Nachgefragt beim NTO von Microsoft Schweiz

Warum sich Marc Holitscher einen Windows-Laptop ausleihen musste

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Microsoft Schweiz hat zwei Technologiechefs und seit August 2019 eine eigene Cloud. National Technology Officer Marc Holitscher sagt, warum das so ist. Ausserdem spricht er über seine Rolle als NTO beim US-Unternehmen und erklärt, warum seine jetzige Aufgabe zu seinem Studium passt.

Marc Holitscher, NTO, Microsoft Schweiz (Source: Michele Limina)
Marc Holitscher, NTO, Microsoft Schweiz (Source: Michele Limina)

Microsoft Schweiz hat zwei Technologiechefs: Sie und Stefano Mallè. Warum ist das so?

Marc Holitscher: Technologie durchdringt zunehmend jeden Lebensbereich, sowohl den privaten wie auch den geschäftlichen. Und sie beeinflusst immer stärker, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, wie wir mit ihr interagieren und wie wir Entscheidungen fällen. Mit dieser Veränderung steigt auch der Erklärungsbedarf bei unseren Kunden sehr stark. Und wir möchten diese Nachfrage möglichst ganzheitlich adressieren.

Wie teilen Sie sich Ihre Aufgaben auf?

Wir haben einen "Chief Technology Officer" und einen "National Technology Officer". Der CTO beschäftigt sich traditionell sehr stark mit dediziert technischen Problemstellungen. Er fragt sich beispielsweise, wie man softwarebasierte Entwicklungsprozesse weiter automatisieren kann oder wie sich Softwarearchitekturen optimal definieren lassen. Ich als NTO fokussiere mich sehr stark auf Schnittstellenthemen und beschäftige mich zum Beispiel mit der Frage, was es braucht, damit Kunden im regulierten Bereich cloudbasierte Infrastrukturen nutzen können. Hier kommen technische, wirtschaftliche, rechtliche und regulatorische Aspekte zusammen. Ich verstehe mich als Brückenbauer. Der NTO, im Unterschied zum CTO, verantwortet vielmehr strategische Themen. Er spricht über künstliche Intelligenz oder Cybersecurity, aber auf einer übergeordneten Ebene. Ich habe die Aufgabe, die Themen in ihren verschiedenen Ausprägungen den relevanten Zielgruppen näherzubringen und zu erklären.

Zum Beispiel?

Ich spreche die Möglichkeiten, aber auch potenzielle Risiken neuer Technologien an. Man darf beispielsweise künstliche Intelligenz nicht als rein technisches Phänomen verstehen. Sie bringt auch verschiedenste Begleitfragen mit sich: Was leistet sie? Ist alles, was möglich ist, auch wünschenswert? Indem wir solche Themen proaktiv und transparent ansprechen, möchten wir vor allem auch Vertrauen schaffen. Wir wissen, dass unsere Kunden neue Technologien nur dann einsetzen werden, wenn sie ihnen auch vertrauen und verstehen, wie sie funktionieren. Dieser Aspekt ist meiner Meinung nach heute so wichtig wie noch nie.

Sprechen wir über Sie. Stimmt es, dass Sie früher journalistisch tätig waren?

Ja. Ich habe während meines Studiums unter anderem als freier Journalist gearbeitet, etwa für die "Neue Zürcher Zeitung". Davor war ich beim "Internet Standard". Ich erinnere mich noch genau an unsere erste Ausgabe. Die publizierten wir am 18. August 2001 – dem Tag, an dem an der Börse die New-Economy-Blase platzte. Wir sassen vom ersten Tag an auf dem sinkenden Schiff, weil das ganze Businessmodell nicht mehr aufging.

Promoviert haben Sie an der Universität Zürich in "Internationalen Beziehungen". Wie kamen Sie schliesslich zu Microsoft?

Mich haben schon sehr früh Themen an der Schnittstelle von Technologie, Wirtschaft und Politik interessiert. In Deutschland gibt es das schöne Wort "Technologiefolgenabschätzung". Und genau zu diesem Kontext schrieb ich meine Dissertation – über Internet Governance. Es ging vordergründig um ein technisches Thema, das aber für wirtschaftliche und politische Zusammenhänge hochgradig relevant war. Ich schaute mir konkret an, wer die Macht hat über die Root Server, quasi das Telefonbuch im Internet, und welche zusätzliche Machtmomente diese Kontrolle verleiht. Auch heute bei Microsoft beschäftigt mich diese Schnittstelle zwischen Technologie und anderen Bereichen. Es ist gewissermassen die Fortsetzung.

Sie haben mehrere Bücher über Internetregulierung geschrieben …

Na ja, es waren in erster Linie Fachartikel, die ich veröffentlichte.

Was hat Sie dazu motiviert?

Das war vermutlich die Übersetzungsleistung. Vordergründig ging es um technische Zusammenhänge, die eine gewisse Komplexität mit sich bringen. Diese übersetzte ich in die Sprache der Leute, die nicht den Luxus haben, sich vertieft damit auseinanderzusetzen, aber dennoch darüber entscheiden müssen. Auch da gibt es wieder eine gewisse Kontinuität.

Sind Sie der Wissenschaft treu geblieben?

Ja, meine Rolle bringt das quasi mit sich. Ich muss mich stets über den neuesten Stand der kommenden Technologien informieren. Und ich habe als NTO auch mit Universitäten sehr viel zu tun, mit denen wir zusammenarbeiten. Erst kürzlich eröffneten wir das Labor für KI und Augmented Reality zusammen mit der ETH. So darf ich mich heute in beiden Welten bewegen.

Haben Sie in der Techbranche ein Vorbild?

Ja, so kitschig es klingen mag. Ich schätze Brad Smith, Präsident von Microsoft, sehr. Ich finde, er artikuliert Themen und Zusammenhänge in einer einzigartigen Weise und zeigt auf, wie sich Technologie auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenhänge auswirkt. Er fragt sich zum Beispiel, wie wir sicherstellen, dass Technologie im Sinne einer erweiterten Öffentlichkeit eingesetzt und nicht von Partikular-Interessen missbraucht wird. Das Flaggschiff seiner Bemühungen ist die Digital Geneva Convention, die Staaten verpflichtet, in Friedenszeiten das Internet nicht zum Durchsetzen politischer Interessen zu missbrauchen. Das fasziniert mich, weil es alles kombiniert, an das ich glaube.

Sind Sie eigentlich mit Windows oder Mac aufgewachsen?

Ich wurde grösstenteils mit Macs gross. Zu meiner Studentenzeit waren Macs an Universitäten noch sehr verbreitet. Ich muss sogar zugeben, dass ich mir einen Windows-Computer ausleihen musste, um meine Präsentation für mein Microsoft-Vorstellungsgespräch mit Windows halten zu können. Das ist jetzt aber 14 Jahre her. In der Zeit hat sich sehr vieles verändert. Inzwischen haben sich die Unterschiede zwischen den beiden Plattformen weitestgehend aufgelöst. Ob man Mac oder Windows nutzt, wird heute nicht mehr so religiös kultiviert wie früher. Als Firma bemühen wir uns heute stark darum, dass unsere zentralen Anwendungen auf beiden Plattformen gleich gut laufen.

Wie kam es zu dieser Öffnung?

Microsoft hat in den letzten fünf Jahren einen sehr tiefgreifenden Transformationsprozess durchgemacht, auf unterschiedlichsten Ebenen und Dimensionen. Einerseits wurden wir anderen Plattformen gegenüber offener. Wir änderten aber auch als Firma unser Geschäftsmodell fundamental weg vom Verkauf von Lizenzen hin zum cloudbasierten Modell, das wir nur monetarisieren können, wenn es der Kunde wirklich nutzt.

Zu Ihren Aufgaben gehört es, Kunden bei der Umsetzung von Cloud-Projekten zu begleiten. Welcher Branche fällt es besonders schwer, in die Cloud zu wechseln?

Es gibt sicher Branchen mit erschwerten Anforderungen, wie Versicherungen oder Banken. Es gibt aber auch Branchen, von denen wir uns wünschen würden, die Cloudplattformen etwas "freizügiger" oder aggressiver zu nutzen, namentlich der öffentliche Sektor. Dort sehen wir nach wie vor eine gewisse Zurückhaltung gegenüber den Möglichkeiten.

Gegenüber Microsoft oder gegenüber der Cloud generell?

Ich würde sagen: gegenüber der Public Cloud. Viele Departemente betreiben ihre eigenen Datacenter, die sie als Private Cloud bezeichnen. Oder sie unterhalten eine Hybrid Cloud, also eine Mischform. Aber wenn es um wirkliche Public-Cloud-Strukturen geht, ist die öffentliche Hand noch sehr zurückhaltend. Das ist schade, zumal gerade der Bund eine gewisse Vorbildfunktion gegenüber kommerziellen Firmen hat.

Google ist vor Microsoft mit einer Schweizer Cloud gestartet. Hat Sie das überrascht?

Nein, ich war nicht überrascht. Wir haben vor Google angekündet, dass wir in die Schweiz kommen. Insofern war der Schritt abzusehen. Grundsätzlich sind wir sehr selbstbewusst, was die Fähigkeiten unserer Plattform, aber auch die langjährige Verankerung in der Schweiz betrifft. Wir begrüs­sen den Wettbewerb auch. Ich glaube, dass eine gewisse Differenzierung dem Markt und den Anbietern guttut.

Was ist Ihr Hauptargument für die Unternehmen, die sich zwischen Google und Microsoft entscheiden müssen?

Wir sind seit 30 Jahren in der Schweiz präsent, und wir haben sehr viel in das Vertrauen unserer Kunden investiert. Für uns ist es das höchste Gut und tief verankert in der Microsoft-DNA. Wir machen das nicht erst seit gestern. Schon 1994 hat Bill Gates die Trustworthy-Computer-Initiative lanciert. Wir realisierten als Firma, dass Sicherheit und Datenschutz integrale Bestandteile unseres Geschäftsgebarens und unserer Technologie sein müssen. Darum verfolgen wir ein Geschäftsmodell, das die Privatsphäre und den Datenschutz unserer Kunden stark respektiert. Ich spüre von unseren Kunden und auf politischer Ebene viel Zuspruch, dass das Bekenntnis zu Vertrauen, Transparenz und Datenschutz in der Schweiz im Markt sehr stark unterstützt wird.

AWS hat im weltweiten Cloud-Markt die Nase vorn. Warum ist das so?

Amazon hat früher angefangen als die anderen. Das Unternehmen ist gewissermassen die Mutter des Cloud Computings. Daher hat es einen gewissen Vorsprung. Schauen wir die Marktanteile an, mag es so sein, dass Amazon vorne ist. Allerdings las ich kürzlich eine noch unveröffentlichte Studie, die Microsoft auf gleicher Stufe zeigt wie Amazon, was aktuelle und künftige Investitionen in Europa betrifft. Ich glaube, dass der Markt in Bewegung ist. Wir haben nicht das Gefühl, auf einer Aufholjagd zu sein. In der Schweiz haben wir derzeit 4600 Partner, die ihr Geschäft auf unserer Plattform aufbauen. Insofern blicken wir der Zukunft mit sehr viel Selbstvertrauen entgegen.

Warum haben Sie überhaupt eine Cloud in der Schweiz gestartet?

Dank der Nähe zu unseren Kunden verstehen wir ihre Bedenken und Bedürfnisse sehr gut. Wir haben verstanden, dass unsere lokalen Kunden ein urschweizerisches Verlangen danach haben, die eigenen Daten im eigenen Land gespeichert zu haben. Zudem sind die regulatorischen Anforderungen in der Schweiz, was den Umgang mit Daten angeht, insbesondere in den regulierten Industrien sehr hoch. Entsprechend adressieren wir das so.

Sie bieten die Schweizer Cloud als Alternative zu Azure Amsterdam an. Wie viel teurer kommt einem Unternehmen die Schweizer Variante zu stehen?

Azure ist ein Baukasten aus mehr als 175 Services mit unterschiedlichen Preisen. Wir haben einmal kommuniziert, dass der Aufschlag, über alles gesehen, etwa 20 Prozent beträgt. Aber je nach Kombination kann der Preisunterschied auch deutlich geringer ausfallen. Bisher konnten wir noch nicht feststellen, dass die Preise ein Schweizer Unternehmen abgeschreckt hätte. Wir sind zufrieden, wie sich das Schweizer Datacenter entwickelt. Wir schalteten die Services Ende August auf und hatten damals 30 Early Adopters. Inzwischen sind drei Monate vergangen und wir haben weit über 100 Schweizer Unternehmen.

Für wen lohnt sich die Schweizer Cloud besonders?

Das lässt sich schwer pauschal sagen. Ein kleines Unternehmen hat dank der Cloud Zugang zu einer IT-Struktur, die bislang nur einem Grossunternehmen offenstand. Und grosse Unternehmen müssen nicht mehr einen bedeutenden Teil ihrer IT-Kosten in den ständigen Betrieb eigener Rechenzentren investieren, sondern erhalten die variablen Kapazitäten, die sie gerade benötigen.

Was hat Microsoft mit Azure Schweiz noch vor?

Wir sehen Azure Schweiz als klares, langfristiges Bekenntnis zur Schweiz. Die verfügbaren Services bauen wir kontinuierlich aus. Derzeit arbeiten wir an weiteren Azure-Services. Noch in diesem Jahr rechnen wir mit Office 365. Im Verlauf des kommenden Jahres wird auch Dynamics dazukommen. Somit werden alle drei Clouds in der Schweiz verfügbar sein. Nach dem gelungenen Start freuen wir uns darauf, diese Investition weiterzutragen.

Was ist dabei die grösste Herausforderung?

Ich engagiere mich in diesem Bereich oft als Brückenbauer. Ich zeige den Kunden auf, wie eine Cloudplattform ihre Anforderungen erfüllt. Oft sind sie technischer Natur. In einigen Bereichen kommen aber auch regulatorische Herausforderungen zur Sprache, etwa bei Banken, die neben dem Schweizer Datenschutz auch Auflagen der Finanzaufsicht erfüllen müssen. Im Gesundheitswesen ist das Berufsgeheimnis besonders relevant. Ich zeige diesen Kunden, mit welchen technischen, organisatorischen oder vertraglichen Massnahmen diese Anforderungen erfüllt werden. Das ermöglicht ihnen, informiert zu entscheiden, ob eine Auslagerung in die Cloud für sie sinnvoll und rechtskonform umgesetzt werden kann. Beim Kunden sind viele verschiedene Abteilungen involviert, die nachvollziehbarerweise nicht immer über das technologische Grundverständnis verfügen, damit sie zielorientiert entscheiden können. Die Cloud bringt aber oft auch kulturelle Herausforderungen und interne Anpassungen mit sich. Ein Projekt, welches auf den ersten Blick rein technisch aussieht, wird dann sehr schnell zu einem Projekt des kulturellen Change Managements.

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