Mathias Becher im Interview

Wie der BAG-Digitalisierungschef das EPD attraktiver machen will

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Mathias Becher ist der neue Digitalisierungschef des Bundesamtes für Gesundheit (BAG). Seine Behörde steckt mitten in der digitalen Transformation und steht doch erst am Anfang, wie er im Interview sagt. Und er verrät, was es mit den Plänen für ein digitales Datenökosystem auf sich hat.

Mathias Becher, Leiter der Abteilung Digitale Transformation, Bundesamt für Gesundheit. (Source: zVg)
Mathias Becher, Leiter der Abteilung Digitale Transformation, Bundesamt für Gesundheit. (Source: zVg)

Im August haben Sie Ihre neue Stelle beim Bundesamt für Gesundheit angetreten. Wie haben Sie sich eingelebt?

Mathias Becher: Sehr gut, danke. Die Menschen im BAG sind freundlich und unterstützend. Auch haben meine Vorgesetzte und ich eine ähnliche Denkart und Einstellung und arbeiten sehr gut zusammen. Es liegt aber noch viel Arbeit vor uns.

Was hat für Sie den Anreiz gegeben, sich als Digitalisierungschef des BAG zu bewerben?

Auf das Stellenangebot beim BAG stiess ich eher zufällig: Mich reizte das Neue und die Herausforderung, einen Beitrag zu einem gesellschaftspolitisch so wichtigen Thema wie dem Gesundheitswesen leisten zu können. Freunde haben mich ermutigt, mich zu bewerben. Und nach dem ersten Gespräch mit meiner zukünftigen Chefin hatte ich sogleich ein gutes Bauchgefühl.

Sie waren für lange Zeit bei den SBB tätig. Was kann das BAG in puncto Digitalisierung von den SBB lernen?

Die SBB haben schon früh Wert auf die Digitalisierung insbesondere datenintensiver Geschäftsprozesse gelegt. Auch investieren die SBB einen namhaften Betrag in die Digitalisierung und haben erkannt, dass das Zusammenarbeitsmodell für die digitale Transformation essenziell ist.

Mit dem Weggang Ihres Vorgängers Sang-Il Kim kündigte das BAG an, die Abteilung für digitale Transformation neu aufzustellen. Was hat sich seither geändert?

Per 1. Januar 2022 wurden der Direktionsbereich Digitale Transformation & Steuerung und die Abteilung Digitale Transformation neu geschaffen. Des Weiteren wurde die Strategie Digitale Transformation BAG erarbeitet und verabschiedet. Und aktuell bilden wir die neuen Teams. ­Digitale Transformation wird immer von Menschen getragen.

Was den digitalen Informationsaustausch betrifft, sei die Schweiz nach wie vor ganz schlecht aufgestellt, sagte Kim gegenüber dem "Tagesanzeiger". Teilen Sie diese Einschätzung?

Ich begegne im schweizerischen Gesundheitswesen vielen Menschen, die sich enorm für den digitalen Informationsaustausch einsetzen. Insbesondere in der neu gestarteten Fachgruppe Datenmanagement und im Dialog mit den Akteuren im Gesundheitswesen erlebe ich das. Wir sind auf gutem Weg, leider haben wir in der Schweiz erst sehr spät damit begonnen.

Im vergangenen April zeigte eine externe Evaluation des Forschungszentrums Interface auf, was das BAG im Krisenmanagement besser hätte machen können – unter anderem bezüglich Digitalisierung und Datenmanagement. Wo sehen Sie die grössten Probleme? Und was wollen Sie dagegen tun?

Seitens BAG haben wir uns – basierend auf den Lehren aus der Pandemie und dem entsprechenden Entscheid des Bundesrates – fünf konkrete Massnahmen vorgenommen, wobei die Installierung der Fachgruppe Datenmanagement im Gesundheitswesen von der Öffentlichkeit am stärksten wahrgenommen wird. Die Fachgruppe aus Vertretern von Bund, Kantonen und Verbänden des Gesundheitswesens legt gemeinsam Standards für den interoperablen Datenaustausch fest.

Wo steht das BAG heute in seiner digitalen Transformation?

Wir stecken mittendrin – und sind dennoch erst am Anfang. Dank der Direktorin des BAG und Nassima Mehira, Leiterin des Direktionsbereichs Digitale Transforma­tion & Steuerung, sind wir überhaupt am Start und können Schritt für Schritt vorwärtsgehen. Man muss verstehen, dass das Schweizer Gesundheitswesen föderalistisch organisiert ist, was bedeutet, dass die Digitalisierung mit allen Beteiligten, also Bund, Kantonen und den weiteren Akteuren, angegangen werden muss. Dies war bisher nicht immer der Fall. Ich kann die Ungeduld der Bevölkerung und der Branche wegen der verspäteten Digitalisierung nachvollziehen. Ich möchte jedoch um Geduld bitten: Eine digitale Transformation lässt sich nicht übers Knie brechen. Mit Zwischenlösungen kann ich leben. Mein Verständnis der digitalen Transformation ist aber, sie grundlegend, nachhaltig und mit der Beteiligung aller durchzuführen, was durchaus mehrere Jahre in Anspruch nehmen wird.

Was ist Ihnen an der digitalen Transformation wichtig?

Ich unterscheide zwischen Digitalisierung und digitaler Transformation. Digitalisierung, also Prozesse zu automatisieren, ist ein Teil der Transformation. Die Transformation umfasst alles, vom befähigten Menschen über Organisationformen zu Geschäftsmodellen hin zur Strategie, wobei der Mensch die zentrale Rolle spielt. Damit komme ich zum Kern: Ich glaube, dass alle Menschen im Gesundheitswesen motiviert sind, ihren Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten. Ich bin fest davon überzeugt, dass die digitale Transformation nur mit der Kraft der vielen gelingen kann.

Was hat es damit auf sich?

Die Kraft der vielen ist mein Credo: Wenn Menschen gemeinsam für etwas einstehen, kann sich die Kraft entwickeln, um etwas zu bewegen – hin zu einer Transformation. Diese Bewegung wünsche ich mir im Gesundheitswesen, um den zentralen Aspekt der Strategie Gesundheit 2030 gemeinsam zu erreichen, wonach die Menschen von einem modernen, qualitativ hochwertigen und finanziell tragbaren Gesundheitssystem profitieren.

Im Sommer dieses Jahres kritisierte die Ärztevereinigung FMH, dass das Meldeverfahren für die meisten ansteckenden Krankheiten nach wie vor analog (Telefon, Fax und Post) ist. Die FMH forderte schon vor zehn Jahren ein digitales System. Warum dauert es so lange, ein digitales Meldesystem einzuführen?

Ein digitales Meldesystem war schon länger angedacht – es herrschte aber weder beim Bund noch bei den Kantonen oder den Leistungserbringern Dringlichkeit, und auch die Ressourcen dafür waren nicht vorhanden. Die Pandemie hat den Druck erhöht und das Modernisierungsprojekt ist aufgegleist.

Ein anderes Dauerthema ist das elektronische Patientendossier (EPD). Dieses ist zwar endlich schweizweit verfügbar, stösst aber nur auf minimales Interesse seitens der Bevölkerung. Wie plant das BAG, der Schweiz das EPD "schmackhaft" zu machen?

Das EPD ist in erster Linie ein digitales Dossier, in dem die Bürgerinnen und Bürger ihre eigenen medizinischen Informationen ablegen können. Dies ist aktuell den wenigsten bewusst. Wir planen für 2023 eine schweizweite Kampagne, um das EPD und seinen Nutzen in der Bevölkerung besser bekannt zu machen. Des Weiteren wird der E-Impfausweis integriert und später der E-Medikationsplan. Derzeit erfordert die Eröffnung eines EPD noch einen persönlichen Effort. Vereinfachungen sind jedoch geplant.

Im Frühling sprach sich der Bundesrat dafür aus, dem Bund mehr Regelungskompetenz in Sachen EPD zu gewähren. Wie würde dies der Einführung des EPDs nützen?

Mit der Revision des Bundesgesetzes über das elektronische Patientendossier steht auch zur Diskussion, allen in der Schweiz obligatorisch krankenversicherten Personen von Gesetzes wegen ein EPD zur Verfügung zu stellen. Dies würde die Einführung und Verbreitung des EPD massgeblich befördern. Auch eine vom Bund herausgegebene E-ID könnte den Eröffnungsprozess für ein EPD erheblich vereinfachen. Wichtig ist, dass wir als Bevölkerung mehr über den Umgang mit Gesundheitsdaten sowie deren Qualität wissen und verstehen, wie dies uns alle betrifft. So etwa beim Thema Datenschutz: Einerseits geben wir in Gesundheits-Apps viele Daten über unsere Gesundheit preis. Andererseits sind wir zurückhaltend, was unsere Krankheitsgeschichte betrifft, obwohl diese gesetzlich zurecht einen sehr hohen Datenschutz geniesst.

Das EPD sei nur ein kleiner Teil eines grösseren Plans, sagte Gian-Reto Grond, Leiter der Sektion Digitale Gesundheit des BAG, am E-Health-Forum 2022. Grond sprach vom Ziel eines Datenökosystems für das Schweizer Gesundheitswesen. Wie sieht es mit diesen Plänen aus?

Gian-Reto ist Teil des Teams und hat den grösseren Plan stets vor Augen und arbeitet Schritt für Schritt an dessen Umsetzung. Unser grosser Plan ist ein interoperables Gesundheitswesen, sprich ein transparentes Datenökosystem, das unter Wahrung des Datenschutzes allen Beteiligten zugänglich ist.

Wie stellen Sie sich so ein datenbasiertes Ökosystem für das Gesundheitswesen vor? Und welche Rolle spielen dabei privatwirtschaftliche Unternehmen – beispielsweise die Pharmakonzerne?

Das datenbasierte Ökosystem adressiert das aktuell wohl wichtigste Problem des digitalen Gesundheitswesens: die Standardisierung des Datenaustausches, das auf internationalen, etablierten und verlässlichen Normen gründet. Erst diese Verlässlichkeit und zugängliche, standardisierte Schnittstellen ermöglichen es unseren Partnern und Akteuren des Gesundheitswesens, ihre Geschäftsprozesse zu automatisieren. Da zähle ich auf alle Beteiligten, sowohl auf die Pharmakonzerne als auch auf die Hersteller von Primärsystemen und auf viele weitere. Wir denken hier auch an die Forschung, die nur mit guten, standardisierten und vergleichbaren Daten ihren wertvollen Beitrag leisten kann.

In den vergangenen zwei Jahren gerieten mehrere digitale Gesundheitsdatenregister – Meineimpfungen, Swisstransplant, Mammoregister – wegen Sicherheitslücken und Datenlecks in die Schlagzeilen. Hat die Schweiz ein Gesundheitsdatenschutzproblem?

Die Datenschutzproblematik ist ein inhärentes Problem der heutigen Welt und kann nicht allein durch die IT verantwortet werden. Bei der Datensicherheit sind die Branchen – auch die Gesundheitsbranche – gefordert. Ich beobachte, dass sich das Bewusstsein und die Vorkehrungen für die schützenswerten Daten im Gesundheitswesen positiv entwickeln, nicht zuletzt wegen der erwähnten Vorfälle.

Bei welchen weiteren Digitalisierungsprojekten wollen Sie in den kommenden Monaten Schwerpunkte setzen?

Für die Digitalisierungsprojekte des BAG sehe ich Schwerpunkte bei der Erneuerung des Meldewesens für meldepflichtige übertragbare Krankheiten und bei den Aufsichtsprozessen im Versicherungswesen. Mein persönlicher Fokus liegt aber auf der Zusammenarbeit aller Akteure, denn die digitale Transformation kann nur mit der Kraft der vielen gelingen.

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