Jean-Claude Flury im Interview

Was SAP seinen Kunden noch erklären muss

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Unter SAP-Anwendern haben SAP-Cloud-Lösungen einen schweren Stand – und dies liegt insbesondere an SAP selbst, ist Jean-Claude Flury, Fachvorstand Schweiz der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG), überzeugt. Das Unternehmen müsse flexibler werden und klarer kommunizieren, fordert er im Interview.

Jean-Claude Flury, Fachvorstand Schweiz der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe. (Source: zVg)
Jean-Claude Flury, Fachvorstand Schweiz der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe. (Source: zVg)

Laut einer Umfrage unter DSAG-Mitgliedern vom Sommer 2021 setzen mehr als die Hälfte der Befragten nach wie vor auf On-Prem-Lösungen. Warum ist das so?

Jean-Claude Flury: Mit einer Cloud-Lösung begeben sich Unternehmen stets in eine gewisse Abhängigkeit, daher rührt wohl eine grundsätzliche Skepsis. Bei SAP kommt speziell hinzu, dass die Preismodelle für Cloud-Lösungen alles andere als klar sind. Ausserdem werden manche als hybrid angeboten – also für eine Anwendung teils On-Premises, teils in der Cloud – und es ist nicht immer ersichtlich, in welche Richtung Funktionalitäten eigentlich weiterentwickelt werden. Deshalb gibt es Berührungsängste. Nicht gegen die Cloud per se, sondern gegenüber der Darstellung der Lösung. Es fehlen in vielen Bereichen schlicht klare Roadmaps der SAP, wie End-to-End-Prozesse künftig aussehen können und wie sich speziell die Lizenzmodelle dafür gestalten.

Wie sind insbesondere Schweizer Unternehmen den SAP-Cloud-Lösungen gegenüber eingestellt?

Laut einer Studie von EY haben schon 2019 drei Viertel der Unternehmen in der Schweiz angegeben, dass digitale Technologien für ihr jeweiliges Geschäftsmodell eine mittelgrosse bis grosse Rolle spielen. Ausserdem investiert die Schweiz erhebliche finanzielle Ressourcen in die Bildung. So nimmt die Digitalisierung in Kombination mit technologischem Know-how und Bildung einen wichtigen Platz in der wirtschaftlichen Positionierung des Landes gegenüber der internationalen Konkurrenz ein. Schweizer Unternehmen sind im Vergleich mit dem deutschsprachigen Raum häufig auch kleiner und dadurch vielleicht flexibler. Mangels Fläche und günstiger Arbeitskräfte muss man innovativ und effizient sein. Das führt wohl dazu, dass rascher auf neue Technologien gesetzt wird. Gleichwohl ist dies für SAP kein Selbstläufer und der Hersteller muss sich hier, vor allem was die Lizenzierung anbetrifft, etwas überlegen. Das machen andere Softwareanbieter schon besser. SAP mag als Softwareanbieter im Bereich ERP in der Poleposition sein, muss aber die Fähigkeit, gute Lösungen auch in der Cloud anbieten zu können, erst noch beweisen.

Gibt es branchenabhängige Unterschiede bezüglich SAP in der Cloud? Und woher kommen diese?

Die gibt es durchaus. Sie resultieren zum einen aus regulatorischen Vorschriften, die in bestimmten Sektoren – etwa im Finanzdienstleistungsbereich oder im öffentlichen Sektor – eine Cloud-Nutzung stärker reglementieren. Ferner gibt es Abhängigkeiten bezüglich der Verfügbarkeit, besonders in der produzierenden Industrie, wo Real-Time-Produktionssysteme auf dem Edge – cloudnahe, dezentrale Datenverarbeitung am Rand des Netzwerks – zur Verfügung gestellt werden müssen. Unternehmen, die reinen Handel betreiben, sind da für die Nutzung von SAP-Cloud-Services sicher prädestinierter als solche, die über verschiedene Produktionsorte mit den unterschiedlichsten Ausprägungen von Produktionsapplika­tionen verfügen.

Welchen Unternehmen würden Sie derzeit vom Wechsel in die Cloud abraten? Und warum?

Generell abraten würde ich niemandem. Man sollte aber genau hinsehen und sich über die Gründe klar sein: Wenn man zum Beispiel nur Geld sparen will, funktioniert das kaum. Für Firmen, die den zuvor genannten Restriktionen unterworfen sind, ist der Gang in die Cloud aus ebendiesen Gründen derzeit noch schwieriger. Deshalb kann ihnen zumindest aktuell nicht uneingeschränkt zu einer Cloudifizierung der ganzen IT-Landschaften geraten werden.

Und umgekehrt natürlich: Wer sollte Ihrer Meinung nach den Wechsel in die Cloud am ehesten angehen?

Grundsätzlich alle, die grössere Erneuerungen von Applikationen vor sich haben und bereit sind, Standardprozesse und Best-Practices zu nutzen.

Sie erwähnten bereits die Lizenzmodelle von SAP. Diese seien hinsichtlich der Cloud viel zu starr, kritisierte die DSAG in der Vergangenheit. Wie soll SAP in diesem Bereich nachbessern?

Wir erwarten hier deutliche Nachbesserungen seitens SAP und sind insbesondere nicht glücklich mit den aktuellen Wartungserhöhungen innerhalb laufender Verträge. Leider hat es dazu bisher keine Einigung gegeben. Die Skalierung ist ein weiteres Thema. SAP hat eben nicht nur Grosskunden, sondern zahllose Anwenderfirmen im Mittelstand, die bislang teure Lizenzen in Mengen erwerben, die sie niemals nutzen werden. Hier muss sich SAP mit seinen Lizenzmetriken flexibler zeigen – und zwar nach unten!

Im Sommer führte SAP eine automatische, jährliche Preiserhöhung für seine Cloud-Dienste ein. Dafür wurde das Unternehmen von der IG SAP kritisiert. Was hält die DSAG von diesem Automatismus?

Gerade vor dem Hintergrund einer aufziehenden Wirtschaftskrise sind Preiserhöhungen ein falsches Signal. Das hat auch unser Fachvorstand für den Bereich Lizenzen, Service & Support, Thomas Henzler, auf dem Jahreskongress deutlich gemacht. Im Bereich der Lösungen ausserhalb des eigentlichen ERP-Kerns gibt es schliesslich auch andere Hersteller, die dadurch naturgemäss ins Blickfeld kommen. Salesforce ist hier nur ein Beispiel. Dann heisst es auf einmal "Best-of-Breed" und nicht mehr "Best-of-Suite" innerhalb des reinen SAP-Kosmos.

Forderungen an SAP seitens DSAG nach flexibleren Lizenzmodellen, aber auch generell nach mehr Transparenz und Planungssicherheit sind nicht neu. Wie nehmen Sie hier den Austausch mit SAP wahr? Bewegt sich etwas in diesen Bereichen?

Noch laufen Gespräche, die aber bislang nicht von einem gemeinsamen Verständnis gekrönt sind. Mit anderen Worten: Wir haben noch keine Lösung.

In der eingangs erwähnten Umfrage sagte ein Fünftel der Befragten, sie seien Cloud-Lösungen im SAP-Bereich gegenüber negativ bis sehr negativ eingestellt. Wie kann SAP diese Personen umstimmen?

Wenn man sein S/4-Hana-System in die Cloud bringen will, ist dies natürlich ein viel grösserer Schritt, als wenn nur einzelne Komponenten beispielsweise im Bereich der Planung eingeführt werden, die teils nur noch in der Cloud laufen. SAP muss seine Kunden einfach so gut wie möglich informieren und klar aufzeigen, wo die Cloud-Reise hinführt. Allerdings ist das Vertrauen bei den Kunden noch nicht vorhanden, dass SAP als Cloud Company ein verlässlicher Partner ist. Das ist ein grosses Problem, speziell bei On-Premises-Lösungen ohne klares Nachfolgeprodukt. Was den ERP-Kern angeht, haben wir verlässliche Aussagen und Timelines, bis wann jetzige ECC-Lösungen noch unterstützt werden. Bei den Cloud-Lösungen sieht dies aber anders aus. SAP propagiert zwar sein Rise-Programm, was aber genau dahintersteckt, ist auf den ersten Blick nicht unbedingt ersichtlich. So hat auch der DSAG-Investitionsreport ans Licht gebracht, dass das Wissen über "Rise with SAP" bei schweizerischen Unternehmen noch stark ausbaufähig ist. 61 Prozent der Befragten haben immerhin schon davon gehört, sind mit dem Angebot aber noch nicht vertraut. Das sagt vieles.

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass ihre SAP-Migration in die Cloud möglichst reibungslos verläuft?

Grundvoraussetzung ist eine gute Vorbereitung. Das heisst, Prozesse standardisieren und anpassen, Beschäftigte schulen und abholen, Stammdaten bereinigen usw. Generell gilt beim Start eines Cloud-Projekts: Je ungeplanter und ohne genaue Vorstellung darüber, was man erreichen will, desto grös­ser die Chancen, dass es scheitert.

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