Editorial

Alles nur geklaut

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(Source: Netzmedien)
(Source: Netzmedien)

Es ist eine Vorankündigung, die nach Verzweiflung stinkt. Bald werde er sie vorstellen, sagte WEF-Erfinder Klaus Schwab gegenüber der "NZZ": die erste Metaverse-Anwendung mit einem echten "purpose". Was genau er damit bezwecken will, bleibt offen. Klar scheint: Accenture und Microsoft mischen mit. Und Davos soll mit dem Namensfortsatz "Global Collaboration Village" ins Metaverse – und zwar Open ­Source, was auch immer das in diesem Kontext bedeuten mag.

Verzweifelt wirkt das deswegen, weil schon der vermeintliche Vorreiter in Sachen Metaversum voller Verzweiflung versucht, sich neu zu erfinden. Seit der Namensänderung gibt sich Meta alle Mühe, den ramponierten Ruf von Facebook loszuwerden. Mit einem schleierhaften Geschäftsmodell, einer noch schleierhafteren Dienstleistung und mit einem Wörtchen, das cool klingt und nichts bedeutet.

Genau genommen bedeutet "Metaverse" nicht nichts. Wortschöpfer Neal Stephenson, der den Begriff, ebenso wie "Avatar" im Sinne eines animierten Profils, mit seinem Science-Fiction-Roman "Snow Crash" (1992) berühmt gemacht hat, soll ihn sich als Marketing-Gag ausgedacht haben. In der Danksagung am Ende des Buches räumt der Autor ein, dass "Metaverse" als handliches Synonym für "virtuelle Realität" fungiert.

Nicht nur der Begriff ist geklaut, auch die Idee dahinter ist ein alter Zopf. Was Leute wie Mark Zuckerberg unter dem Begriff "Metaversum" angeblich verwirklichen wollen, existiert schon längst. Die coole Version nennt sich "Minecraft" (2009), die rustikale "Second Life" (2003). Und eine der ersten Versionen stammt von Ethan Zuckerman. Die "Süddeutsche Zeitung" beschreibt ihn als "korpulenten Kerl mit langen Haaren und einer Vorliebe für bunte Hemden".


Er selbst, der als Professor an der University of Massachusetts lehrt, bezeichnet sich als ehemaligen "Tech Start-up Guy", der in den 1990er-Jahren "versehentlich" die Pop-up-Werbung erfunden hat, wofür er sich in einem Essay in der Zeitschrift "The Atlantic" nebenbei entschuldigt. Der Titel des Aufsatzes lautet: "Hey, Facebook, I Made a Metaverse 27 Years Ago – it was terrible then, and it’s terrible now."

Der Essay ist eine Abrechnung mit Mark Zuckerberg, seiner Vision und deren Werbefinanzierung. Das bisher Gezeigte sei nicht nur schlecht gemacht und wenig durchdacht, sondern auch unfassbar unoriginell und langweilig. Die Zukunft, die sich Meta mit seinem Metaversum ausmale, sei schon tausendmal zuvor erdacht worden – nur besser. "Zumindest in einem Punkt kann Facebook Originalität für sich beanspruchen", schreibt Zuckerman. Durch die Kombination aus Grösse und Verantwortungslosigkeit habe der Social-Media-Konzern auf gesellschaftliche Probleme aufmerksam gemacht, für deren Lösung Gesetzgeber, Wissenschaftlerinnen und Aktivisten mindestens eine Generation lang zu tun hätten.

Das Meta-Metaversum ist vor allem eines: eine Marketingblase. Unternehmen können sich noch so sehr darum bemühen, mit diesem Buzzword die vermeintlich nächste Entwicklungsstufe des Web einzuläuten – der Idee dahinter droht dasselbe Schicksal wie jeder Blase, die man zu stark aufpustet: Sie platzt. Bis es so weit ist, dauert es womöglich noch Jahre. Doch eines Tages wird die Fliehkraft der Fantasie nicht mehr ausreichen, um den Hype um diesen virtuellen Eskapismus weiter anzukurbeln. Eines Tages wollen die Investoren ihr Geld bekommen, die Konsumentinnen und Konsumenten einen Nutzen. Und spätestens, wenn sich herausstellt, dass Videokonferenzen mit VR-Brillen und Avataren keine Probleme lösen, sondern schaffen, setzt die Schwerkraft der Realität ein.

Die könnte auch den notorischen Idealisten Klaus Schwab und seine WEF-Community herunterziehen. Immerhin liess die im Genfer Vorort Cologny beheimatete Stiftung des WEF vorsorglich 13 Marken mit dem Namen Meta eintragen, darunter Metadavos, Metaforum, Metaplaza und Metamarketplace. Vor allem letzterer Eintrag im Marken­register dürfte sich als schlauer Schachzug erweisen. Vielleicht ist aber auch das nur der verzweifelte Versuch, ein gutes Geschäft mit Domainhandel zu machen. Das wäre nicht die schlechteste Idee, auch nicht die originellste. Doch in einer digitalen Parallelwelt spielt Originalität ohnehin keine Rolle. Stattdessen gilt die Devise: Gut geklaut, ist halb vermarktet.

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