Interview mit Daniela Stoffel, Staatssekretärin für internationale Finanzfragen

"Greenwashing ist kein zukunftsfähiger Weg"

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Sicherheit, Stabilität und Vertrauen – das sind die Werte, welche die Schweiz und der hiesige ­Finanzplatz verkörpern wie kaum ein anderer Ort. Aber in einer Welt, die sich immer schneller verändert, muss sich auch die Finanzindustrie bewegen. Im Interview erklärt Daniela Stoffel, Staats­sekretärin für internationale Finanzfragen, wo die Schweiz steht und was zu tun ist.

Daniela Stoffel, Staatssekretärin für internationale Finanzfragen. (Source: zVg)
Daniela Stoffel, Staatssekretärin für internationale Finanzfragen. (Source: zVg)

Die digitale Businesstransformation der Schweizer Finanzindustrie ist in vollem Gange. Wo stehen die hiesigen Institute heute im Vergleich zu März 2020?

Daniela Stoffel: Die Pandemie hat die Digitalisierung auch im Finanzbereich vorangetrieben. Die rasche Verbreitung von Mobile Payment ist nur ein Beispiel. Viele Banken und Versicherungen haben die Zeichen der Zeit erkannt – nicht zuletzt, weil mit Fintechs und Insurtechs neue Wettbewerber auf den Markt gekommen sind, die eine erfolgreiche "Digital first"- oder sogar "Digital only"-Strategie verfolgen. Die Schweizer Banken haben sich im Hinblick auf die Digitalisierung in den letzten Jahren gut positioniert. Angesichts der rasanten technologischen Entwicklung ist und bleibt dies aber eine Daueraufgabe.

Wo steht die Schweiz bei Digital Finance im ­Vergleich zum Ausland?

Die Schweiz verfügt heute im internationalen Vergleich über gute Ausgangsbedingungen. Die Kombination aus global aktiven, hochqualitativen und etablierten Finanzdienstleistern und innovativen Hochschulen, Rechtssicherheit, Forschung und Entwicklung sowie Infrastruktur ist vielversprechend – aber kein Selbstläufer. Für den Standort Schweiz ist es wichtig, die Kräfte in der Schweiz zu bündeln und enger zusammenzuarbeiten, um die Innovationskraft zu stärken und gegen aussen sichtbar zu machen.

In welchen Bereichen der Digitalisierung muss die Schweizer Finanzindustrie aufholen?

Zum einen besteht Aufholbedarf bei den Unternehmen selbst, wo organisatorische und kulturelle Fragen die optimale Datennutzung zu beeinträchtigen scheinen. Es sind grosse Datenmengen, die noch brachliegen. Dies gilt sowohl für unternehmens­interne Datenquellen als auch bei der Datennutzung von Unternehmen ausserhalb der Finanzbranche. Hier kann Open Finance vieles leisten. Dazu braucht es auch Unterstützung und einen gewissen Druck der Behörden. Wir bringen uns im SIF zudem auf internationaler Ebene für gemeinsame Standards ein und wir fördern auch gemeinsam mit der Branche die Sicherung gegen Cyberrisiken.

Welchen Einfluss nimmt das SIF auf die 12 Handlungsfelder, die der Bundesrat in seinem Bericht "Digital Finance" vom 2.2.22 benannt hat?

Das hängt vom Handlungsfeld ab. Einige richten sich primär an die Branche, andere an die Aufsichtsbehörden oder die Finanzmarktbehörden, wieder andere an die Infrastrukturbetreiber. Bei einigen liegt die Federführung aber klar beim SIF – so beispielsweise bei der Überprüfung des Rechtsrahmens oder auch bei der Innovationsförderung auf dem Finanzplatz. Das SIF wird periodisch den Fortschritt in den einzelnen Handlungsbereichen überprüfen und darüber berichten. Der Bericht zeigt auf: die Ausgangslage ist gut, aber es gibt noch viel zu verbessern.

Welchen Stellenwert räumen Sie Finanzinstituten in der Plattformökonomie beziehungsweise neu entstehenden Ökosystemen ein? Warum?

Die Digitalisierung ermöglicht neuen Akteuren den Zugang zum Finanzmarkt. Gleichzeitig können sich Finanzdienstleister auch einfacher an "fremden" Ökosystemen wie zum Beispiel Wohnen beteiligen, um ihre eigenen Produkte für Drittkunden anzubieten. Dies schafft neue Möglichkeiten für effizientere und innovative Dienstleistungen und ist zudem ein Ansporn für bestehende Akteure, sich ständig zu verbessern. Sich auf den Lorbeeren auszuruhen, führt nicht in eine erfolgreiche Zukunft.

Ende 2020 hat sich das SIF für die Förderung grüner Finanztechnologien eingesetzt. Was genau verstehen Sie heute unter dem Stichwort Green Fintech?

Eine wichtige Voraussetzung für nachhaltige Finanzmärkte ist die Fähigkeit, qualitativ hochstehende und vergleichbare Nachhaltigkeitsdaten in möglichst kurzer Zeit und grosser Menge zu erheben und zu analysieren. Daran mangelt es bisher oft. Digitale Technologien, wie sie beispielsweise von Green Fintechs angeboten werden, helfen, diese Hürden effizient zu überwinden, da sie Daten schneller, akkurater und günstiger erheben und verarbeiten. Erst dadurch können Nachhaltigkeitsrisiken und -wirkungen bei Finanzierungs- und Investitionsentscheiden adäquat berücksichtigt werden. Der Bundesrat positioniert den Finanzplatz Schweiz als weltweit führend in der Ausnutzung des Potenzials digitaler Technologien im Bereich Sustainable Finance.

Warum soll sich der Finanzplatz Schweiz genau für dieses Thema starkmachen? Welchen Wert kann Green Fintech für die Finanzindustrie haben?

Nachhaltigkeit ist bei Finanzdienstleistungen immer häufiger der entscheidende Faktor für Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit. Die Schweiz verfügt mit ihrem breit aufgestellten Finanzplatz über eine gute Ausgangslage, um auch in Zukunft zu den besten Finanzplätzen der Welt zu gehören. Dies geht nur, wenn wir auch bei Fragen der Nachhaltigkeit zu den führenden Ländern gehören, indem wir konsequent neueste digitale Technologien für nachhaltige Finanzdienstleistungen einsetzen.

Wer sich das Label "grün" auf die Fahne schreibt, riskiert den Vorwurf, Greenwashing zu betreiben. Wie können Fintechs und Banken solche Moral­fallen vermeiden?

Greenwashing ist kein zukunftsfähiger Weg. Der Schweizer Finanz­platz soll im Bereich Sustainable Finance international durch hohe Glaubwürdigkeit hervorstechen. Dies gilt sowohl bezüglich Kommunikation und Transparenz auf Institutsebene, beispielweise bei sogenannten "Netto-Null"-Versprechen, als auch in Beratungsgesprächen und auf Produktebene. Die Schaffung vorwärtsgerichteter, vergleichbarer und aussagekräftiger Transparenz bezüglich Klimaverträglichkeit und -wirkung untermauert die Glaubwürdigkeit.

Wie beeinflusst die russische Invasion in die ­Ukraine den Finanzplatz Schweiz?

Für die Schweiz ist es zentral, die Integrität ihres Finanzplatzes sicherzustellen. Daher setzt die Schweiz die EU-Sanktionen im Finanzbereich vollumfänglich um. International tätige Schweizer Banken und Versicherungen, die Börse sowie etwa Rohstoff-Firmen verfolgen die internationalen Sanktionsmassnahmen schon bisher sehr genau und setzen diese um.

Welche Auswirkungen haben die Russland-­Sanktionen auf die Wertschöpfung der hiesigen ­Finanzindustrie?

Russland gehört bei den Finanzbeziehungen nicht zu den wichtigsten Partnern der Schweiz. Die in der Schweiz verwalteten russischen Vermögenswerte liegen im niedrigen einstelligen Prozentbereich aller grenzüberschreitend in der Schweiz verwalteten Vermögenswerte. Auch die Finanzmarktaufsicht Finma beurteilt die Auswirkungen des Konflikts nicht als flächendeckende Gefahr für die Stabilität am Schweizer Finanzmarkt. Unabhängig davon ist es wichtig, dass der Finanzstandort Schweiz seine Verantwortung wahrnimmt und internationale Sanktionen mitträgt.

Welche Bedeutung wird der Finanzplatz Schweiz 2030 noch haben?

Die Ambition ist hoch und die Ausgangslage gut. Die Schweiz soll auch 2030 zu den weltweit führenden Finanzplätzen gehören. Die Kombination aus traditionellen Stärken wie Sicherheit, Stabilität und Vertrauen und einer Offenheit für neue Technologien bietet kaum ein anderes Land an. Aber es braucht dazu Anstrengungen aller Akteure in der Schweiz, sowohl von Behörden wie auch von der Finanzbranche und ihren bisherigen und neuen Anbietern.

Zur Person
Daniela Stoffel hat ihr Amt als Staats­sekretärin für internationale Finanzfragen im Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) am 1. März 2019 angetreten.
Ab 2015 war Daniela Stoffel mit dem Titel einer Botschafterin ins SIF detachiert, zuletzt leitete sie den politischen Stab. Ab 2016 arbeitete sie zudem als Diplomatische Beraterin des Departementschefs EFD. In diesen Funktionen war ­Daniela Stoffel in die Interessenwahrung und Bearbeitung aktueller finanzpolitischer Themen und Herausforderungen involviert und an entsprechenden internationalen Verhandlungen und Kontakten beteiligt.
Daniela Stoffel schloss 1992 ihr Studium der Philosophie, Volkswirtschaft und deutschen Sprachwissenschaft an der Universität Zürich mit dem Lizenziat ab. Begleitend zur Tätigkeit als Hochschulassistentin am philosophischen Seminar der Universität Zürich dissertierte sie 1996. Sie ist Bürgerin von Winterthur ZH und Mutter einer erwachsenen Tochter.
Quelle:
sif.admin.ch

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