Christopher Schneider über "Work Smart"

Wie die Luzerner Stadtverwaltung neue Arbeitsformen entwickelt

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Führungskräfte unterschätzen oft die Fähigkeiten ihrer Mitarbeitenden und sind überrascht, dass diese selbstorganisiert und effizient im Homeoffice arbeiten können und keine Vorgesetzten benötigen, die ihnen über die Schulter schauen. Das zeigte sich auch im Work-Smart-Projekt der Stadtverwaltung Luzern während des Corona-Lockdowns. Projektleiter Christopher Schneider berichtet.

Christopher Schneider, Projektleiter bei der Stadt Luzern (Source: zVg)
Christopher Schneider, Projektleiter bei der Stadt Luzern (Source: zVg)

Sie referieren an der SGI-Plenartagung der Schweizerischen Informatikkonferenz am 21. Oktober. Was können die Teilnehmenden von Ihrem Referat erwarten?

Christopher Schneider: Ich werde in den 20 Minuten meines Referats einen Einblick geben, wie sich die Corona-Pandemie auf unsere Arbeitsweise ausgewirkt hat und weiterhin auswirkt. Auch gebe ich Einblicke ins Projekt Work Smart der Luzerner Stadtverwaltung, das als eines von mehreren Change-Vorhaben Arbeitskultur und Arbeitsweise der Stadtverwaltung nachhaltig verändern und modernisieren soll.

In den Referaten geht es um die "lessons learned" aus der Covid-19-Pandemie und wie sie die Verwaltungsinformatik verändert.

Was hat es mit dem Work-Smart-Projekt der Stadtverwaltung Luzern genau auf sich?

Es geht um die Förderung moderner Formen der Zusammenarbeit, die eng verknüpft sind mit den Anforderungen der sich wandelnden Arbeitswelt. Unter „Work Smart“ verstehen wir das, was aktuell häufig auch unter dem Begriff „New Work“ zusammengefasst wird. Es geht um die Veränderung der Arbeitswelt aufgrund verschiedener grosser Trends wie Globalisierung, Digitalisierung und Überalterung der Gesellschaft.

Warum ist Work Smart für die Stadtverwaltung Luzern wichtig?

Wir möchten die Stadtverwaltung Luzern attraktiver für qualifizierte junge Mitarbeitende machen und die dringend benötigten Fachkräfte anziehen. Dafür müssen wir uns als Arbeitgeberin verändern, uns den Bedürfnissen der Mitarbeitenden anpassen. Die Generationen Y und Z etwa haben in puncto Mobilität und Flexibilität Ansprüche, die traditionelle Arbeitsweisen nicht mehr erfüllen. Zudem fühlen auch wir uns verpflichtet, unsere Ressourcen möglichst effizient einzusetzen. Innovationsdruck und der Umgang mit Komplexität sind weitere Herausforderungen, welche die Arbeitswelt beeinflussen und denen wir mit Work Smart begegnen möchten. Dafür adressieren wir verschiedene Handlungsfelder.

Welche sind das?

Die wichtigsten Handlungsfelder sind unsere Kultur, die Architektur im Sinne von optimalem Arbeitsraum, Technologie sowie Arbeitsmodelle.

Und wie wirken Sie auf diese ein?

Work Smart ist ja vor allem ein Change-Projekt und soll auf das Mindset einwirken, also die Art und Weise, wie wir über Dinge denken. Zu Beginn haben wir eine Auslegeordnung gemacht und ein Konzept erstellt: welche Aspekte beinhaltet das Thema, welche Teilbereiche sind uns besonders wichtig, wen müssen wir ins Boot holen? Wir haben uns etwa die Frage gestellt, was agile Zusammenarbeit in Teams und Projekten für einen Verwaltungsbetrieb bedeuten kann. Oder überlegt, wie Work Smart in zum Teil denkmalgeschützten Büroräumlichkeiten funktionieren kann. Was lässt sich sinnvoll mit Mobiliar anpassen, wenn Räume baulich nicht verändert werden dürfen?

Im Bereich Technologie sind wir besonders weit. Mobile Endgeräte sind die Grundlage für mobil-flexibles Arbeiten. Bis Mitte 2021 werden deshalb alle unsere Büro-Mitarbeitenden mit einem Laptop ausgestattet sein und damit die Möglichkeit haben, neue Tools zur verbesserten und mobilen Zusammenarbeit einzusetzen. Der Wechsel von der stationären Workstation zum persönlichen Laptop ist aber an sich bereits ein riesiger Schritt von der alten in die neue Arbeitswelt. In diesem Zusammenhang sind auch IT-Infrastruktur und Cloudcomputing wichtige Themen – diese werden aber in separaten Technologieprojekten bearbeitet. Work Smart dreht sich vor allem um die "weichen" Themen.

Wie etwa …

… Mindset. Und daraus abgeleitet die für smartes Arbeiten erforderlichen Kompetenzen. Hier geht es etwa darum, ob und wie Mitarbeitende in der Lage sind, sich selbst zu führen. Denn wer mobil arbeitet, ist nicht mehr zwangsläufig die gesamte Arbeitszeit am angestammten Arbeitsplatz und hat dadurch wahrscheinlich weniger Kontakt mit der Führungsperson. Im Umkehrschluss müssen unsere Führungskräfte lernen, auf Distanz zu führen, wenn ihre Mitarbeitenden nicht vor Ort sind. Zielsetzungsprozess, Mitarbeiterentwicklung, Leistungskontrolle, Zeiterfassung – das sind wichtige Themen in der digitalen Arbeitswelt, die ausgehandelt und organisiert werden müssen.

Work Smart hat auch Einfluss auf die Organisationsstrukturen. Wir sind in der Verwaltung nicht bekannt für flache Hierarchien. Die Hierarchien sind im Gegenteil meist steil, und es gibt sehr viele Hierarchiestufen. Hier spüren wir bereits vor allem von eher jungen Mitarbeitenden, dass sie kurze Wege bevorzugen und schnelle Entscheidungen wünschen, was wiederum für flachere Hierarchien spricht.

Wie sind Sie vorgegangen, um die Belegschaft hinter sich und dem Projekt zu scharen?

Change ist vor allem Kommunikationsarbeit. Wir haben in einem ersten Schritt sensibilisiert und auch spezielle Angebote für Führungskräfte erarbeitet. So haben wir etwa gemeinsam mit der Fachhochschule Nordwestschweiz ein zehntätiges Programm für Führungskräfte entwickelt, um theoretische Grundlagen, aber auch praktische Aspekte zu Arbeitsorganisation, Führung sowie Gestaltung von Räumlichkeiten zu vermitteln. Auch haben wir in ersten Pilotprojekten Räume geschaffen, um den Austausch zu diesen Themen zu fördern und die Bildung einer Haltung zum Thema Work Smart zu ermöglichen. Wir haben durch die Projektarbeit auch gemerkt, dass das Thema Work Smart vielen Mitarbeitenden auf den Nägeln brennt und einige nur darauf warten, dass sich etwas verändert.

Gab es Widerstand bei den Mitarbeitenden gegen die Veränderung?

Widerstand gibt es immer, wenn Neuerungen eingeführt werden. Für uns bedeutet die starke Absorbierung der Schlüsselmitarbeitenden durch das Tagesgeschäft, dass die Projektarbeit manchmal nicht richtig vorwärtskommt. Wir haben aber die Projektteams aus hervorragenden Kolleginnen und Kollegen zusammengestellt, die eine starke intrinsische Motivation zeigen und immer bereit sind, einen Extra-Effort zu leisten.

Wo stehen Sie heute, ein Jahr nach Start des Work-Smart-Projekts?

Wir haben schon viel erreicht, viel Arbeit steht aber noch bevor. Ein Kulturprojekt wie dieses ist eine grosse Kiste, die nicht nach einem Jahr abgeschlossen ist, sondern einen Horizont über drei bis fünf Jahre hat. Was uns auch in diesem Projekt wieder einmal klar wurde: Kultur kann man nicht entwickeln, man kann ihr nur Angebote machen. Das ist das Spannende und Schwierige zugleich mit solch einem Vorhaben. Mit diesem Projekt stehen ja auch jahrelang akzeptierte Arbeits- und Führungspraktiken zur Disposition. Wenn wir einfach anordnen würden: "Und ab morgen arbeiten alle smart!", dann würde gar nichts passieren. Man kann wie bei einem Tanker auch in der Verwaltung nicht einfach das Steuer herumreissen und davon ausgehen, dass das Schiff sofort in die gewünschte Richtung fährt. Wir müssen der Kultur ermöglichen, sich entsprechend zu entwickeln. Sonst passiert, was der berühmte Wirtschaftswissenschaftler Peter Drucker schon vor Jahrzehnten sagte: "Culture eats strategy for breakfast!"

Wie haben Corona und der Lockdown das Work-Smart-Projekt beeinflusst?

Der Corona-Lockdown hat dem Projekt enormen Schub verpasst. Bis Mitte März hatten nur sehr wenige Mitarbeitende die Möglichkeit genutzt, regelmässig von zuhause aus zu arbeiten. Mit dem Corona-Lockdown mussten plötzlich rund 70 Prozent der Verwaltungsmitarbeitenden innert weniger Tage ins Homeoffice. Von der Technik her klappte das alles mehr oder weniger reibungslos. Aus organisatorischer Sicht war es aber ein Experiment, denn wir hatten keine Ahnung, wie gut das plötzlich alternativlos gewordene Homeoffice funktionieren würde: stimmt die Leistung, werden Termine eingehalten, funktioniert die Kommunikation?

Waren die Bedenken gerechtfertigt?

Zu unserem Erstaunen haben sich die Mitarbeitenden hervorragend organisiert und sich den Umständen sehr gut angepasst. Technische Schwierigkeiten gab es zu Beginn immer wieder mal, aber die Arbeitsabläufe haben grösstenteils hervorragend aus dem Homeoffice heraus funktioniert. Das macht Mut.

Führungskräfte unterschätzen ihre Mitarbeitenden oft. Und es waren oft auch die Führungskräfte, die damit zu kämpfen hatten, dass ihre Mitarbeitenden nicht mehr vor Ort waren. Es ist ja auch bequem, wenn die Leute von 8 bis 17 Uhr im Büro sitzen. Der Lockdown hat eben auch gezeigt, dass wir an Themen rund um Vertrauen noch arbeiten müssen.

Wie haben die Mitarbeitenden auf das erzwungene Homeoffice reagiert?

Nach der Rückkehr ins Büro haben wir die Mitarbeitenden zu ihren Erfahrungen im Homeoffice befragt. Die Reaktionen waren überwältigend positiv, einerseits bezüglich der Organisation, andererseits aber auch bezüglich der Arbeit im Homeoffice an sich. Viele Mitarbeitende waren offenbar selbst überrascht, wie gut es sich von zuhause aus arbeiten lässt. Über die Hälfte der Befragten meldete uns zurück, dass sie sich auch in Zukunft mindestens einen Tag pro Woche im Homeoffice vorstellen können. Das hilft uns aus Work-Smart-Perspektive natürlich, die Thematik Flexible Arbeit im Rahmen des Projekts auf viel breiterer Ebene zu diskutieren als vor Corona.

Welche nächsten Schritte unternimmt die Stadtverwaltung Luzern im Rahmen des Work-Smart-Projektes?

Unsere Sensibilisierungskampagnen führen wir fort, und wir aktualisieren unsere Führungsschulungen. Wir möchten die begleitenden Angebote für Mitarbeitende weiter ausbauen. Das kam schon während des Lockdowns gut an und hat sich bewährt. So können sich Mitarbeitende im Zusammenhang mit Work Smart weiterbilden, sich einbringen und den Austausch untereinander pflegen. Ausserdem werden einige Büroräumlichkeiten den heutigen Anforderungen an moderne Büros angepasst. Auch rollen wir wie bereits angesprochen mobile Geräte breit aus. Ebenfalls ist uns Arbeitgeberattraktivität ein wichtiges Thema. Wir möchten am Arbeitsmarkt wahrgenommen werden als Arbeitgeber, der sich Gedanken um die Arbeitswelt von morgen macht und diese gemeinsam mit den Mitarbeitenden gestaltet. Ausserdem möchten wir der schweizweit existierenden Work-Smart-Initiative beitreten, ein Netzwerk von verschiedenen Unternehmen mit dem Ziel, neue Zusammenarbeitsformen in der Arbeitswelt zu fördern und den Wandel hin zu einer modernen Arbeitswelt zu begleiten. Zudem nehmen wir das Work-Smart-Projekt demnächst in das strategische Projektportfolio der Stadt Luzern auf, damit es stärker sichtbar wird und noch mehr Leuchtturmcharakter erhält. Das Projektportfolio wird von unserer neugeschaffenen Dienstabteilung "Digital" geführt, sodass ich die Projektleitung demnächst abgeben werde. Ich bleibe aber für das Thema "Change" an Bord. Die Dienstabteilung "Personal" wird zudem für Themen wie Change, Führungsmodelle und Arbeitsstrukturen eine wichtige Projektpartnerin sein.

Warum hat man in der Stadt Luzern nicht schon früher über Arbeitskultur gesprochen?

Ich glaube, über Arbeitskultur wurde schon immer gesprochen. Aber nicht mit dieser Vehemenz und Dringlichkeit. Der Druck im Thema steigt auf alle Organisationen, ob sie wollen oder nicht. Es braucht nun Antworten auf ganz neue Fragen. In der Verwaltung haben wird einen öffentlichen Auftrag. Und wir sind finanziert durch Steuergelder. Dass wir da Entwicklungen und Trends nicht verpassen dürfen, versteht sich von selbst.

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