Editorial

Smartness mit Löffeln gefressen

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Joël Orizet, Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)
Joël Orizet, Redaktor, Netzwoche. (Source: Netzmedien)

Mein Traum von der Smart City ist geplatzt. Früher dachte ich bei diesem Schlagwort noch an autonome Autos, Roboter und Menschen, die in Kapseln durch Röhren reisen. Doch spätestens vor vier Jahren verpuffte diese Vorstellung. Es war an dem Tag, als die Stadt Wädenswil feierlich den Aufbruch zur Smart City verkündete und vor versammelter Stadtprominenz und geladenen Gästen den Smart City Tower einweihte. Die Erwartungen waren gross, die Enttäuschung umso grösser. Denn es stellte sich heraus, dass dieser "multifunktionale Lichtmast" nichts weiter ist als eine Strassenlaterne mit Wi-Fi und Wetterstation, die auch Lärm und das Verkehrsaufkommen misst.

Noch enttäuschender als das Ding an sich waren die Festreden. "Der Lichtmast ist ein Leuchtturm, der weit strahlt", sagte der Zürcher Regierungsrat Ernst Stocker. Und weiter: "In der Schweiz sind wir bezüglich Smart City sehr gut aufgestellt. Und warum sind wir so gut aufgestellt? Weil das Geld billig ist!"

Abgesehen davon, dass eine lockere Geldpolitik kein Garant für Innovation und Wachstum ist – billiges Geld kann schliesslich Spekulationsblasen erzeugen –, haben es Stocker und seine Mitredner versäumt, die wichtigste Frage hinter diesem Projekt zu beantworten: Welches Problem soll dieser Pfosten lösen? Gut möglich, dass diese Frage gar nie im Raum stand. Es ist ebenso gut möglich, dass auch andere Smart-City-Projekte daran kranken, dass man auf Biegen und ­Brechen "fancy" Lösungen präsentieren will – und die Frage nach dem konkreten Nutzen aufschiebt. Dieses Phänomen nennt sich technologischer Solutionismus und ist laut dem Medienforscher Evgeny Morozov ein weit verbreitetes Problem.

Doch es gibt sie: sinnvolle Smart-City-Projekte, die konkrete Ziele mit konkreten Massnahmen verfolgen, um das Leben in der Stadt ­lebenswerter zu machen. Die Smart-City-Strategie von Barcelona soll sich beispielsweise konsequent auf das Gemeinwohl ausrichten. Die katalanische Metropole setzt auf Open-Source-Software, digitale Souveränität, Inklusion und Partizipation. Vor fünf Jahren startete die Stadt eine Plattform namens Decidim. 400 000 Bürgerinnen und Bürger können dort abstimmen und Vorschläge für die Regierungsagenda machen – etwa zur Mobilitäts-, Wohnungs- und Klimapolitik. Diese Vorschläge werden dann auch umgesetzt, wie Barcelonas Digitalchefin Francesca Bria gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" sagt.

Es gibt aber auch Smart Citys, die wirken wie ein wahr gewordener Orwellscher Albtraum. Beispielsweise die südkoreanische Planstadt Songdo. Dort gibt es überall Kameras, mit denen Verkehr und die Stras­senbeleuchtung reguliert werden sollen, die aber auch alles überwachen – bis in die privaten Räume hinein. Selbst die Fernsehapparate in den Wohnungen haben gemäss einem Bericht von "Forbes" Kameras, die dazu dienen sollen, mit der Verwaltung zu kommunizieren. Für den Stadtsoziologen Richard Sennett ist Songdo ein Paradebeispiel für eine stumpfsinnige ("stupefying") Smart City, die zwar perfekt geplant und hocheffizient ist, aber aus geschlossenen Systemen besteht, die den Menschen bevormunden, ihn kontrollieren und verdummen lassen, statt Innovation und Verständigung zu fördern.

Diese Beispiele zeigen: Erstrebenswerte Smart-City-Konzepte funktionieren nicht nach dem Top-Down-Prinzip – Bürgerinnen und Bürger brauchen den (virtuellen) Raum und die (digitalen) Mittel, sich einzubringen. Zudem sollte der Nutzen von Smart-City-Projekten offensichtlich sein – sonst kann man es gleich bleiben lassen und stattdessen klassische Kommunalpolitik zu konkreten Problemen betreiben. Und schliesslich: Im Wettbewerb der Smart Citys ist es wie in der Schule: Wer sich zu smart gibt, macht sich unbeliebt.

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