagiere getestet.

Der Nutzen von autonomen Autos ist nach wie vor schwer einzuschätzen. Im Gegensatz dazu liegen die Vorteile fahrerlosen Schienenverkehrs klar auf der Hand. Es geht nicht nur um die Kosten, die man spart – ich sehe den grössten Vorteil in der Regelmässigkeit des Betriebs: Die Leistung und der Zeitpunkt des Betriebs variieren nur geringfügig. Zudem lassen sich Züge besser kontrollieren, weil etwa Fahrplanänderungen schnell und zuverlässig umsetzbar sind.

Wenn mehr Züge pünktlicher fahren können, profitieren alle: Die Wirtschaft, die Betreiber und natürlich die Fahrgäste.

Höhere Regelmässigkeit bedeutet eine verbesserte Pünktlichkeit. Wenn der Betrieb reibungsloser läuft, gibt es weniger Verzögerungen, und wenn es doch dazu kommt, können diese schneller behoben werden.

Verzögerung ist Verlust

Wenn Zeit Geld ist, dann bedeutet jede Verzögerung einen Verlust. Tatsächlich ist die Infrastrukturkapazität, d.h. wie viele Fahrzeuge in einer Zeiteinheit bewegen werden können, ein zentraler Faktor bei Verkehrssystemen. Bei der Eisenbahn verbrauchen Verspätungen und ungeplante Ereignisse sehr viel Kapazität.

Natürlich könnte man mehr Brücken, Tunnel und Eisenbahnlinien bauen um die Kapazität zu steigern, aber das ist teuer. Mit einem autonomen System können wir die Kapazität viel flexibler und kostengünstiger erhöhen. Und wenn mehr Züge pünktlicher fahren, profitieren alle: Die Wirtschaft, die Betreiber und natürlich die Fahrgäste.

Welche Weichen gilt es noch zu stellen?

Es gibt also gute Gründe, Züge zu automatisieren, aber es existieren noch technische Herausforderungen. Einzelne Komponenten haben sich bereits jetzt bewährt: Züge können sich sicher bewegen und anhalten, obwohl kein Lokführer sie aktiv lenkt. Es ist bereits möglich, einen fahrerlosen Zug über Signale zu steuern, welche an die Infrastruktur gesendet und dort durchgesetzt werden.

Das Problem liegt in dem komplexen Zusammenspiel mehrerer Komponenten. Während ein Zug fährt, müssen mehrere Subsysteme interagieren, einschliesslich solcher, die den Zustand der Eisenbahnstrecke, die Position anderer Züge und die physische Integrität des Zuges überwachen, oder den für ein sicheres Bremsen erforderlichen Raum bestimmen.

Wenn eines dieser Subsysteme eine Situation nicht richtig beurteilen kann, wird es defensiv. Das heisst, der Zug bremst ab oder stoppt, die Verkehrsleistung sinkt. Die ETH ist an mehreren Forschungsprojekten mit den Schweizer Bahnen beteiligt, um optimale Verkehrsmanagementsysteme zu ermöglichen. Zum Beispiel forschen wir daran, wie man die Kapazität der "Nadelöhre" im Schweizer Bahnsystem erhöhen kann.

Kein utopischer Traum

Wie viele von Ihnen haben in letzter Zeit mit einem Lokführer gesprochen? Tatsächlich würden die Passagiere wohl keinen grossen Unterschied feststellen, wenn Züge fahrerlos betrieben würden. Der gesamte Bahnverkehr wäre regelmässiger und es stünden wohl mehr Züge zur Verfügung. Menschen könnten direkt mit dem Transportsystem interagieren, sich dabei so viel bewegen, wie sie wollen und wann sie wollen. Das tönt utopisch? Nicht ganz: Es gibt bereits einige fahrerlose Fahrzeuge, die viele Menschen weltweit in einer unkonventionellen Dimension und mit einem hohen Automatisierungsgrad bewegen: Wir nennen sie Aufzüge.

Dieser Beitrag erschien erstmals im ETH-Zukunftsblog.

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