HSLU-Forscher im Interview

Was Edge Computing besser kann als die Cloud

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Wer Daten schnell verarbeiten und die Kontrolle darüber behalten will, setzt auf Edge Computing. Im Gespräch nennen die Professoren Klaus Zahn und Jürgen Wassner vom Institut für Elektrotechnik der Hochschule Luzern Chancen und Herausforderungen für Edge Computing. Und sie erläutern, wie die Plattform "EmbVis" die Brücke zwischen der Cloud und Edge Computing schlägt.

Edge Computing verarbeitet Daten möglichst lokal und rasch. Für welche Anwendungen lohnt sich das Ihrer Erfahrung nach?

Klaus Zahn: Edge Computing lohnt sich überall, wo die lokale Verarbeitung der Daten einen Vorteil gegenüber Cloud-Anwendungen bringt, beziehungsweise bestimmte Anwendungen erst ermöglicht.

Welche Beispiele gibt es dafür?

Jürgen Wassner: Im Smartphone werden Daten teilweise lokal oder in der Cloud verarbeitet. Wer schon einmal ein Smartphone in der Hand hatte, kennt die Vorteile einer lokalen Datenverarbeitung gegenüber Cloud-Diensten: Die Anwendung ist auch bei schlechter oder gänzlich fehlender Netzwerkverbindung verfügbar und es entsteht kein beziehungsweise kaum Verzug (Delay) bei der Berechnung des Ergebnisses, was gerade für Echtzeitanwendungen ein absolutes Muss ist. Schliesslich haben Nutzerinnen und Nutzer volle Kontrolle über die Daten und geben diese nicht aus der Hand. Bei Sprachassistenten im Hausbereich wäre eine reine Cloud-Lösung vermutlich kaum denkbar, weil dann alle Stimmen und Geräusche in einer Wohnung kontinuierlich in die Cloud gestreamt werden – George ­Orwell lässt grüssen. Daher wird mittels lokaler Edge-Verarbeitung immer erst auf ein Schlüsselwort oder eine Phrase gewartet, bis die Übertragung gestartet wird. Aktuell ist die sehr komplexe, automatische Spracherkennung für Edge Computing noch sehr aufwändig und wird daher in der Cloud bewältigt. Dieses Vorgehen wird von den Nutzerinnen und Nutzern wohl akzeptiert, allerdings sind durch Datenleaks auch schon private Sprachaufzeichnungen publik geworden, die sogar einen Rückschluss auf Adresse und Person zuliessen (Thema Pizzabestellung). Oder betrachten wir das Thema AAL, Ambient Assisted Living, zu dem hier an unserem Institut sehr intensiv geforscht wird. So kann etwa durch sehr ausgeklügelte Sensorik das Verhalten von älteren Personen in ihrer Wohnung analysiert werden. Ein bekanntes Beispiel ist die Detektion von Stürzen, aber auch die Analyse von Verhaltensmustern können wichtige Aufschlüsse liefern, wie zum Beispiel beginnende Alzheimer-Erkrankungen. Während solche Technologien den immensen Vorteil bieten, dass ältere Personen länger in ihrer vertrauten Umgebung und relativ autark bleiben können, wäre eine Cloud-Verarbeitung der Daten in diesem Umfeld sicher kaum akzeptiert.

Welche Herausforderungen stellen sich einem Unternehmen bei der Implementierung von Edge Computing?

Zahn: Die von den Mitarbeitenden benötigten Kompetenzen unterscheiden sich in Teilen bei Edge-Computing-Anwendungen. Dort sind häufig unter anderem Kenntnisse in Embedded Linux notwendig oder in HW-spezifischer Optimierung von Algorithmen, um diese mit begrenzten Prozessor- und Speicherressourcen in der notwendigen Geschwindigkeit zum Laufen zu bringen. Auch das Thema IT-Sicherheit stellt zusätzliche Herausforderungen an die Mitarbeitenden.

Ich habe gelesen, dass Edge Computing mehr Fachkräfte zur Wartung und Verwaltung der Infrastruktur erfordert. Können sich KMUs Edge Computing überhaupt leisten?

Wassner: Das würde ich in dieser Form nicht bestätigen. Wenn die Daten über ein sehr breitbandiges Netz in Echtzeit in die Cloud gestreamt werden müssen, dann wäre der Unterhalt, zumindest was die Übertragungsinfrastruktur betrifft, tendenziell sogar aufwändiger. Aber wie bereits diskutiert, stellt Edge Computing andere, gegebenenfalls grössere Herausforderungen an die Mitarbeitenden.

Was heisst Edge Computing in Bezug auf IT-Sicherheit? Sind Edge-Infrastrukturen angreifbarer als solche in der zentralen Cloud?

Zahn: Das kann nicht pauschal mit ja oder nein beantwortet werden und hängt auch von der spezifischen Anwendung ab. Generell kann festgehalten werden, dass eine Edge-Infrastruktur, etwa ein Netzwerk von Sensoren, das via Internet an eine zentrale Infrastruktur angeschlossen ist, gegenüber möglichen Hackerangriffen ausreichend gesichert werden muss. Wobei es dabei keine Rolle spielt, ob die Daten mittels Edge oder Cloud Computing verarbeitet werden. Hier sind ausreichende Sicherheitskonzepte gefragt, die in Zusammenarbeit zwischen dem Anbieter der Edge-Infrastruktur und dem Unternehmen, das diese anwendet, erarbeitet werden müssen.

Was bedeutet Edge Computing für Entwicklerinnen und Entwickler, welche Herausforderungen machen ihnen oft zu schaffen?

Wassner: Wie schon erwähnt, stellen die begrenzten Prozessor- und Speicherressourcen oft eine Herausforderung dar. So ist im Cloud Computing etwa das Rechnen mit Gleitkomma-Zahlen gang und gäbe. Bei gleicher Rechengeschwindigkeit erfordert dies gegenüber der Rechnung mit Festkomma- oder spezialisierten Binär-Formaten jedoch eine um Faktoren höhere Leistungsaufnahme. Das ist wegen der limitierten Leistungszu- und Wärmeabfuhr lokaler Recheneinheiten oft ein Problem. Entwicklerinnen und Entwickler benötigen deshalb ein vertieftes Verständnis von Computerarchitektur und -arithmetik, um komplexe Algorithmen effizient implementieren zu können. Um Studierende optimal auf diese speziellen Herausforderungen vorzubereiten, haben wir im Studiengang Elektrotechnik und Informationstechnologie seit einigen Jahren eine Vertiefungsrichtung "Technische Informatik" etabliert.

Cloud-Dienste werden immer leistungsfähiger, 5G sorgt für schnelle Datenströme und kürzeste Latenzen. Hat Edge Computing längerfristig noch eine Berechtigung?

Zahn: Die Frage der Bandbreite und der Latenz ist nur ein Aspekt bei der Frage, ob eine Anwendung auf Edge oder auf Cloud-Infrastruktur laufen soll. Abgesehen von der schon erwähnten Leistungsaufnahme ist das Problem der Sicherheit beziehungsweise der Kontrolle der Daten häufig schon zentral bei der Wahl des Anwendungsszenarios. Hier sei ausser der Frage des bereits erwähnten persönlichen Datenschutzes im AAL-Bereich nur an den USA Patriot Act erinnert, der jedwede Datenverarbeitung in der Cloud mit dem Risiko einer Weitergabe an US-Behörden verknüpft.

Sie entwickeln an der Hochschule Luzern die Embedded-Vision-Plattform, kurz "EmbVis". In ein paar Worten: Was tut diese Plattform?

Wassner: Wie bereits in den einführenden Beispielen dargelegt, kann die Datenverarbeitung grundsätzlich im Sensor, also Edge Computing, in der Cloud oder verteilt – Sprachassistent – erfolgen. Die "EmbVis"-Plattform ermöglicht uns, flexibel zwischen diesen sogenannten Computing-Paradigmen zu wechseln, um für eine gegebene Anwendung das Optimum zu bestimmen. So starten wir typisch ein Projekt mit Industriepartnern immer im reinen Cloud-Modus, um in einem ersten Schritt die Sensordaten zu analysieren und die optimalen Algorithmen zu deren Verarbeitung zu identifizieren und zu testen. Dies ist sehr viel einfacher mittels Cloud Computing. Dann werden die Algorithmen hardware-spezifisch – das heisst je nach Verfügbarkeit von Prozessorressourcen auf dem Sensor – optimiert und es erfolgt eine Auslagerung "on the Edge". Hierbei erlaubt uns die "EmbVis"-Plattform, die Algorithmen insgesamt oder nur in Teilen auf den Sensor auszulagern, um das jeweilige Optimum zu bestimmen.

Wo wird die Plattform jetzt schon in der regulären Produktion eingesetzt?

Zahn: Grundsätzlich gilt es festzuhalten, dass es sich nicht um eine Produkt- sondern eine Forschungsplattform handelt. Einer der Leistungsaufträge von Fachhochschulen ist die anwendungsorientierte Forschung und Entwicklung. Mit unseren Innovationen unterstützen wir die Entwicklung unser Industriepartner. Wir setzen die "EmbVis"-Plattform in praktischen allen Projekten mit Industriepartnern so wie oben beschrieben ein und übergeben diese dann – inklusive der projektspezifisch entwickelten Algorithmen – am Projektende an die Partner als Demonstrator bzw. Prototyp. Das sogenannte Productizing, das heisst die Überführung dieses Prototyps in ein kommerzielles Produkt, ist dann Aufgabe unserer Industriepartner.

Wo sehen Sie künftige Einsatzgebiete für die Plattform?

Wassner: Aktuell liegt ein Hauptfokus unserer Forschungsarbeiten in der Integration von künstlicher Intelligenz in Form von Deep-Learning-Algorithmen in die "EmbVis"-Plattform. Das Thema Edge-AI wird in Zukunft sicher eine breite Anwendung in verschiedensten Bereichen finden.

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