Interview mit Matthias Günter, CH Open

"Die Verwaltung muss sich zutrauen, Open Source zu einem zentralen Element der Digitalisierung zu machen"

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Vor über fünf Jahren hat Matthias Günter das Präsidium des Vereins CH Open übernommen. Im Interview erklärt der promovierte Informatiker, was ein gutes Open-Source-Projekt ausmacht und wie der Bund quelloffene Lösungen ­fördern kann.

Matthias Günter, Präsident, Verein CH Open. (Source: www.rolfweiss.ch)
Matthias Günter, Präsident, Verein CH Open. (Source: www.rolfweiss.ch)

Sind in den öffentlichen Informatikdiensten der Schweiz die Weichen für einen Wechsel auf Open-Source-Software (OSS) gestellt?

Matthias Günter: Es gibt viele Ansätze, aber sie sind meines Erachtens nicht systematisch genug. Es geht nicht nur darum, Open Source zu verwenden, sondern auch herzustellen und mit anderen Verwaltungseinheiten zu teilen. Dies senkt dann nachhaltig die volkswirtschaftlichen Kosten. Die Verwaltung muss sich zutrauen, ein Akteur zu sein und Open Source zu einem zentralen Element der Digitalisierung zu machen.

Falls die Verwaltungen selbst Software herstellen, welche Rolle spielt die IT-Wirtschaft dann noch?

Die Verwaltung muss die Software nicht selbst inhouse herstellen, sondern kann diese Aufträge vergeben. Sie kann sogar das Community Building um die einzelnen Produkte herum outsourcen, wenn sie will. Die digitale Transformation braucht neben einer guten IT-Wirtschaft auch möglichst viele Leute in den Spitzen der Verwaltung und in Legislative und Exekutive, die selbst genügend Verständnis für IT und schlanke digitalisierbare Prozesse haben. Die Vorgaben und Prozesse von Bund, Kantonen und Gemeinden definieren letztlich, was machbar ist. Wenn diese Rahmenbedingungen gut sind, können alle Seiten voneinander und die Gesellschaft insgesamt profitieren.

Was braucht es, um ein OSS-Projekt langfristig zu gestalten?

Ausser einem guten Projekt und fähigen Beteiligten braucht es Beharrlichkeit. Ein Produkt lebt, wenn man daran glaubt und daran arbeitet. Der Aufbau einer Community ist Knochenarbeit. Dies gilt letztlich für alles, was nachhaltig wirksam sein soll. Es hilft auch, wenn ein Open-Source-Projekt von Anfang an auf Open Source ausgelegt ist. Im Falle der Verwaltung ist ein Aufbau mit mehreren Kunden und mehreren Lieferanten sinnvoll. Das Projekt muss auch zusammengehalten werden, einerseits organisatorisch und andererseits durch die Konzeption als Produkt.

Welchen Stand hat OSS gegenüber proprietärer Software in ­Ausschreibungsverfahren?

Wenn ein Auftraggeber die Ausschreibung richtig macht, kommt es auf dasselbe heraus. Das Problem ist, dass häufig in den Kriterien bereits ein Produkt ausgewählt ist oder dass im Lebenszyklusplan OSS und Nachhaltigkeit vergessen gingen. Jede Plattform erzeugt einen Lock-in. Diesen sollten Anwender nach Möglichkeit minimieren, was mit Open Source einfacher geht. In der Verwaltung war das lange Zeit kein Thema. Leider werden heute noch immer zu viele Ausschreibungen mit schlechten Kriterien versehen, die dann sinnvolle Lösungen für die Verwaltung ausschliessen.

Welche Vorteile würde ein vollständiger Wechsel auf Open ­Source für die Schweizer IT-Wirtschaft bringen?

Open Source brächte der Schweiz mehr Wertschöpfung und Potenzial für höherwertige Arbeit. Der Informatik­betrieb könnte mehr machen. Die entwickelten Bibliotheken und Programme könnten auch in der Wirtschaft zur Anwendung kommen. Es gilt zu bedenken, dass für die öffentliche Verwaltung Informatikkosten Overheadkosten sind.

Wie ist der Einsatz von OSS vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels in der IT zu bewerten?

Das hat nicht allzu viel miteinander zu tun. OSS erlaubt es uns aber eher, Spitzenkräfte im Land zu halten.

Die Argumente zum Fachkräftemangel lauten, dass ein "Open-Source-freundlicher"-Arbeitgeber Fachleute eher anspricht und sich Rekrutierungsprozesse so einfacher gestalten. Andererseits könnte ein stärkerer Fokus auf OSS aber auch den Bedarf an Entwicklerfirmen erhöhen. Wie bewerten Sie diese Punkte?

Sich die Rosinen aus dem Kuchen zu picken, ist vielleicht einfacher, wenn man OSS freundlich ist. Letztendlich müssen wir den Kuchen vergrössern für die anstehenden Veränderungen. Es braucht mehr Fachkräfte, am besten lokale. Das Potential der Verwaltung in der Rekrutierung liegt eher darin, dass sie ein anderes Segment von Leuten anspricht, die gerne dort arbeiten (z.B. tendenziell eher etwas Risikoaverse). Ansonsten ergibt sich ein race to the bottom für die Rekrutierungen. Bei OSS ist die Wertschöpfungskette häufig länger: Die Leute können – wenn sie es wollen – mehr machen als in GUIs Häkchen zu setzen. Dass einfach so mehr Entwicklung notwendig ist, sehe ich nicht. Warum sollte ein Auftraggeber das wollen? Tendenziell muss sich eine Verwaltung eher Folgendes fragen: warum muss ich dies speziell entwickeln lassen? Warum sind meine Prozesse so komisch, dass dies nicht mit einem Standardablauf erledigt werden kann Der grosse Vorteil von OSS für einen Auftraggeber ist die Möglichkeit, die Produkte anderswo weiterentwickeln und pflegen zu lassen, wenn er mit den aktuellen Lieferanten unzufrieden ist. D.h. bei geschickter Ausführung ist der Vendor-Lock-In reduziert.

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