Transform Conference

Handwerkszeug für die Digitalisierung

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von Reinhard Riedl, Leiter des Zentrum Digital Society sowie Co-Institutsleiter an der Berner Fachhochschule

Die Berner Fachhochschule hat eine Konferenz zum Thema "Digital Skills" veranstaltet. Gemeinsamer Nenner aller Vorträge war das Thema Bildung. Den Referenten ging es nicht nur um die Vermittlung von Fertigkeiten im Umgang mit digitalen Werkzeugen, sondern auch um den persönlichen Umgang mit der Beschleunigung der digitalen Transformation.

Reinhard Riedl, Leiter des Zentrum Digital Society sowie Co-Institutsleiter an der Berner Fachhochschule. (Source: info@bettinadiel.de)
Reinhard Riedl, Leiter des Zentrum Digital Society sowie Co-Institutsleiter an der Berner Fachhochschule. (Source: info@bettinadiel.de)

Am 12. Und 13. September hat die Berner Fachhochschule (BFH) eine Konferenz zum Thema "Digital Skills" durchgeführt. Sie wurde von der Berner Erziehungsdirektorin Christine Häsler eröffnet, die in ihrem Referat aktuelle Forschungsergebnisse zur digitalen Transformation des Arbeitsmarkts aufgriff und betonte, wie wichtig es sei, Digital Skills bereits in der Volksschule zu vermitteln. Um die Chancen zu nutzen brauche es überdies eine Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis, bei der die angewandte Forschung eine wichtige Rolle spiele. Der BFH-Rektor Herbert Binggeli betonte ergänzend in seinem Eröffnungsreferat die grosse Bedeutung des permanenten Lernens. Dabei gehe es nicht nur um Fertigkeiten im Umgang mit digitalen Werkzeugen, sondern auch um den persönlichen Umgang mit der Beschleunigung des Wandels.

In den nachfolgenden Expertenvorträgen wurden die Anforderungen und Möglichkeiten der digitalen Transformation der Arbeit genauer beleuchtet. Dabei zog sich das Thema Bildung wie ein roter Faden durch fast alle Vorträge. Pierre Dillenbourg (EPFL) zeigte in einem Vortrag auf Französisch, Englisch und Deutsch, dass es neue Inhalte in der Bildung braucht und mit neuen Methoden die Qualität des Unterrichts wesentlich gesteigert werden kann. Konkret kann beispielsweise die Lehrlingsausbildung in vielen Bereichen mit digitalen Simulationswerkzeugen substanziell effizienter und effektiver werden. Zudem wird es einfacher, die Wirksamkeit des Unterrichts zu messen. Allerdings benötigen Innovationen im Unterricht Zeit und praktische Erprobung, so Dillenbourg. Man kann sie sich nicht an der Hochschule einfach nur ausdenken, sondern muss die entwickelten digitalen Werkzeuge immer wieder und wieder ausprobieren, um vorwärts zu kommen.

Ein alter Traum der Informatiker wird ein Stück weit Wirklichkeit

Erik Graf (BFH) erläuterte die Folgen der aktuellen Entwicklungen im Bereich der Coding-Plattformen und des maschinellen Lernens. Die Frage, wer Computer instruiert, wird in Zukunft anders beantwortet werden. Mit den neuen Werkzeugen werden irgendwann auch Fachexperten die Computer instruieren können, nicht nur wie heute Software-Programmierer. Dies ist ein alter Traum der Informatik, der aber nun der Verwirklichung näher zu kommen scheint. Im Raum stand, dass sich damit auch die Rolle der IT in den Unternehmen verändern wird. Um die neuen Plattformen zu nutzen, werden in Zukunft auch Spezialisten und Manager Computational Thinking Skills benötigen.

Martin Rumo (BASPO/EHSM) stellte die aktuelle Digitalisierungsforschung im Sport vor. Ihr Ziel ist es beispielsweise, taktische Spielelemente im Fussball messbar zu machen. Das heisst: Man ist dabei die Grenzen des Messbaren auszuweiten. Während man in der Vergangenheit primär die Leistungsdaten einzelner Sportlerinnen und Sportler mass, kann man neu das taktische und strategische Verhalten ganzer Mannschaften messen. Das Lernen als Mannschaft wird in Zukunft also mit harten Daten unterstützt werden.

Challenge der Innovationen

Erich Schweighofer (Universität Wien) analysierte trocken die zahlreichen Veränderungen, die Legal Tech für die Arbeit der Juristen mit sich bringt. Die eigentliche Tätigkeit der Juristen, das Arbeiten mit riesigen Textmassen, wird in Zukunft durch Technologie wesentlich effizienter werden. Einfache Rechtsentscheidungen können von den Maschinen ganz übernommen werden. Das stellt neue institutionelle Fragen. Es hat aber auch grosse ökonomische Auswirkungen. Unternehmen können Millionen sparen und für Menschen in bescheidenen Vermögensverhältnissen wird es deutlich einfacher, weil billiger, Recht zu bekommen.

Auch die wirtschaftliche Sicht auf die Transformation der Fachberufe wurde besprochen. Der Unternehmer Alain Sandoz (u.a. Universität Neuchatel und SI) berichtete über die strategischen Herausforderungen von Innovationen in der Landwirtschaft. Die Make-or-Buy-Frage sei gerade für ein kleines Land wie die Schweiz schwierig zu entscheiden. Der Präsident der Bildungskommission von ICT-Switzerland, Alain Gut (IBM), gab wiederum einen eindrücklichen Überblick über die einschneidenden Folgen der digitalen Transformation für Wirtschaft und Arbeitnehmer. Ausbildung müsse fokussierter und personalisierter werden und das Interdisziplinäre betonen. Es bleibe aber auch dann noch für KMUs eine grosse Herausforderung, die Defizite der Mitarbeitenden im Bereich Digital Skills zu erkennen und zu wissen, welche Weiterbildung sie benötigten.

Weg von verstaubten Lehrinhalten

In der den ersten Tag abschliessenden Podiumsdiskussion trafen drei sehr unterschiedliche Charaktäre aufeinander: die Pflegeforscherin Friederike Thilo (BFH), der Unternehmer Bramwell Kaltennrieder (u.a. BFH) und der Informatiker Thomas Stricker (SI/ECDL-SI). Ergebnis war eine engagierte Diskussion mit vielen Fragen aus dem Publikum. Fazit unter anderem: Wir müssen auf alte Lehrinhalte verzichten und das Interdisziplinäre fördern!

Am nächsten Tag wechselte die Konferenz ins Berner Rathaus – nach dem Motto: Eulen nicht nach Athen, sondern ins Rathaus tragen. In ihrer Eröffnungsrede stellte die Direktorin des BFH-Departements Wirtschaft, Ingrid Kissling, die neue Strategie des Departements vor. In ihr nimmt die Vermittlung von Digital Skills eine zentrale Rolle ein. Zwei der fünf neuen Institute, das Institut Digital Enabling und das Institut Public Sector Transformation, widmen sich der Erforschung von Digital Skills. Das Digital Lab bietet zudem neu die Gelegenheit, Digital Skills praktisch zu trainieren.

Das Interdisziplinäre fördern

Danach stellte Fabrizia Benini (EU-Kommission) aktuelle Studien zum vorhanden Sein – oder nicht vorhanden Sein - von Digital Skills in der Bevölkerung vor. Fazit: 40% der Europäerinnen und Europäer besitzt nicht einmal Basis-Skills, der Rest tut sich mit fortgeschrittenen Skills schwer. Die EU will deshalb unter anderem das Programm Digital Europe lancieren. Im Zentrum stehen fortgeschrittene Digital Skills zu künstlicher Intelligenz, Cybersecutity und High Performance Computing.

Marianne Janik (Microsoft) bekannte sich zur Aufgabe von Unternehmen, die Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden im Bereich Digital Skills zu fördern. Dies sei für den Unternehmenserfolg von entscheidender Bedeutung. Sie stellte das Weiterbildungsprogramm von Microsoft vor, das Wissen, Know-how und Erfahrung fokussiert vermittelt. In mehreren Publikumsbeiträgen wurde diese fokussierte Ausbildung danach hinterfragt. Wie Janik ausführte, steht diese Fokussierung nicht im Gegensatz zur Förderung des Interdisziplinären.

Ökonomische Optimierungswellen rollen auf uns zu

Reinhard Riedl (BFH)/SI) beschrieb die verschiedenen ökonomischen Optimierungswellen, die uns überrollen werden oder dies schon getan haben: erstens die Effizienzsteigerung durch neue Ressourcen (Gig-Ökonomie-Worker, Crowdsourcing, Automatisierung, künstliche Intelligenz), zweitens die globale Verstetigung von Innovation, drittens die radikale Personalisierung, viertens die Multi-Aspekt-Optimierung mittels digitaler Zwilling und fünftens extreme Organisationsformen in den "Coffin Corners" betriebswirtschaftlichen Handelns. Daraus leitete er elf unternehmerische Digital Skills für Führungskräfte ab, die notwendig sind, um diese Wellen zu reiten. Für ihn sind Mathematik und die Geisteswissenschaften wichtige Fundamente des Erwerbs von Digital Skills.

Marcel Salathé (EPFL) rückte mit simplen Ungleichungen das in der Bevölkerung verbreitete Bild zurecht, dass Datenwissenschaft etwas Besonderes sei. Er formulierte beispielsweise als Ungleichung, dass das Tandem aus künstlicher Intelligenz und Mensch besser ist als die künstliche Intelligenz. Experimente in vielen Bereichen haben dies eindrücklich demonstriert, unter anderem im Schach. Angewandte Datenwissenschaft werde in Zukunft Alltag sein, so Salathé. Data Science Skills benötige jede und jeder. Die EPFL bietet deshalb mit ihrer Extension School Programme zum Erwerb wichtiger Digital Skills an, einschliesslich dem Erwerb von Coding Skills. Das Besondere daran ist, dass Grundkurse und Programme keine Voraussetzungen haben und auch ohne Vorbildung ein akademisches EPFL-Diplom in der Extension School erworben werden kann.

Neue Wege beschreiten

Den Abschluss des Vormittags des zweiten Tags machte ein Votum des Berner Stadtpräsidenten, Alec von Graffenried. Er wies darauf hin, dass die digitale Transformation schon seit Jahrzehnten stattfindet, betonte aber auch die Wichtigkeit, dass man neue Wege gehe. Zur Illustration stellte er die partizipativen Kreativworkshops der Stadt Bern vor.

Am Nachmittag kam dann schliesslich die Wissenschaft zu Wort. Krishna Gummadi (Max-Planck-Institut) führte mittels graphisch illustrierter mathematischer Modelle in die Fairness- und Diskriminierungsforschung aus Sicht der Informatik ein. Er zeigte, dass das genaue Studium des Datenraums erklären kann, warum objektive Fairness zu einer statistischen Rassendiskriminierung brutalen Ausmasses führen kann. Daraus folgt, dass Digital Fairness Skills vor allem auf der Fähigkeit basieren, saubere mathematische Modelle zu erstellen. Sie können nicht nur die traditionelle Diskriminierungsforschung der Ökonomen weiterbringen, sondern sind auch in praktischen Kontexten wichtig für ein ethisch verantwortungsbewussten Handeln in der digitalen Transformation.

Wie man Programmier-Know-how vermitteln kann

Sebastian Pape (Universität Frankfurt) stellte Privacy Design Patterns als wichtiges Instrument für den verantwortungsbewussten Umgang mit personenbezogenen Daten vor. Die entsprechenden Digital Skills bestehen demnach in der Nutzung von Pattern Sprachen, wie wir sie aus dem Software Engineering und dem IT-Architekturdesign kennen. Karoline Busse (Universität Bonn) untersuchte das Thema Security aus Benutzersicht. Ihre Forschungsergebnisse sind zugleich erschütternd und erheiternd. Die Programmierpraxis im Umgang mit Passwörtern liegt zwischen inkompetent und total ignorant. Bei den Digital Security Skills ist der Weiterbildungsbedarf bei Laien und bei Programmieren gleichermassen gross.

Alexander Repenning (FHNW/Universität Colorado) stellte seine Experimente zur Vermittlung von Coding Skills an Kinder und an Lehrer vor. Er zeigte, wie einfach und erfolgreich Computational Thhinking vermittelt werden kann, wenn man die Interessen und die Neugier von Kindern adressiert. Er demonstrierte zudem, dass das Analoge sogar mit Erwachsenen möglich ist, die keinen Bezug zur Informatik haben. Konkret sind mittlerweile über tausend junge Lehrerinnen und Lehrer in der Schweiz erfolgreich im Computational Thinking ausgebildet worden. Deshalb sehe die Zukunft rosiger aus, als man es aus den Versäumnissen der Vergangenheit und dem Ist-Zustand schliessen könne.

Wenn die KI den Forschern die Arbeit abnimmt

Angelina Dungga-Winterleitner (BFH) erläuterte, dass bei der digitalen Transformation der öffentlichen Verwaltung Kollaboration der Schlüssel zum Erfolg sei. Sie gab einen Überblick über jüngere Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Project Champions, wie man sie aus multidisziplinären Entwicklungsprojekten kennt, für die Führung der Zusammenarbeit von Organisationen wenig geeignet sind, weil es nicht um inhaltliche Leadership geht. Darauf aufbauend stellte sie die in der Forschung identifizierten, kollaborative Governance- und Leadership-Rollen mit ihren jeweils eigenen Skills vor.

Der Präsident des Schweizer Wissenschaftsrats (SWR), Gerd Folkers (ETH), hielt den Abschluss-Keynote der Konferenz mit einem Referat zur Zukunft der Interdisziplinarität in der Forschung. Er stellte klar, dass Top-Down-Interdisziplinarität viel weniger Nutzen bringt als "echte" Bottom-up Interdisziplinarität. Diese scheitere an vielem, vor allem auch an der Bereitschaft, sich das Denken anderer Disziplinen anzueignen. Diese Fremd-Aneignung sei aber entscheidend für den Erfolg von Interdisziplinarität und die Digitalisierung schaffe phantastische neue Möglichkeiten dafür. Diese Erkenntnis, basierend auf langjähriger Erfahrung mit und Erforschung von Interdisziplinarität, wird wohl auch dann noch gelten, wenn die Forschung von intelligenten Maschinen schon längst übernommen worden ist.

Vorhang zu – und noch mehr Fragen offen

Fazit: Es braucht alte und neue Digital Skills an allen Ecken und Enden – von der Lehrlingsausbildung über das Sport-Coaching bis zur interdisziplinären Exzellenz-Forschung. Die Tagung zeigte, wie bereichernd der multidisziplinäre Dialog sein kann – und wie viel Gemeinsamkeiten es doch gibt. Durch die Tagung führte der Historiker Thomas Gees (BFH).

Das Tagungsprogramm zusammengestellt wurde durch den Leiter des BFH-Zentrums "Digital Society", Reinhard Riedl. Er fasste die Referate im Schlusswort mit einer Abwandlung eines Bertold-Brecht-Zitats zusammen: "Der Vorhang zu – und noch mehr Fragen offen!"

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