Interview mit dem Gründer von Die Ergonomen Usability

Warum Christopher Müller bei seiner Arbeit nicht nach Fehlern sucht

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Die Ergonomen Usability feierte kürzlich das zehnjährige Bestehen. Gründer und Verwaltungsratspräsident Christopher Müller spricht im Interview über den Weg der Usability vom Buzzword zum Trendwort und wie sich sein Unternehmen in den nächsten zehn Jahren weiterentwickeln könnte.

Christopher Müller, Gründer und VR-Präsident, Die Ergonomen Usability. (Source: zVg)
Christopher Müller, Gründer und VR-Präsident, Die Ergonomen Usability. (Source: zVg)

Was macht eigentlich ein Ergonome?

Christopher Müller: Einem Ergonomen geht es immer darum, effizientes und effektives Arbeiten zu ermöglichen, also dass eine Arbeit schnell, in guter Qualität und mit möglichst wenig Fehlern erledigt werden kann. Er kümmert sich um die effiziente und effektive Arbeit oder gute Arbeitsplätze. Er befasst sich auch mit der Benutzerfreundlichkeit von Software, Bedienungsanleitungen, Geräten oder Produkten aller Art.

Und was macht einen besonders guten Ergonomen aus?

Bei uns in der Firma geht es oft um eine besondere Art der Ergonomie. Wir fokussieren auf Softwareergonomie, auf die Ergonomie der Kommunikation und um Design oder anders gesagt um möglichst einfache Produkte und um eine bewältigbare Komplexität. Bei uns zeichnet sich ein guter Ergonom durch seine Empathie aus. Dank der Fähigkeit, den Nutzer zu verstehen und sich in ihn hineinzuversetzen, können wird aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen ein besseres Produkt für den Auftraggeber umsetzen. Er kann eine Perspektive einnehmen, die der Produktentwickler selbst nicht mehr einnehmen kann, wegen seiner Innensicht und Voreingenommenheit.

Wie hat sich Ihre Firma in letzter Zeit verändert?

Wir haben uns zum zehnten Geburtstag eine grundlegende Reorganisation geschenkt, weg von einem patronalen hin zu einem flexibel geführten Unternehmen. Lukas Bänninger wurde vom COO zum CEO befördert. Das Leadership-Team umfasst neben dem CEO neu vier Personen, die sich die Aufgabenbereiche teilen. Die ganze Verantwortung wird jetzt von dieser verbreiterten Geschäftsleitung wahrgenommen. In den zehn Jahren davor hing die Leitung an einzelnen Personen: In den ersten fünf Jahren an mir, und danach zusätzlich an Lukas Bänninger. Ich bin sehr froh, dass diese Umstellung so rasch und vor allem gut funktionierte.

Die Ergonomen gibt es seit zehn Jahren. In dieser Zeit entwickelte sich "Usability" vom seltenen Fachbegriff zum Buzzword. Wie kam es dazu?

Einerseits ist es eine normale Entwicklung: Je länger man über etwas redet, desto mehr besteht die Chance, dass es in den Alltagsgebrauch übergeht. Gleichzeitig hat sich der Markt verändert: Mit der Einführung von Smartphones mit Touchbedienung und der generellen Vereinfachung von Produkten weg von überladener Software hin zu Apps mit einer zentralen Funktion, haben wir uns alle auch zu einfacheren Produkten erzogen. Den Fokus legen wir heute weniger auf den Funktionsumfang als auf Einfachheit. Diese Entwicklung verlief gerade in den letzten zehn Jahren rasant. Usability ist für mich aber nicht so sehr ein Buzzword als vielmehr eine Grundbedingung, die an Produkte gestellt wird. Dass sich so viele Usability auf ihre Fahne schreiben, ist ja ein Beleg dafür, wie wichtig das Thema ist.

Sie selbst sind schon seit fast 20 Jahren in dem Bereich tätig. Wie und warum kamen Sie damals zur Usability?

Ich doktorierte zwischen 1996 und 2000 am Institut für Hygiene und Arbeitsphysiologie an der ETH Zürich. Ich erforschte damals das Thema Elektrosensibilität und hatte viel mit betroffenen Menschen zu tun. Dass ich mich für Usability zu interessieren anfing, war so eine Art Eingebung: auch da hat man mit Menschen zu tun, die unter schlechten Produkten und komplizierten Prozessen "leiden". Diese Arbeit mit Menschen, die Möglichkeit, etwas zu verbessern und mit wenig viel zu bewirken, hat mich fasziniert. Am Institut gab es auch eines der ersten Usability-Labs in der Schweiz. So ergab sich die Chance, mit einem Kollegen zusammen ein Spin-off zu gründen und dieses Usability-Labor zu privatisieren.

Laut Ihrem LinkedIn-Profil sind Sie in einem Tennisklub aktiv. Gibt es da auch eine Analogie zur Usability? Vielleicht die vielen Ballwechsel?

Na ja, für mich ist Tennis in erster Linie ein Ausgleich. Aber wenn wir eine Analogie finden möchten, denke ich eher an ein Tennis-Doppel, weil man es oft mit Partnern zu tun hat. Natürlich kommt es beruflich vor, dass wir dem Benutzer einen Ball zuspielen. Wenn dann "ein böser Slice" zurückkommt, liegt es an uns, eine Lösung zu finden. Aber ich glaube, diese Tennis-Metaphern sind recht weit hergeholt.

Reden wir ein wenig über Usability: Was macht eine gute User ­Experience aus?

Wenn wir von User Experience reden, sprechen wir vom Erlebnis, das der Benutzer beim Bedienen eines Produkts oder beim Verstehen einer Kommunikation hat. Es geht weniger um konkrete Farben und Formen, mit denen ein Front-End besonders gut aussieht. Eine gute User Experience ist dann gegeben, wenn der Nutzer ein Produkt intuitiv verwenden kann. Er muss sein ursprüngliches Ziel effizient erreichen können. Dabei sollte er möglichst positive Emotionen erleben.

Wer oder was ist der grösste Feind guter Usability?

Aus der Erfahrung heraus würde ich sagen, es sind die Innensicht und die eigene Überzeugung. Auf dem Weg der Produktentwicklung trifft man ja eine Menge Entscheidungen – bewusst und unbewusst. Und oft vergisst man, dass manche dieser Entscheidungen für den Benutzer nicht einfach so nachvollziehbar sind. Die Entwickler kennen den ganzen Prozess, der User sieht aber nur das Endprodukt. Und diese unterschiedliche Wahrnehmung zu ignorieren, ist der grösste Fehler, den man machen kann.

Welche Rolle spielt Geld in Bezug auf gute Usability?

Das Budget spielt natürlich eine Rolle. Aber es gibt jene, die begriffen haben, dass sich die Investition in Usability, in die Aussensicht auf jeden Fall lohnt. Und in diesen Fällen ist das Budget auch nicht das Problem, zumal es oft nicht darum geht, riesige Projekte daraus zu machen. Es reicht oft, die Aussensicht in den Entwicklungsprozess einzubeziehen. So gesehen spielt die Reife der Stakeholder eine grössere Rolle.

Was sind häufige Fehler, die im UX-Design gemacht werden?

Da bin ich überfragt. Wir konzentrieren uns bei der Arbeit auf das Potenzial und schauen, wie es sich effizient nutzen lässt. Wir erstellen keine Listen mit Fehlern oder Bugs, denn es geht uns nicht darum, den Finger in die Wunde zu legen. Würden wir anfangen, von Fehlern zu sprechen, würden wir automatisch eine Konfrontation schaffen, die nicht zielführend wäre. Wir wollen das Potenzial, die Möglichkeiten aufzeigen und konkrete Verbesserungsvorschläge aus Sicht der Benutzer erarbeiten. Wir geben auch nie dem Entwickler die Schuld, wenn während eines Benutzertests etwas nicht funktioniert. Vielmehr schauen wir mit dem Entwickler gemeinsam an, wie ein Prozess verbessert werden kann.

War diese Offenheit, dieser Fokus auf das Potenzial, schon immer Teil der Ergonomen?

Ja, sie ist ein Bestandteil unserer Philosophie. Einer unserer Werte lautet "we deliver". Wir wollen bewusst mit Spass bei der Sache sein. Würden wir auf Fehler pochen, würde unsere Arbeit keinen Spass mehr machen, und wir wären nicht motiviert. Ein anderer Grundsatz besagt, dass wir möglichst viel direkt zeigen, anstatt etwa viel zu schreiben. Das macht uns auch effizienter darin, zu erklären, wo sich Dinge verbessern lassen.

UX-Designern wird manchmal vorgeworfen, zu sehr für einen bestimmten Prototyp von Kunden zu entwickeln. Wie stellen Sie sicher, dass möglichst viele verschiedene Kunden Ihre Produkte nutzen können?

Wir stellen zunächst sicher, dass wir vor unserem Test unseren Zielmarkt und die Zielgruppe klar definiert haben. Auch der Kontext, in dem ein Produkt genutzt wird, muss geklärt sein, oder allenfalls zunächst in Erfahrung gebracht werden. Dazu gehört insbesondere auch die Lokalisierung: Ein Produkt muss nicht nur sprachlich für eine Kultur angepasst sein, sondern beinhaltet auch implizites Übersetzen: Wir verstehen die Welt anders als Menschen einer anderen Kultur. Es reicht manchmal nicht, einfach Sprache oder Abbildungen zu übersetzen. Manchmal muss man Dinge etwa blumiger, weniger direkt beschreiben.

Passt sich Ihrer Meinung nach das UX-Design dem Menschen an, oder der Mensch dem UX-Design?

Beides. Wir gehen ja oft davon aus, dass wir ein einfach zu bedienendes und nützliches Produkt schaffen wollen. Hierbei gibt es bestimmte Grundsätze der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit, die erfüllt werden müssen. Es gibt aber auch den "Kunst-Approach" der Innovation. Das Smartphone mit seinem Touchscreen gehört dazu. An dieses mussten wir uns zuerst gewöhnen. Heute erleben wir etwas Ähnliches mit Sprachassistenten, mit denen wir noch umzugehen lernen müssen. So gesehen passt sich der Mensch tatsächlich der UX an. Aber umgekehrt gestaltet man die UX so, dass dieser Anpassungsprozess möglichst reibungslos verläuft.

Das klingt nach einem ständigen Wandel. Glauben Sie, dass die Tests, die Sie heute durchführen, vor fünf Jahren zu ganz anderen Resultaten geführt hätten?

Das ist gut möglich, wobei ich "ganz anders" ein wenig hart ausgedrückt finde. Aber wir Nutzer lernen ja sehr schnell und sind gezwungen, uns an neue Interaktionsformen, Kommunikationsstile bis hin zu Darstellungs­varianten und -moden zu gewöhnen. Es ist ein laufender Prozess, der uns zu kompetenten Mediennutzern macht. Und immer, wenn etwas Neues auftaucht, sind wir zu Beginn auch entsprechend inkompetent und lernbedürftig.

Wie sehen Sie die Beziehung zwischen Usability und Accessibility? Beissen sich die beiden?

Überhaupt nicht. Es gilt sogar die Faustregel: Was "accessible" ist, funktioniert auch für Nichtbehinderte. Also Inhalte, die für sehbehinderte Personen gut lesbar dargestellt oder für hörbehinderte Menschen leicht verständlich formuliert werden, sind für alle besser. Das gilt auch bei Inhalten im grösseren Sinne: Eine Gebrauchsanleitung, die leicht verständlich verfasst wurde, ist auch für Experten leichter zu verstehen. Die Lieferanten der Inhalte haben oft das Gefühl, zu einfache Texte würden ihre Kunden nicht zufriedenstellen. Wir erleben aber immer: Je einfacher man es dem Nutzer macht, desto zufriedener sind alle. Unsere Tests zeigten sogar, dass Benutzer zu detaillierte Beschreibungen in Gebrauchsanleitungen schlicht nicht lesen. Darum ist es oft besser, etwas wegzulassen, anstatt es genauestens zu beschreiben.

Schauen wir nach vorne. Reden wir in zehn Jahren noch immer über Usability?

Auf jeden Fall. Aber man wird nicht mehr darüber sprechen müssen, dass Usability notwendig ist. Vielmehr wird man von gut gemachten und weniger gut gemachten Projekten sprechen. Vielleicht gibt es dann zwar dank künstlicher Intelligenz und Robotics Prozesse, bei denen man nicht mehr auf Usability achten muss. Aber es wird noch immer Aufgaben, Prozesse und Produkte geben, bei denen der Mensch involviert ist. Entsprechend wird auch die User oder die Customer Experience wichtig sein.

Und wo stehen Sie und die Ergonomen in zehn Jahren?

Dank der neuen Aufgabenverteilung können wir zukünftig viel breitere Projekte angehen. Wir haben Kompetenzen im Haus, die über Usability hinausgehen, etwa Customer Experience in Kombination mit Verhaltensökonomie. Ich glaube, diese Entwicklung wird weitergehen: Wir werden in zehn Jahren noch etwas grösser geworden sein, noch spannendere und längerfristige Projekte haben und Themen angehen.

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