"Mit Unified Commerce lernen Systeme, gemeinsam zu verkaufen"
Unified Commerce gilt als nächste Evolutionsstufe des digitalen Handels. Thomas Walter, Chief Solutions Officer von Merkle, erklärt im Gespräch, wie Unternehmen Daten, Systeme und Kundenerlebnisse vereinen – und warum die Zukunft des Commerce strukturiert, API-basiert und agentisch ist.
Unified Commerce gilt als der nächste grosse Schritt im digitalen Handel. Was bedeutet das konkret?
Thomas Walter: Unified Commerce ist die natürliche Weiterentwicklung von Omnichannel. Unternehmen haben viel investiert, um ihre Kanäle miteinander zu verbinden – Onlineshops, Filialen, Apps oder Social Commerce. Dabei ist viel erreicht worden, aber auch neue Brüche sind entstanden: isolierte Daten, abweichende Preislogiken, uneinheitliche Erlebnisse. Unified Commerce hat den Anspruch, diese Brüche zu beseitigen, indem alle Kanäle auf einer gemeinsamen technologischen und datengetriebenen Basis zusammenlaufen. Ein schönes Beispiel hierfür ist Bucherer: Kundinnen und Kunden können sich online informieren, im Store beraten lassen und per App nachkaufen – alles auf denselben Daten und Systemen. Es geht nicht um mehr Kanäle, sondern um Konsistenz und Vertrauen über alle Kontaktpunkte hinweg. Das entspricht auch dem Verhalten von Nutzerinnen und Nutzern heute: Menschen wollen nicht mehr endlos klicken, sondern verstehen und entscheiden. Unified Commerce schafft die Basis, diese Entscheidungsmomente in Echtzeit und über alle Touchpoints hinweg zu unterstützen.
Welche Rolle spielt die technologische Architektur dabei?
Sie ist matchentscheidend. Die meisten modernen Unternehmen setzen heute auf Composable Commerce nach den MACH-Prinzipien – Microservices, API-first, Cloud-native und Headless. Das erlaubt es, Systeme modular aufzubauen und neue Funktionen schnell einzuführen, ohne das Gesamtsystem neu denken zu müssen oder gar zu gefährden. Diese Architektur bildet die Grundlage für Nachhaltigkeit und Innovationsgeschwindigkeit zugleich. Ein Unternehmen, das diese Flexibilität konsequent nutzt, ist etwa Satair, die Ersatzteile-Tochtergesellschaft von Airbus. Hier arbeiten Sales, Commerce und Service auf einer integrierten Unified-Commerce-Plattform, die mittlerweile um eine agentische Assistentin, "Lilly", erweitert wurde. Wenn ein Kunde etwa ein Ersatzteil nicht findet und ein E-Mail schreibt, analysiert Lilly die E-Mails, prüft den B2B-Shop und den Marktplatz, berücksichtigt kundenspezifische Preislisten aus dem CRM und übersetzt die Anfrage in ein RFP. Sales-Mitarbeitende erhalten dadurch vorgeschlagene Angebote zur Freigabe. Das ist Agentic Commerce im B2B-Kontext in Reinform – und zeigt zugleich, wie Unified Commerce technologisch und prozessual zusammenwächst.
Welche technologischen Trends beschleunigen diese Entwicklung?
Agentic-Protokolle wie ACP (Agentic Commerce Protocol), MCP (Model Context Protocol) oder AP2 (Agents Payments Protocol) schaffen eine technische Ebene, auf der Agenten mit Commerce-, CRM- und ERP-Systemen kommunizieren können. Vereinfacht gesagt werden hier drei Dinge geregelt:
- den Zugang zu Daten, damit Antworten aktuell bleiben (MCP),
- den "Handschlag" für Transaktionen (ACP),
- und die Sicherung des Vertrauens, etwa bei Zahlung oder Autorisierung (AP2).
Diese Technologien sind wichtige Bausteine einer Unified-Commerce-Strategie – aber sie sind nicht das Ziel selbst. Denn entscheidend ist das Zusammenspiel aus Daten, Architektur und Experience. Erst wenn Front-Ends, Suche und Back-Ends semantisch miteinander verbunden sind, können Antworten, Empfehlungen und Transaktionen reibungslos ineinandergreifen.
Wie verändert sich dadurch das Marken- und Experience-Design?
Marken müssen lernen, ihre Inhalte in präzise Antwort-Bausteine zu übersetzen – wir sprechen von "atomic content". Statt Hero-Kampagnen geht es zukünftig verstärkt um präzise, maschinenlesbare Informationen, die Modelle aufgreifen und kontextuell nutzen können. Das führt konsequenterweise auch zu einer neuen Such-Disziplin: Answer Engine Optimization (AEO). Es geht nicht mehr darum, Seiten zu ranken, sondern mit Informations-Snippets zitiert zu werden. Und auch Werbung wandelt sich: Sie steht nicht mehr neben den Antworten, sondern wird Teil der Antwort selbst – bestenfalls relevant, transparent und nützlich.
Was ist eine oft unterschätzte Herausforderung auf dem Weg zu Unified Commerce?
Bei Merkle haben wir natürlich einen starken Fokus auf die Customer Experience. Und leider nimmt die CX-Qualität durch die steigende technische Komplexität weiter ab. Der CX Quality Index der Analysten von Forrester steht für 2025 sogar auf einem Allzeittief. Wir versuchen hier, mit Standards und Best-Practices zu unterstützen. Ein gutes Beispiel hierfür ist unser Unified Experience Accelerator Merkle Arc, der Designsystem, Front-End und Integrationsschicht zusammenführt. Er hilft Marken, schneller zu iterieren und trotz komplexer Architekturen einheitlich aufzutreten. Es geht nicht um ein Tool, sondern um eine Philosophie von Nachhaltigkeit und Wiederverwendbarkeit – denn wer sauber integriert, spart nicht nur Zeit, sondern kann Innovation dauerhaft skalieren.
Wohin führt die Reise des Commerce insgesamt?
Wir sehen eine Systemwende. Unternehmen müssen sich als Headless denken, und hierbei meine ich nicht nur die Architektur: Front-Ends und Antwort-UIs wechseln schnell, die Kernlogik aus Daten und Prozessen muss stabil, API-fähig und zugänglich sein. Nur so bleiben Marken anschlussfähig an neue Interaktionsformen – ob Voice, AR oder Agenten. Das alte "Crawler-Wettrüsten" – immer mehr Content, immer tiefere Optimierung – ist ineffizient und kostspielig geworden. Die Antwort liegt in strukturierten, kontrollierten Feeds statt zufälligem Scraping. Die strategische Konsequenz fürs Jetzt lautet: Unternehmen müssen Answer-Readiness aufbauen. Unternehmenseigene Wissenshubs, Produkt-Feeds, klare Attribution, strukturierte Datenströme – damit Antworten im Agentic Commerce verlässlich, markenkonform und handelbar werden. Unified Commerce ist dafür das technische und strategische Fundament, damit lernen Systeme, gemeinsam zu verkaufen.
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