Swissmem-Präsident Hans Hess

"Wir haben zu wenig Leute aus der Maschinenindustrie im Parlament"

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Digitalisierung, Industrie 4.0 und IoT sind Themen, die auch die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie umtreiben. Die Initiative "Industrie 2025" soll die MEM-Industrie beim Schritt in die digitalisierte Zukunft unterstützen. Am Rande der neuen Fachmesse für Kommunikationsinfrastruktur Com-Ex in Bern traf die Redaktion Swissmem-Präsident Hans Hess zum Gespräch.

Hans Hess, Präsident Swissmem, VR-Präsident Reichle & De-Massari
Hans Hess, Präsident Swissmem, VR-Präsident Reichle & De-Massari

Wie sehen Sie die Zukunft für den Werkplatz und Industriestandort Schweiz?

Hans Hess: Ich bin sehr optimistisch für den Industriestandort Schweiz. Leider wurde er in den letzten Jahren immer wieder stark geprüft, etwa durch die Finanzkrise und die grossen Aufwertungen des Schweizer Frankens. Dies hat uns aber gezwungen, uns anzupassen und die Innovation und Effizienz massiv anzukurbeln. Die neuen digitalen Technologien helfen uns auf diesem Weg. Ich bin optimistisch für die Schweiz, wenn wir diese Technologien schnell genug zu unseren Gunsten nutzen.

Swissmem ist gemeinsam mit Swissnet, Electrosuisse und Asut Mitinitiantin der Initiative «Industrie 2025», die im Jahr 2015
lanciert wurde. Warum hört man so wenig von den Resultaten der Initiative?

Die teilnehmenden Firmen wollen nicht gross in der Öffentlichkeit darüber sprechen, was sie im Rahmen der Initiative machen. Sie wollen aber sicher mit den Kunden darüber sprechen, wenn sie etwas Neues zu bieten haben. Im Vorfeld des Industrietags 2016, der dem Thema «Industrie 4.0» gewidmet war, fanden wir bei einer Kurzumfrage heraus, dass bei unseren rund 1000 Mitgliedern bereits rund 1500 Industrie-4.0-Projekte unterwegs sind. Hier läuft also was.

Um was für Projekte handelt es sich konkret?

Ein klassischer Blechhersteller etwa baute ein Onlineportal für seine Kunden. Diese können ihre CAD-Zeichnungen in das Frontend hochladen und herausfinden, ob das Blech so herstellbar ist, wie sie es auf der Zeichnung vorgesehen haben. Sie können auch die Kosten erkennen und im Trial-und-Error-Verfahren ihr Design optimieren. Auch die anschliessende Offerte oder Bestellung an den Kunden läuft über dieses Portal.

Die Initiative heisst ja «Industrie 2025». Was genau soll bis 2025 erreicht sein?

Die Initiative ist eine Starthilfe, damit die Unternehmen ihren Einstieg in die Digitalisierung rascher finden. Mein Wunsch ist es, dass es nach 2025 die Plattform nicht mehr braucht, da alle Firmen ihren Einstieg gefunden haben und mit ihren Partnern und Kunden vernetzt sind.

Und die Firmen bis dahin auch digitalisiert sind?

Nein, das glaube ich nicht. Bis 2025 werden noch nicht alle Unternehmen digitalisiert sein. Sie werden aber keine Hilfe mehr brauchen, um herauszufinden, welche Digitalisierungsthemen für sie relevant sind. Denn aus dem ganzen Spektrum von Industrie 4.0 ist für ein Unternehmen nur ein Teil der digitalen Technologien relevant.

Sie glauben also nicht an eine flächendeckende Digitalisierung der Schweizer Industrie?

Doch, das glaube ich schon. Die Frage ist, bei welchen Themen. Es werden nie alle Firmen Virtual Reality oder 3-D-Printing nutzen und vielleicht nur 50 Prozent Big-Data-Projekte durchführen. Aber es ist mein Wunsch, dass alle Schweizer Firmen verstanden haben, wie sie die Digitalisierung zu ihren Gunsten nutzen können. Die Digitalisierung wird noch 20 Jahre weitergehen. Es werden sich laufend neue Möglichkeiten bieten und neue Ideen entwickeln. Etwa von jungen Mitarbeitern, die in dem digitalisierten Umfeld aufgewachsen sind.

Und die werden vielleicht auch andere Ansprüche haben ...

Ja genau. Wir haben jetzt nur von der Technik gesprochen. Aber es ändert sich bei der Digitalisierung viel mehr, etwa in der Arbeitswelt. Ich mache mir keine Sorgen, dass wir in der Maschinenindustrie in grösserem Ausmass Arbeitsplätze verlieren. Aber es wird einen gewissen Wechsel an Stellen und Aufgaben geben.

Wie sieht dieser Wechsel aus?

Einfache Routinearbeitsplätze werden verschwinden, neue Stellen wie etwa für Datenanalysten werden geschaffen. Hier ergibt sich eine weitere Herausforderung: Wie können wir Mitarbeiter, deren Fähigkeiten aus ihrer Erstausbildung nicht mehr gebraucht werden, weiterbilden, sodass sie in der neuen digitalisierten Industrie von morgen wieder einen Job haben werden? Das ist ein ganz wichtiges Thema.

Und wahrscheinlich auch das am schwierigsten zu lösende Problem ...

Ich bin für die MEM-Industrie eigentlich optimistisch. Die Firmen sind bereits weit automatisiert, es gibt wenig Routinearbeitsplätze. Nur ein kleiner Teil der klassischen Arbeitsplätze wird verschwinden. Es braucht weiterhin Polymechaniker oder Elektroniker, aber mit erweiterten digitalen Fähigkeiten. Es gibt aber andere Bereiche, wie der Detailhandel oder das Finanzdienstleistungsumfeld, die viel weniger automatisiert sind. In diesen Bereichen wird es wohl einen grösseren Strukturwandel im Arbeitsmarkt geben.

Sind Sie zufrieden mit dem, was die Initiative «Industrie 2025» in den eineinhalb Jahren seit ihrer Lancierung erreicht hat?

Wir haben Fortschritte gemacht. Ich bin allerdings mit der Geschwindigkeit des Fortschrittes noch nicht zu­frieden.

Es gibt doch aber immerhin 1500 Projekte.

Ich hätte aber lieber 15 000 Projekte. Ich reise viel international und sehe, wie schnell andere Länder die neuen digitalen Technologien aufnehmen. Wir sind nicht die einzigen, die gemerkt haben, welche Chance die Industrie 4.0 bietet. Deshalb müssen wir Schweizer in den nächsten zwei, drei Jahren die digitalen Technologien auf der technischen Ebene und auch in der Arbeitswelt noch viel schneller integrieren. Wir sind hier noch zu gemächlich unterwegs und noch weit weg vom Ziel.

Welche Länder sind im internationalen Vergleich denn besonders weit entwickelt?

In Europa sind wir im industriellen Umfeld schon recht weit entwickelt. Eine Studie von Roland Berger zum Readi­ness Index für Industrie 4.0 positioniert die Schweiz und Deutschland an der Spitze. Für die Studie wird gemessen, wie gut die Prozesse beherrscht werden, wie hoch automatisiert diese schon sind, wie gross die Wertschöpfung ist, wie innovativ die Industrie arbeitet, wie gut das Bildungssystem ist, wie es um die ICT-Infrastruktur steht und wie offen und vernetzt die jeweilige Industrie ist. Die Schweiz hat hier gute Voraussetzungen. Aber wenn ich uns mit China und Korea vergleiche, gibt es einen riesigen Unterschied in der Geschwindigkeit.

Was machen die besser als wir?

Die ICT-Infrastruktur wird mit einer gewaltigen Geschwindigkeit bereitgestellt, und die Unternehmen sind schnell und agil. Wir in der Schweiz müssen diesen «Sense of Urgency» deutlicher mitbekommen. Die Digitalisierung ist eine riesige Chance. Aber wir müssen sie schnell ergreifen und uns schnell positionieren. Ansonsten müssen wir uns mit den hinteren Plätzen begnügen.

Und wo stehen die USA?

Die Amerikaner haben eine etwas andere Welt erschlossen, die Welt der webbasierten Businessmodelle. Das sehe ich nicht als unsere Stärke. In der MEM-Industrie und im Bereich Smart Factories sind wir weiter als die Amerikaner. Wir können auf unseren klassischen Kompetenzen aufbauen, müssen aber die neuen digitalen Technologien besser und schneller integrieren, absorbieren und nutzen.

Es braucht also Beschleunigung.

Genau, das ist eindeutig. Und nicht nur auf der technischen Seite, sondern auch hinsichtlich des Arbeitsmarktes. Wir müssen die tiefe Arbeitslosigkeit der Schweiz trotz des technologischen Wandels sicherstellen. Und dazu braucht es vor allem eine gute Bildung und Weiterbildung in Richtung dieser digitalen Fähigkeiten. Das ist der Schlüssel. Hier müssen wir aber proaktiver werden, auch politisch.

Aber gerade bei Bildungsthemen gibt es immer wieder grosse Diskussionen. Es scheint, als ob die Politik nicht immer das macht, was für die Industrie gut wäre.

Ja, dieser Eindruck täuscht nicht. Es gibt aber auch positive Entwicklungen, wie etwa der Lehrplan 21 der Deutschschweizer Erziehungsdirektoren-Konferenz. Darin sind wichtige Elemente erhalten, wie etwa mehr MINT-Ausbildung, eine bessere Berufsorientierung und kompetenzbasierte Ausbildung. Einige Kantone sind an der Einführung des Lehrplans 21. Aber auch hier: Es muss schneller gehen. Die Politik muss ausser der Bildung auch andere Rahmenbedingungen wie die Forschung und den Wissenstransfer zwischen Akademien und Firmen stärken.

Die MEM-Industrie sowie die ICT-Branche sind aber in der Politik untervertreten und können politisch nicht so viel bewegen wie etwa die Bauern. Wie soll das funktionieren?

Hier sprechen Sie ein schwieriges Thema an. Wir haben zu wenig Leute aus der Maschinenindustrie im Parlament. Als Verband können wir hier nur von aussen wirken. Deshalb unterstützen wir Unternehmer, die interessiert sind, in die Politik zu gehen. Wir brauchen mehr Vertreter aus der Industrie, insbesondere auch aus dem ICT-Sektor, die Fachkompetenzen in die parlamentarischen Kommissionen bringen und die Entscheidungen in die richtige Richtung lenken.

Das Volk wählt das Parlament. Es scheint also dem Volk am Verständnis zu fehlen, wie wichtig Digitalisierung für unsere Land ist. Müsste das Volk besser informiert werden?

Ja, da haben Sie Recht. Wir haben Nachholbedarf in der Schweiz. Digitale Themen müssen der Bevölkerung nähergebracht werden. Ich fordere schon lange, dass man in der Primarschule etwa Programmieren lehrt. Ein Smartphone zu bedienen, ist keine IT-Kompetenz. Wir wollen keine User ausbilden, sondern Leute, die Lösungen für User machen. Die Digitalisierung ist ein wichtiges Thema. Auch die Bevölkerung muss sich damit auseinander­setzen.

Sie sind nicht nur Swissmem-Präsident, sondern auch VR-Präsident des Kabelherstellers Reichle & De-Massari. Was bedeuten Digitalisierung, Industrie 4.0 und IoT für R&M?

Die ICT-Infrastruktur wird hinsichtlich der Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit immer wichtiger. Es werden unglaublich viel mehr Daten generiert und abgelegt werden, um danach wieder analysiert zu werden. Datacenter werden überall an Bedeutung gewinnen, müssen aber auch effizient arbeiten. Mit den Chancen der ­digitalen Technologien können wir unseren Kunden helfen, ihre Infrastruktur noch effizienter und sicherer zu betreiben – sei das im Datacenter, bei FTTH oder auch im Office.

Wie digitalisiert ist R&M bereits?

Bei den Schweizer Industriefirmen zeigen sich zwei Richtungen. Die einen digitalisieren ihre Produkte, wovon dann die Kunden profitieren. Die anderen nutzen die Digitalisierung, um auf dieser Hochpreisinsel Schweiz selbst effizienter zu werden. R&M gehört zur ersten Gruppe. Es wird in Zukunft aber auch ein Thema sein, die digitalen Technologien für uns selbst zu nutzen. R&M hat aber keinen Chief Digital Officer.

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