Interview mit dem Hyperledger-Chef

Brian Behlendorf: "Blockchain-Technologie für Unternehmen startet jetzt durch"

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In Basel hat sich die Hyperledger-Community zu ihrem ersten internationalen Forum getroffen. Über 700 Teilnehmer diskutierten fünf Tage lang über den Einsatz der Blockchain. Hyperledger-Chef Brian Behlendorf gibt Auskunft über den Stand der Krypto-Branche, seinen ersten Kontakt mit der Blockchain und die Arbeit im Hyperledger-Netzwerk.

Brian Behlendorf, Executive Director, Hyperledger Project. (Source: (c) Jim Zemlin)
Brian Behlendorf, Executive Director, Hyperledger Project. (Source: (c) Jim Zemlin)

Wie sind Sie persönlich mit der Blockchain in Kontakt gekommen?

Brian Behlendorf: Ich hörte von Satoshis Paper, als es 2008 veröffentlicht wurde, las ein wenig darin und sprach mit anderen darüber. Es enthielt viele gute Ideen, aber ich war sehr besorgt über den Energieverbrauch und das Potenzial, dass ein Coin von Spekulanten missbraucht werden könnte. Ich habe mich 2014 während meiner Arbeit bei einer Venture-Capital-Firma dann wieder damit beschäftigt, da es bereits viele Kryptowährungs- und Blockchain-Start-ups gab. Aber ich hatte immer noch meine Bedenken bezüglich Energie und Spekulation. Als ich 2015 die Ankündigung der Linux Foundation für ein Projekt namens Hyperledger sah, sagte ich mir: Dieser Ansatz ist für mich viel sinnvoller. Also begann ich, die Community zu beobachten und fragte dann, ob es eine Möglichkeit gäbe, wie ich mithelfen könnte. Eine Sache führte zur anderen und ich wurde zum Executive Director des Projekts.

Der Wert vieler Kryptowährungen ist in letzter Zeit stark eingebrochen, ICOs haben an Attraktivität verloren, viele Krypto-Firmen haben noch keine fertigen Produkte. Welche Auswirkungen hat das Abflauen der Blockchain-Begeisterung auf Hyperledger?

Der sich verlangsamende ICO-Markt steht in keinem Zusammenhang mit der Einführung von Enterprise-Blockchains. Einige mögen argumentieren, dass sich das Rampenlicht nun auf Blockchain als Technologie für Unternehmen und nicht mehr als Kryptowährungsplattform verlagert. Wir sehen auch heute noch einen Aufschwung bei den Blockchain-Projekten in Unternehmen in verschiedenen Branchen, und ich gehe nicht davon aus, dass sich diese Entwicklung 2019 abschwächen wird.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Blockchain-Branche persönlich?

Ich persönlich bin natürlich sehr optimistisch. Wir sehen eine zunehmende Akzeptanz bei Unternehmenskunden und neue Arten von Software, die innerhalb von Hyperledgers "Treibhaus", seinem Portfolio aus verschiedenen Frameworks und Tools, entwickelt werden. Und wir übernehmen nicht nur grosse soziale Aufgaben, wie eine bessere Rückverfolgbarkeit der Lieferkette, um Betrug und Korruption zu bekämpfen, sondern wir haben vielleicht auch den Schlüssel, um die digitale Identität neu zu erfinden - auf eine Weise, die EU-DSGVO-konform und für den Einzelnen intuitiver ist. Es gibt also viele gute Dinge, die uns beschäftigen!

Blockchains werden von manchen Verfechtern als nächste IT-Revolution gepriesen. Welches Potenzial hat die Technologie aus Ihrer Sicht?

Jedes Unternehmensnetzwerk, das Transaktionen erfasst und sich nicht auf einen zentralen Proxy verlassen kann, dem jeder vertrauen muss, kann mittels Blockchain-Technologie neu erschaffen werden. Die Menschen haben erkannt, dass Blockchain die Art und Weise, wie wir Identitäten und persönliche Informationen verwalten, verändern kann sowie Ehrlichkeit und Transparenz fördert. Deshalb arbeiten so unterschiedliche Branchen wie Landwirtschaft, Finanzen, Medizin, Immobilien, Strom und Diamanten an ersten Projekten. Es ist gut möglich, dass in den nächsten fünf Jahren fast jedes Fortune-500-Unternehmen Transaktionen auf einem Distributed Ledger durchführen und seine Prozesse durch Smart Contracts automatisieren wird.

Wie viele Entwickler beteiligen sich aktuell an Hyperledger?

Wir haben etwa 700 Code Contributors, Zehntausende von Community-Teilnehmern und 11 Millionen Codezeilen für unsere 11 verschiedenen Hyperledger-Projekte.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die wichtigsten Entwicklungen bei Hyperledger?

Das Wichtigste ist, dass wir heute Software liefern, mit der Unternehmen echte Probleme lösen können.

Was das erste Hyperledger Global Forum zu bieten hatte, erfahren Sie hier.

Hyperledger positioniert sich als Open-Source-Blockchain für Unternehmen. Was macht Hyperledger anders als Konkurrenten wie Ethereum?

Als Hyperledger und die Enterprise Ethereum Alliance gemeinsam bekannt gaben, dass beide der anderen Organisation beitreten würden, war ein wichtiger Punkt, dass wir uns nicht als Konkurrenten betrachten. Unser gemeinsames Ziel ist es, die Einführung von Enterprise-Blockchains durch die Entwicklung von Open-Source-, standardbasierten und plattformübergreifenden Technologien zu beschleunigen. Wir sind der Meinung, dass es keine einzige Blockchain geben wird, um sie alle zu knechten. Vielmehr betrachten wir Interoperabilität und Standards als Schlüsselfaktoren, um Unternehmen dabei zu unterstützen, eine Blockchain-Lösung zu implementieren. Offene Standards und Open-Source-Software profitieren voneinander. Seit über einem Jahr haben wir ein Softwareprodukt namens Hyperledger Burrow, das eine Implementierung eines Ethereum-Standards, der Ethereum Virtual Machine, ist. Es gibt andere Ethereum-Technologiestandards und -Teile, die eines Tages ihren Weg in die Hyperledger-Community finden könnten.

Hyperledger hat viele Mitglieder und Sub-Projekte. Entstehen dadurch bei der Entwicklung nicht viele verschiedene Vorstellungen und Reibungen?

Eine vielfältige Community ist der Schlüssel zum Aufbau offener Lösungen. Hyperledger dient als "Treibhaus", das Anwender, Entwickler und Anbieter aus vielen verschiedenen Branchen und Marktbereichen zusammenbringt. Alle diese Teilnehmer haben eines gemeinsam: Sie sind daran interessiert, die Blockchain für Unternehmen kennenzulernen, zu entwickeln und zu nutzen. Die Community arbeitet zusammen, um eine breit abgestützte, gut geprüfte Technologie zu entwickeln. Ein wenig Wettbewerb und Platz für viele verschiedene Ideen sind in diesem Zusammenhang nichts schlechtes.

Wie gehen Sie mit dieser Vielfalt um?

Wir begrüssen sie. Hyperledger ist eine lebendige, kollaborative Community, die neue Ideen ausprobiert, um die unglaublichen Herausforderungen zu lösen, die die Blockchain ab einer gewissen Grösse mit sich bringt, und um eine erstklassige Blockchain-Technologie für Unternehmen zu schaffen. Die Vielfalt der an den Projekten beteiligten Entwickler wächst von Tag zu Tag. Im Verlauf der 11 Hyperledger-Projekte gab es 729 Code Contributors, die mehr als 150 Unternehmen repräsentieren. Die jüngste Version 1.3 von Hyperledger Fabric enthielt Beiträge von 123 Entwicklern, die für 21 Unternehmen arbeiten; darunter DTCC, Hacera, Hitachi, NEC, Oracle, SAP, Secure Key und State Street - 31 Prozent der Commits stammten aus Nicht-IBM-Quellen.

Sie haben gesagt, die Entwicklung einer Kryptowährung sei kein Ziel von Hyperledger. Warum schliessen Sie das aus?

Kryptowährungen sind eine mögliche Anwendung auf Distributed Ledgers, aber nicht die einzige. Manchmal ist es sinnvoll, einen Token zu generieren, um die Konsensmechanismen zu finanzieren oder sogar Dienste von Distributed-Apps in einer Blockchain bereitzustellen. Aber es ist nicht der einzige Weg, denn die Gemeinkosten für die Buchhaltung erhöhen die Kosten für Funktionen, die in einer Permissioned Blockchain möglicherweise nicht so relevant sind. Einige Apps und Smart Contracts lassen sich auf der Bitcoin- und noch mehr auf der Ethereum-Blockchain aufbauen, aber ich vermute, dass die Mehrheit der Transaktionen und Smart Contracts auf Permissioned Ledgers implementiert wird. Wir sind ein Open-Source-Blockchain-Technologiekonsortium. Unser Ziel ist es, branchenübergreifend Blockchain-Technologien voranzutreiben. Obwohl wir Entwickler und die Community nicht davon abhalten wollen, Kryptowährungen mit Hyperledger-Tools und -Frameworks zu erschaffen, ist dies einfach nicht unser Fokus.

Nennen Sie einige Unternehmen, die Hyperledger bereits produktiv im Einsatz haben.

Walmart verwendet Hyperledger Fabric für seine Lebensmittelsicherheits-Blockchain. We.Trade nutzt Hyperledger Fabric für eine robuste, unternehmenstaugliche, produktionsreife Handelsplattform. Die Deutsche Telekom arbeitet an einem Prototyp zur Abwicklung und Durchführung von Wholesale-Roaming-Vereinbarungen auf Basis von Hyperledger Fabric. JD.com bietet seine eigene "JD Blockchain Open Platform" an, um Unternehmenskunden bei der Rationalisierung einer Vielzahl von Betriebsabläufen zu unterstützen, indem sie ihre eigenen Blockchain-Anwendungen erstellen, hosten und nutzen. China Minsheng Bank, China CITIC Bank, Bank of China und Suning Bank haben gemeinsam ein offenes, standardisiertes und regulatorisch konformes inländisches L/C-Übertragungssystem auf Blockchain-Basis mit Hyperledger Fabric entwickelt. Am ersten Tag der Produktion wurden über 100 Millionen Renminbi an L/Cs verarbeitet, und jetzt unterstützt dieses Produktionssystem täglich Milliarden von Geschäften. Sony Global Education verwendet Hyperledger für eine neue Anmeldungs-Plattform.

Wie wichtig ist die Schweiz als Standort von vielen Blockchain-Firmen für das Hyperledger-Projekt?

Erst kürzlich hat Swisscom zusammen mit der Post eine 100-prozentig schweizerische Infrastruktur für Blockchain-Anwendungen angekündigt. Ziel ist eine einfache, sichere und nachhaltige Infrastruktur für Blockchain-Anwendungen in der Schweiz. Die Infrastruktur, die auf Hyperledger Fabric basiert, wird anderen Unternehmen für ihre Anwendungen zur Verfügung stehen. Dies zeigt den Innovationsgrad und das Engagement für Blockchain in der Schweiz. Es ist derselbe Antrieb, der uns veranlasst hat, Basel als Standort für unser erstes Hyperledger Global Forum zu wählen.

Wie lautet Ihr Fazit des ersten Hyperledger Global Forum?

Blockchain-Technologie für Unternehmen startet jetzt durch. Es besteht grosser Bedarf danach für eine Vielzahl von Use Cases in vielen verschiedenen Branchen. Wir haben in Basel viele Präsentationen gesehen, in denen über Produktionsumgebungen, die zukünftige Entwicklung und die Art und Weise, wie digitale Identitäten mit Hyperledger Indy neu geschaffen werden können, gesprochen wurde. Wir sahen auch viele neue Gesichter in der Hyperledger-Community, aus allen Ecken der Welt. Es ist klar, dass es eine ähnliche Veranstaltung auch in Zukunft braucht.

Was war Ihr persönliches Highlight des Forums?

Für mich war es Leanne Kemps Vortrag über die Anwendung von Hyperledger Fabric in der Diamanten-Lieferkette und die Gründe, warum es einen Distributed Ledger benötigt, um der Edelstein-Branche mehr Verantwortung und Vertrauen zu geben. Das ist eine sehr eindrucksvolle Geschichte und Leanne Kemp hat sie sehr gut erzählt.

Wo und wann findet das nächste Hyperledger Global Forum statt?

Das wissen wir im Moment noch nicht. Wir werden das Feedback, das wir von den Teilnehmern erhalten haben, auswerten und mit unseren Sponsoren diskutieren. Dann werden wir die Welt so schnell wie möglich über die nächsten Schritte informieren.

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