Ab April 2022

Bund schaltet SwissCovid-App ab, will sie aber nicht komplett verwerfen

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von Daniel Schurter (Watson), pwo

Nach dem 1. April verschwindet die SwissCovid-App aus den App-Stores von Apple und Google. Aber die App soll nicht komplett von der Bildfläche verschwinden. Je nach Entwicklung der Coronalage will der Bund den Betrieb wieder aufnehmen.

Mit SwissCovid ist bald Schluss. Nach dem 1. April verschwindet die App aus den App-Stores von Apple und Google, wie die Herausgeberin, das Bundesamt für Gesundheit (BAG), auf Anfrage bestätigt. Das Schweizer Proximity-Tracing-System wird gestoppt. Zurück bleiben sehr viele offene Fragen. Dieser Beitrag versucht, Antworten zu liefern.

Wann verschwindet die App aus den App-Stores?

Im April, sagt BAG-Sprecherin Katrin Holenstein. Ob die Verantwortlichen gleich am 1. April den Stecker ziehen werden – und die App aus dem App Store und dem Google Play Store verschwinden lassen, oder ein paar Tage später, spielt keine Rolle mehr.

War's das mit SwissCovid?

Nein. Die BAG-Sprecherin schreibt: "Je nach Entwicklung der epidemiologischen Situation im Winter 2022/2023 soll der Betrieb der SwissCovid-App rasch wiederaufgenommen werden können. Deshalb werden die notwendigen Informatik-Infrastrukturen im Hintergrund weiterhin aufrecht gehalten."

Was müsste passieren, damit SwissCovid reaktiviert wird?

Das ist laut BAG noch nicht klar (oder die Verantwortlichen wollen sich nicht in die Karten blicken lassen). BAG-Sprecherin Katrin Holenstein: "Konkrete Indikatoren wurden nicht definiert. Eine Verschlechterung der epidemiologischen Lage, welche erneute Massnahmen nötig machen würde, könnte eine dahingehende Entscheidung begünstigen."

Warum wird SwissCovid trotz hoher Infektionszahlen deaktiviert?

Weil der Bundesrat auf Durchseuchung setzt. Die BAG-Sprecherin formuliert es so: "Mit der vom Bundesrat am 16. Februar beschlossenen Aufhebung der Isolationspflicht per 31. März sind die Voraussetzungen für eine wirksame Weiterführung der SwissCovid-App zumindest vorübergehend nicht mehr gegeben, da gleichzeitig mit der Aufhebung der Isolationspflicht das Contact Tracing stark abgebaut wird. Da die SwissCovid-App für ihr Funktionieren auf ein flächendeckendes Testen und ein breit durchgeführtes Contact Tracing angewiesen ist, soll diese vorübergehend deaktiviert werden."

Die Schweizer Landesregierung verfügt also (nach Absprache mit den Kantons-Verantwortlichen), dass alle wirksamen Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie abgeschafft werden. Und dann wird argumentiert, dass die Warn-App ohne diese Massnahmen nichts mehr bringe.

Ist die App gefloppt?

Nein. Im Gegenteil.

Hat sich die App gelohnt?

Ja. SwissCovid hat Leben gerettet, dies gilt insbesondere für die Zeit vor der Verfügbarkeit von Impfstoffen. Unabhängige wissenschaftliche Studien haben einen positiven Effekt belegt. Demnach liessen sich zahlreiche Menschen testen, weil sie per App einen Warnhinweis erhielten. Dadurch wurden Coronainfektionen frühzeitig erkannt und sehr wahrscheinlich auch viele Ansteckungen verhindert.

Dank Warnungen der App begaben sich Personen mit einem Ansteckungsrisiko etwa einen Tag früher in Quarantäne. Insgesamt hat SwissCovid gemäss Fachleuten einen relevanten Beitrag zur Pandemiebekämpfung geleistet.

Auch in finanzieller Hinsicht hat sich SwissCovid gelohnt: Für Entwicklung und Betrieb werden weniger als 10 Millionen Franken ausgegeben. Zum Vergleich: Corona hat die Schweiz gesamthaft mehr als 30 Milliarden Franken gekostet.

Hat SwissCovid die Erwartungen erfüllt?

Nein. Es wäre ein viel grösserer Effekt möglich gewesen. Sofern denn viel mehr Leute die App freiwillig genutzt hätten. Und auch beim Alarmieren von Drittpersonen harzte es aus unbekannten (persönlichen) Gründen: Viele gaben keinen Covidcode ein. Waren sie einfach nur zu bequem?

(Source: bfs.admin.ch)

Die Verantwortlichen beim Bund und in den Kantonen müssen sich die unbequeme Frage stellen, warum sie einen beachtlichen Teil der Schweizer Bevölkerung nicht von den Vorteilen der SwissCovid-App überzeugen konnten.

Mangelte es der nicht-technikaffinen Bevölkerung an Vertrauen, an Information oder an Bildung? Sicher ist, dass schwere kommunikative Fehler für Verunsicherung und Ärger sorgten. Zudem wurde SwissCovid, nachdem die Anfangseuphorie verpufft war, schnell einmal ziemlich stiefmütterlich behandelt seitens BAG und des obersten politischen Verantwortlichen, Bundesrat Alain Berset. An den Medienkonferenzen blieb die App unerwähnt.

Die notorisch tiefe Impfquote zeigte allerdings auch, dass viele Schweizerinnen und Schweizer mitten in einer schweren Krise nicht mit rationalen Argumenten zu überzeugen waren. Bauchgefühl statt Wissenschaft.

Was waren die grössten Schwächen?

Bund und Kantone patzten beim Bereitstellen und Betreiben der erforderlichen SwissCovid-Infrastruktur. Hier muss von einem phasenweisen Totalversagen gesprochen werden. Die Koppelung an die kantonalen Contact-Tracing-Systeme führte zu folgenschweren Engpässen. Covidcodes wurden zu spät oder gar nicht zugestellt. Viele User resignierten.

Wegen der mangelhaften Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens war es nicht möglich, einen automatisierten Datenaustausch zu realisieren. Hier machte sich auch das Fehlen einer sicheren digitalen ID bemerkbar.

So bietet SwissCovid im Gegensatz zur deutschen Corona-Warn-App nicht die Möglichkeit, PCR-Testergebnisse (automatisiert) in der App anzuzeigen. Dabei wäre es zum Beispiel sinnvoll gewesen, bei positivem PCR-Testresultat der betroffenen Person sofort einen Covidcode auszustellen.

Wenn man die Kommunikationsbemühungen des BAG, als Herausgeberin von SwissCovid, betrachtet, dann muss man davon ausgehen, dass die Verantwortlichen wohl schon im zweiten Coronajahr quasi kapituliert haben.

Wie wirksam war SwissCovid?

Das lässt sich aus mehreren Gründen nicht exakt bestimmen:

  • Das SwissCovid-System ist datenschutzfreundlich konzipiert, sodass den Betreibern keine aussagekräftigen Daten zur individuellen Nutzung in den Schoss fallen.

  • Der Bund, respektive das BAG als Herausgeberin der App, hat es versäumt, die Wirksamkeit über einen längeren Zeitraum wissenschaftlich untersuchen zu lassen. Es gab berechtigte Zweifel wegen der Distanzabschätzung, die ja auf der Bluetooth-Signalstärke von Handys basiert*.

  • Weil die Prozesse rund um die App in der zweiten Corona-Welle regelrecht zusammenbrachen, fehlen die Daten, die es zur Berechnung der Wirksamkeit braucht. Hier rächte sich die mangelnde Digitalisierung des Gesundheitswesens und die fehlende Kooperation der Kantone.

* Es ist anzumerken, dass die Distanzschätzung per Bluetooth-Signal aus der Not heraus geboren wurde, weil kein besseres Verfahren zur Verfügung stand. In Zukunft könnte die Ultra-Breitband-Technologie (UWB) eine wichtige Rolle spielen. In einigen der heutigen Top-Smartphones, etwa von Apple und Samsung, ist bereits ein UWB-Chip verbaut, der es ermöglicht, den Abstand zwischen zwei Geräten auf den Millimeter genau zu bestimmen. Damit wäre auch ein sicherer Datenaustausch möglich. Allerdings haben es die Handyhersteller bislang versäumt, die UWB-Technologie konsequent in neue Mobilgeräte zu integrieren.

Was muss im Hinblick auf die nächste Pandemie verbessert werden?

Die Idee, Mitmenschen freiwillig vor einer möglichen Ansteckung zu warnen und damit dazu beitragen, eine gefährliche Pandemie zu bekämpfen, hat sich bewährt. Doch bei der technischen Umsetzung eines solchen Systems besteht gewaltiges Verbesserungspotenzial. Die Verantwortlichen beim Bund und in den Kantonen täten gut daran, die richtigen Lehren aus dem föderalismus-bedingten Corona-Daten-Schlamassel zu ziehen. Insbesondere gilt es, die Digitalisierung des Gesundheitswesens flächendeckend, sicher und datenschutzkonform voranzutreiben.

Die nächste Pandemie darf das Land nicht dermassen schlecht vorbereitet treffen. Darum sollte der Bund eine funktionstüchtige Seuchen-App vorbereiten, die auf den Erfahrungen mit SwissCovid und den Zertifikate-Apps aufbaut.

Aus Sicht des "Watson"-Redaktors, der sich seit zwei Jahren intensiv mit Corona-Warn-Apps befasst, wäre es sinnvoll, verschiedene Funktionen (z.B. freiwillige Alarmierung, sichere Verwaltung von Zertifikaten, Buchen von Impfterminen etc.) in eine einzige, vom Staat betriebene App zu packen.

Dies haben etwa Deutschland und England mit Erfolg getan: Eine App, die im Alltag gebraucht wird, gerät nicht so einfach in Vergessenheit, sondern bleibt im öffentlichen Bewusstsein. Zudem können die User bei späteren Updates und durch Benachrichtigungen ermuntert werden, sinnvolle Zusatzfunktionen doch noch freiwillig zu aktivieren («Opt-in»).

Schliesslich gilt es auch noch an die Versäumnisse bei der grenzüberschreitenden Seuchenbekämpfung zu erinnern. Die Schweiz hatte als Nicht-EU-Mitglied massive Probleme, sich ins europäische System einzubringen. Der Bund kapitulierte wohl zu früh bei der sogenannten Interoperabilität: So wurde es von der Politik versäumt, den Datenaustausch mit weiteren Ländern vertraglich zu vereinbaren. Enttäuschendes Fazit: SwissCovid funktioniert weder in Österreich, noch in Italien, sondern nur in Liechtenstein und in Deutschland (und Frankreich blieb mit seiner eigenen App sowieso aussen vor).

Ist SwissCovid ein Überwachungs-Tool?

Nein. Wahr ist: SwissCovid ist nach dem Prinzip der Datensparsamkeit konzipiert, wurde vom obersten Datenschützer des Landes für gut befunden und erfüllte auch alle Ansprüche und gesetzlichen Anforderungen bezüglich Datensicherheit. Weder gab es gravierende technische Pannen, noch wurden seit der Lancierung IT-Sicherheitsprobleme publik.

Was ist mit dem gesetzlichen Rahmen?

Der rechtliche Grundrahmen für die Schweizer Covid-App endet gemäss dem heutigen Epidemiengesetz erst am 31. Dezember 2022. Die entsprechenden Verordnungen werden aber "voraussichtlich bereits per Ende März aufgehoben", wie die BAG-Sprecherin schreibt. Der Entscheid dürfte an der Bundesrats-Sitzung vom 30. März gefällt werden.

Konkret geht es um folgende Verordnungen:

  • VPTS (Verordnung über das Proximity-Tracing-System für das Coronavirus Sars-CoV-2)

  • VBV (Verordnung über ein System zur Benachrichtigung über eine mögliche Ansteckung mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 an Veranstaltungen)

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Watson.ch

Wie das Fazit zur App nach 8 Monaten SwissCovid aussah, können Sie hier nachlesen.

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