Focus: KI-Agenten

Wie KI-Agenten den Onlinehandel aufmischen

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Den Schweizer Onlinehandel kennt Malte Polzin aus langjähriger Erfahrung, unter anderem als ­ehemaliger CEO von Brack.ch. Im Interview spricht er darüber, was KI-Agenten für den E-Commerce bedeuten, wie sich Händler darauf vorbereiten können – und inwiefern das Agentic Web die ­E-Commerce-Plattformen überflüssig macht.

Malte Polzin, ­Handelsexperte, Advisor & Fractional Executive. (Source: zVg)
Malte Polzin, ­Handelsexperte, Advisor & Fractional Executive. (Source: zVg)

Die Kreditkartenherausgeber Visa und Mastercard setzen auf KI-Agenten, die im Web selbstständig Produkte suchen und einkaufen können. Was bedeutet diese Entwicklung für den Schweizer Onlinehandel?

Malte Polzin: Die Entwicklung von KI-Agenten stellt eine spannende Neuerung dar, die in vielen Bereichen die Karten neu mischen könnte. Neue Player neben den bekannten Plattformen wie Amazon, Galaxus und Zalando etc. könnten entstehen und den Kunden durch diese Agenten neue Nutzererlebnisse bieten. Im Gegensatz zu traditionellen Marktplätzen haben auf Agentic Web spezialisierte Anbieter kein Interesse daran, die Kundenbeziehungen zu besitzen. Sie vermitteln zwischen Nutzer und Händler und tätigen im Namen des Kunden eine Bestellung, sodass der Kunde direkt vom Händler bedient wird. Dies bietet eine neue Chance für den Handel, auch für den Schweizer Onlinehandel.

Die Ankündigung dürfte im E-Commerce für ­Aufsehen sorgen. Wie nehmen Sie diesbezüglich die Stimmung in der Branche wahr?

Visa und Mastercard wollen ja «nur» eine Infrastruktur für sichere Zahlungen im Agentic Web bereitstellen, was erwartbar und positiv zu bewerten ist. Nutzer wollen sicher einkaufen können, und wenn spezielle, pro Transaktion generierte Kreditkartennummern vergeben werden, ist dies ein begrüssenswertes Vorgehen. Der Handel beobachtet das Thema KI-Agenten sicher aufmerksam, aber noch recht entspannt. Die aktuellen Klagen einiger grosser Händler gegen die Interchange-Gebühren von Visa und Mastercard haben da aktuell sicher mehr Aufmerksamkeit.

KI-Agenten könnten auf der Suche nach dem besten Angebot das gesamte Web durchsuchen – und für die Hersteller könnte der Direktvertrieb attraktiver ­werden, weil sie nicht mehr zwingend auf eine ­Vermittlungsinstanz angewiesen wären. Falls sich Shopping-Agenten durchsetzen: Machen sie dann ­E-Commerce-Plattformen überflüssig?

Die Agenten sollen das bestmögliche Shopping-Erlebnis bieten und da gehören viele Faktoren dazu. Preis, Verfügbarkeit und Liefergeschwindigkeit. In der Regel werden diese Faktoren zusammengenommen vom Handel meistens besser erfüllt als vom Hersteller selbst. Speziell der Preis ist da ein gewichtiger Faktor. Aus­serhalb von Aktionen sind Händler meistens günstiger als der Hersteller, der meistens zum UVP verkauft. Das könnte sich jedoch dann ändern, wenn «mein» Shopping-Agent dann auf den Verkaufs-agenten des Herstellers trifft und diese dann einen individuellen Preis vereinbaren, der so nicht offen auf der Website steht. Solche Mechanismen werden sicher kommen, mit offenem Ausgang.

Angenommen, Onlinehändler und Online-Zwischenhändler geraten aufgrund der Einführung von KI-Agenten in Schwierigkeiten, weil sich dadurch beispielsweise der Preisdruck erhöht, oder weil die erste Anlaufstelle fürs Onlineshopping nicht mehr eine Website wie amazon.com ist, sondern ein KI-Chatbot. Wie könnten die Marktteilnehmer darauf reagieren?

Als Händler von Markenartikeln über Amazon zu verkaufen, ist schon heute nicht sehr attraktiv denn es lassen sich nur dünne Margen realisieren. Zusätzlich müssen oft noch teuer gesponserte Keywords gebucht werden, um überhaupt sichtbar zu werden. Auch Google-Shopping wird für den Handel immer teurer. Und über Preisvergleichsplattformen sind die Preise häufig schon absurd tief. Somit sind die neuen Agenten eher eine Chance, zumindest am Anfang wieder preiswerteren Kundenzugang zu erlangen. Und in dem Fall wird der Kunde dem Händler «gehören» und nicht dem Agenten, wie es sonst bei Amazon oder Galaxus der Fall ist. Wie sich die neuen Agenten finanzieren, ist noch offen. Möglicherweise durch eine Kombination aus Nutzungsgebühr, bezahlt durch den User, und ergänzend einer prozentualen Provision durch den Händler. Am Ende wird sich eben nur der Agent durchsetzen können, der die besten und neutralsten Ergebnisse für die User erbringt. Daher kann ich jedem Händler nur empfehlen, sich auf das Thema vorzubereiten und eher die Chancen zu sehen.

Wie verändern autonome Einkaufsagenten die Konkurrenz zwischen kleinen Onlineshops und Online-Marktplätzen wie Amazon oder Digitec Galaxus?

Auch hier würde ich als kleinerer Shop unbedingt die Chancen sehen. Zunächst mal stellt sich die Frage, ob die grossen Plattformen den autonomen Agenten überhaupt Zutritt gewähren oder ob sie auf eigene Lösungen setzen. Bisher haben sich diese Marktplätze eher vor Bots geschützt, um das Auslesen von Preisen zu unterbinden. Aber ja, die Grossen sind im Vorteil bezüglich IT-Ressourcen, um automatisiert Daten mit Agenten auszutauschen, wenn sie das wollen. Aber sobald sich eine Agentenplattform als etwas Relevantes in Stellung bringt, kann ich diese als Händler auch aktiv angehen und so Zugang zu Kunden erhalten – abseits der grossen Plattformen.

Kann die Einführung von Shopping-Agenten auch neue Geschäftsmodelle und Vertriebsformen im ­E-Commerce hervorbringen? Und wenn ja: In welche Richtung könnte es gehen?

Ich bin davon überzeugt, dass wir auf dieser Ebene noch viele neue Themen sehen werden. Allen voran die Agenten selbst. Sind sie spezialisiert – etwa auf Nachhaltigkeit oder Second Hand – oder kommen sie gar direkt aus einem mobilen Betriebssystem oder Browser? Allein die ganze Schnittstellen-Thematik bietet viel Raum für neue Lösungen und Anbieter. Produktdaten müssen maschinenlesbar bereitgestellt werden und Transaktionen müssen via Schnittstelle zurück in den Shop gelangen. Der Agent möchte ja nicht auf einer Website «surfen», das wäre zu ineffizient. Es werden neue Ökosysteme und Dienstleistungen rund um das Thema entstehen. Aber auch aufseiten der Händler werden Agenten beim Verkaufen unterstützen. Diese muss jemand entwickeln und kann diese dann verkaufen.

In welchen Produktkategorien sehen Sie das grösste Potenzial für Shopping-Agenten? Und wo dürfte ihr Einsatz eher schwierig oder wenig sinnvoll sein?

Je nach Art und Aufbau des Agenten und des konkreten Use-Cases kann ich mir dessen Einsatz in vielen Produktkategorien vorstellen. Wenn ich einem Agenten sage, er soll sofort kaufen, sind einfache Produkte prädestiniert, besonders wenn ich das Produkt nicht nochmal anschauen möchte – etwa ein Wiederholungskauf. Ansonsten könnten auch komplexe Produkte zuvor ausgewählt werden, die dann in einer Übersichtsliste mit Vergleichstabellen präsentiert werden. So kann man auch umfassende Produktmerkmale, Features und Lieferbedingungen vergleichen. Die KI ermöglicht diese aggregierte und auf meine Wünsche zugeschnittene Darstellung. Daher sehe ich viele Möglichkeiten für das jeweilige Front-End des Agenten, sei es über Text, Sprache oder Bild. Dies beeinflusst, welche Produktkategorien direkt gekauft oder zur besseren Evaluierung ausgewählt werden können. Ich glaube, wir sollten hier sehr offen denken.

Welche Rolle spielen KI-Agenten künftig bei der Preisgestaltung und dynamischen Anpassung von ­Angeboten im Onlinehandel?

Preise werden weiter sehr transparent sein, wie es heute bereits der Fall ist. Agenten könnten mit den Agenten der Händler verhandeln und individuelle Angebote aushandeln, wie etwa Mengenrabatte. Händler könnten unterscheiden, ob sie Agenten denselben Preis wie Menschen anbieten. Diese Entwicklungen muss man noch beobachten. Die Dynamik wird in einem ohnehin kompetitiven Umfeld sicher steigen. Da hohe Vermittlungsprovisionen auf Marktplätzen möglicherweise wegfallen oder sich reduzieren, könnten Händler aber wieder mehr Spielraum gewinnen. Und der Kunde «gehört» ihnen dann auch wieder.

Wie wird sich durch diese Entwicklung wohl das ­Einkaufsverhalten verändern?

Ich glaube sehr massiv! Wahrscheinlich stärker als es beim Mobile-Commerce war. Allein die Vorstellung, Siri von Apple wäre endlich mal intelligent und würde für mich shoppen können ... Sie weiss (wenn ich möchte) alles über mich und meine Vorlieben und was ich schon in x Shops gekauft habe. Ich glaube, auf einer solchen Basis sollten wir mal Gedankenspiele machen.

Was empfehlen Sie Händlern, um sich auf Agentic Shopping vorzubereiten?

Händlern empfehle ich, diese Entwicklung genau zu verfolgen, aber nicht zu hyperventilieren. Die Frage ist, wie man Daten bereitstellt, damit KI-Bots und Agenten diese nutzen können. Ist die Website fähig, von solchen Agenten durchsucht zu werden? Wird meine Site heute schon von Agenten/Bots besucht, lasse ich dies überhaupt zu, und was bekommen die dann zu sehen? Das wäre schon mal ein Anfang. Wie könnte eine Schnittstelle für die Datenbereitstellung aussehen? Der (modifizierte) Google-Shopping-Feed könnte ein Ansatz sein, aber es wird noch weitere Möglichkeiten geben. Die Bereitstellung von Daten und die schnelle Lieferung zu einem guten Preis bleiben wichtige Erfolgsfaktoren im E-Commerce. Standards rund um automatisierte, schnittstellenbasierte Transaktionsabwicklungen sollten beobachtet werden. Diese Standards entstehen gerade erst. Agenten wollen nicht eine Website benutzen, sie wollen effizient Daten austauschen. Es sind spannende Zeiten für Händler mit neuen Möglichkeiten. Man sollte eher die Chancen sehen und sich vom Gedanken verabschieden, dass nur noch Menschen meine Site besuchen. Ich würde unbedingt probieren, mit bestehenden oder neuen Agenten in meinem Shop einzukaufen, um zu prüfen, ob das funktioniert. Wenn nicht, die Site beziehungsweise den Check-out so anpassen, dass man «ready» ist.

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gDZXKSqw