Bluetooth, Entfernung und viele Parameter

So schätzt SwissCovid ab, welche Kontakte gefährdet sind

Uhr
von Rodolphe Koller und Übersetzung: René Jaun

Die SwissCovid-App soll die Schwächen der menschlichen Kontaktnachverfolgung überwinden. Dazu zeichnet die Bundes-App automatisch die Kontakte in der Nähe auf, um sie im Risikofall zu benachrichtigen. Der Mechanismus, mit dem die App aus dem Bluetooth-Signal ein mögliches Ansteckungsrisiko ableitet, ist komplex und nicht in Stein gemeisselt.

(Source: EPFL / Fotalia)
(Source: EPFL / Fotalia)

Seit dem 25. Juni steht SwissCovid offiziell in den App Stores für IOS und Android zum Download bereit. Die Contact-Tracing-App des Bundes soll es ermöglichen, Leute, die mit einer Corona-infizierten Person in Kontakt gekommen sind, zu benachrichtigen. Oder in umgekehrter Richtung: Wer positiv auf das neue Coronavirus getestet wurde, kann mit der App die Personen, mit denen er unlängst Kontakt hatte, anonym benachrichtigen.

Vom Bluetooth-Signal zur Entfernung und zur Wahrscheinlichkeit

Laut dem vom Parlament verabschiedeten Gesetz soll die SwissCovid-App alle Kontakte gemäss den epidemiologischen Bedingungen erfassen. Damit sind Annäherungen von 1,5 Metern oder weniger für eine Dauer von mindestens 15 Minuten während eines Tages gemeint.

Die App nutzt das Bluetooth-Signal, welches durch die Programmierschnittstelle (API) von Apple und Google bereitgestellt wird. Aus der Stärke des Signals errechnet sie dann die Distanz zwischen zwei Handys. Diese Berechnung gestaltet sich in der realen Welt nicht einfach, da diverse Störfaktoren das Signal abschwächen können.

Tatsächlich ist es für die Entwickler des Systems nicht so wichtig, die genaue Distanz zu berechnen. Vielmehr versuchen sie die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, ob sich zwei Anwender innerhalb eines Risikoperimeters befinden. Dies erläutern sie in einem Dokument, welche das Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Redaktion zugestellt hat.

Falsch-positive und falsch-negative Ergebnisse

Je nachdem, welche Parameter die Entwickler auf die durch die API übermittelten Daten anwenden, können sie diese Wahrscheinlichkeitsberechnung anders kalibrieren. Stellen sie sie sehr strikt ein, werden nur diejenigen Kontakte identifiziert, deren Signaldaten am ehesten dem Ideal entsprechen. Dabei entsteht das Risiko, dass einige Kontakte nicht erfasst werden (Falsch-Negative). Entscheiden sie sich für eine flexiblere Berechnung, identifiziert die App mehr Kontaktpersonen – darunter auch solche, die sich effektiv vom Anwender weiter entfernt aufgehalten haben (Falsch-Positive).

Die SwissCovid-Entwickler haben die Parameter derzeit so konfiguriert, dass die App ungefähr bei jedem dritten Kontakt fälschlicherweise annimmt, er habe sich weniger als 1,5 Meter entfernt aufgehalten, obwohl er in Wahrheit weiter weg war (33 Prozent der Kontakte bei einer Dämpfung von 50 Dezibel, 45 Prozent bei 55 Dezibel). In den meisten dieser falsch zugeordneten Fälle habe die tatsächliche Entfernung weniger als drei Meter betragen, ergänzen die Entwickler.

Was die Falsch-Negative angeht, erfasst die App etwa die Hälfte der tatsächlich erfolgten Risikokontakte nicht (64 Prozent mit 50 Dezibel, 41 Prozent mit 55 Dezibel).

Die technischen Parameter haben also sehr reale Konsequenzen für die Anwender der App, zumal sie darüber entscheiden, wie viele Personen im Ansteckungsfall eine Benachrichtigung erhalten. Erhält ein anderer Anwender keine Benachrichtigung, könnte er sich unter Umständen in falscher Sicherheit wiegen.

Menschliche vs. Digitale Rückverfolgung

Wie die EPFL in einer Pressemitteilung ausführt, hat auch das menschliche (manuelle) Contact-Tracing Schwächen. Leute erinnern sich mitunter nicht an sämtliche Kontakte, die sie in den letzten Tagen getroffen haben. Zudem kennen sie viele der Personen, die ihnen etwa im öffentlichen Verkehr oder in Restaurants begegneten, gar nicht. Genauigkeit und Anzahl falscher oder nicht ausgelöster Benachrichtigungen sind abhängig vom Urteilsvermögen und dem mehr oder weniger guten Gedächtnis der mit Corona infizierten Person.

Im Gegensatz dazu verlässt sich die im Hintergrund laufende SwissCovid-App nicht auf das Gedächtnis des Benutzers und funktioniert mit allen Kontakten, ob bekannt oder anonym. Sie hat aber auch Mängel, erkennt etwa weder getragene Schutzmasken oder Trennscheiben, die das Ansteckungsrisiko deutlich vermindern. Genauigkeit, Fehlalarme und verpasste Fälle hängen von der Mechanik und der verwendeten Wahrscheinlichkeitsberechnung ab, die die App anwendet.

Webcode
DPF8_183670