Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider über über Chancen und Herausforderungen für die digitalisierte Schweiz
Im November 2024 hat Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider die "Allianz Digitale Inklusion Schweiz" präsentiert. Im Gespräch sagt die Vorsteherin des Eidgenössischen Departements des Innern, was es für mehr digitale Inklusion braucht. Sie spricht auch über das EPD von morgen und verrät ihren digitalpolitischen Wunsch für die Schweiz.

Frau Bundesrätin, wenn Sie auf Ihr erstes Jahr als Vorsteherin des EDI zurückblicken: Was war Ihr "digitales Highlight"?
Elisabeth Baume-Schneider: Auf politischer Ebene: die Annahme von Digisanté im Parlament. Ein faszinierendes – und herausforderndes – Programm zur Transformation unseres Gesundheitswesens. Für mich persönlich: mein Spotify-Abo, das mir musikalische Erkundungsreisen von Zaho de Sagazan bis Arvo Pärt via Aznavour, Pink Floyd und Angèle ermöglicht. Auch wenn die Entschädigungen für die Künstler grosszügiger sein dürften.
Sie sprachen am 21. November 2024 in Bern zur Lancierung der Allianz Digitale Inklusion Schweiz (ADIS) und plädierten für mehr digitale Inklusion. Warum hinkt die Schweiz, ein ausgesprochen digitales Land, in diesem Bereich hinterher?
Der Stand der digitalen Inklusion in der Schweiz ist vergleichbar mit anderen Ländern. Wir sind aber nicht da, wo wir sein möchten. Inklusion ist eine wichtige Voraussetzung für Chancengleichheit und Gleichstellung. Daher braucht es Massnahmen zur Förderung der digitalen Teilhabe aller Menschen. Die digitale Exklusion ist auch ein Abbild der noch zu wenig tiefen Verankerung der Rechte von Menschen mit Behinderungen und der Kenntnisse über die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen. Wobei es ja gerade im Bereich der Digitalisierung eigentlich einfacher wäre als sonst, die Inklusion voranzubringen, gibt es doch zumindest für die Barrierefreiheit seit langem Standards und Hilfestellungen.
Die Teilnehmenden der ADIS-Eröffnungsfeier sprachen mehrfach von der "digitalen Kluft" und erinnerten an Menschen mit geringen digitalen Grundkompetenzen. Wie soll sichergestellt werden, dass diese Menschen den Zugang zur digitalen Welt nicht verlieren?
Grundlegende Voraussetzungen für digitale Inklusion sind zum einen die barrierefreie Zugänglichkeit zu digitalen Dienstleistungen und zum anderen die individuellen digitalen Grundkompetenzen. Wenn wir die sogenannte digitale Kluft verringern möchten, braucht es Massnahmen auf verschiedenen Ebenen. Ganz zentral ist die Bildung, die diese Grundkompetenzen sicherstellen soll. Daneben sind auch niederschwellige Weiterbildungsangebote wichtig. Zugleich gilt es, in der digitalen Welt darauf zu achten, keine vermeidbaren Hindernisse aufzustellen.
Wie soll sichergestellt werden, dass diese Menschen den Zugang zur digitalen Welt nicht verlieren?
Kann die Digitalisierung umgekehrt auch zur gesellschaftlichen Inklusion beitragen? Und wenn ja: inwiefern?
Die Digitalisierung bietet grosse Chancen für die Teilhabe, etwa von Menschen mit Behinderungen. Das Potenzial in den Bereichen Arbeit, Partizipation und Bildung ist riesig. Voraussetzung ist aber, dass die Digitalisierung mit Blick auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen erfolgt. Durch digitale, barrierefreie Dienstleistungen lassen sich verschiedene Beeinträchtigungen ausgleichen. Zugängliche Websites lassen sich von Menschen mit Sehbehinderungen lesen. Angebote im Internet können auch mit geringer Mobilität wahrgenommen werden. Informationen können durch Leichte Sprache oder Gebärdensprachvideos verständlich gemacht werden und, und, und.
Wo sehen Sie im EDI den grössten Handlungsbedarf auf dem Weg zu mehr digitaler Inklusion?
Lange gingen wir davon aus, dass es hierzu vor allem Vorbilder braucht. Der Bund hat daher der Zugänglichkeit seiner digitalen Behördendienstleistungen ein grosses Gewicht eingeräumt. Das hat einiges, aber zu wenig gebracht. Der Bundesrat schlägt daher nun vor, im Behindertengleichstellungsgesetz eine Verpflichtung auch von privaten Anbieterinnen und Anbietern vorzusehen, das Zumutbare für die Barrierefreiheit von digital erbrachten Dienstleistungen zu tun. In der Schweiz gibt es auch viele Organisationen und Projekte, die digitale Inklusion in einem bestimmten Thema vorantreiben. Hier gibt es ein grosses Synergiepotenzial. Der Bundesrat möchte im Rahmen der Behindertenpolitik 2023 – 2026 mit der ADIS diese Synergien besser nutzen und die Vernetzung und Zusammenarbeit von Gesellschaft, Wirtschaft, Verwaltung, Bildung und Forschung fördern.
Künstliche Intelligenz ist aktuell in aller Munde. Auch das EDI testet bereits erste Anwendungen, wie ich der Liste des Kompetenznetzwerks künstliche Intelligenz (CNAI) entnehme. Ist Ihrer Meinung nach KI der digitalen Inklusion eher förderlich oder hinderlich?
Hier sind noch viele Fragen offen. Das Potenzial von KI für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen erachte ich als sehr gross. KI kann als digitaler Assistent den Alltag erleichtern. Grundsätzlich ist es aber wie bei der Digitalisierung: Erst wenn die Vielfalt der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen von Beginn an mitgedacht und mitgewichtet werden und die KI entsprechend trainiert wird, kann sichergestellt werden, dass KI nützlich für alle ist. Der Einbezug von Menschen mit Behinderungen ist also entscheidend.
Was braucht es, damit durch KI nicht noch mehr Menschen digital abgehängt werden?
Bei allen Vorteilen von KI ist es wichtig, dass die Menschen mit der Entwicklung schritthalten können. Die Grundvoraussetzung dafür ist die digitale Kompetenz. Diese aufzubauen, liegt nicht nur in der Verantwortung jedes Einzelnen. Zahlreiche Akteure müssen einen Beitrag leisten. Die Familien, Bildungsinstitutionen, Verbände, engagierte Einzelpersonen und auch der Bund.
Das CNAI ist auch an der Auslegeordnung für eine künftige KI-Regulierung beteiligt. Diese wurde für Ende 2024 angekündigt, mittlerweile aber verschoben. Warum tut sich der Bund mit KI-Regulierung so schwer?
Die Regulierung von KI wird vom Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation betreut. Bei aller Ungeduld darf nicht vergessen gehen, dass KI zahlreiche Bereiche des wirtschaftlichen, öffentlichen und gesellschaftlichen Lebens betrifft. Die Frage, wie wir in diesen Bereichen regulieren, ist komplex und sensibel. Es ist wichtig, dass wir sorgfältig und mit unseren internationalen Partnern abgestimmt vorgehen. Der Bundesrat wählt diesen Weg, und das begrüsse ich.
Das ebenfalls im EDI angesiedelte Bundesamt für Gesundheit (BAG) steht mit Digisanté vor einem Digitalisierungsgrossprojekt. Ist KI im Rahmen des Vorhabens ein Thema? Und wie, glauben Sie, wird künstliche Intelligenz das Gesundheitswesen beeinflussen?
Digisanté ist nicht einfach ein Digitalisierungsprojekt. Das Programm will mehr. Es will die digitale Transformation des Gesundheitswesens vorantreiben. KI ist Teil der heutigen digitalen Welt und wird so auch das Programm mit seinen zahlreichen Vorhaben beeinflussen.
Für das elektronische Patientendossier nimmt der Bundesrat einen neuen Anlauf. Was ist aus Ihrer Sicht auf dem Weg zum EPD bislang schiefgelaufen?
Im Nachhinein würde man wohl einige Entscheide, die vor 15 Jahren getroffen wurden, anders beurteilen. So war die dezentrale Struktur bisher eher ein Hindernis bei der Entwicklung des EPD, und die gut gemeinte Idee, auf doppelte Freiwilligkeit bei Patienten und Leistungserbringern zu setzen, hat sich in der Praxis nicht bewährt. Darum plant der Bundesrat jetzt eine Zentralisierung der Infrastruktur, eine Verpflichtung für Leistungserbringer sowie den Wechsel von Opt-in auf Opt-out für die Patienten. Ich bin zuversichtlich, dass dies dazu beiträgt, die erhofften Resultate zu erzielen.
Ein Argument spricht gegen eine EPD-Zentralisierung, nämlich die Datensicherheit: Eine zentrale Lösung bedeutet auch, dass es einen Single Point of Failure gibt. Was sagen Sie dazu?
Das Vertrauen der Bevölkerung in das künftige EPD ist für mich entscheidend. Darum bewerte ich die Datensicherheit sehr hoch. Man muss aber auch sehen, dass sich in Bezug auf die Sicherheit nicht viel ändert, wenn es künftig nur eine Plattform statt wie heute drei gibt. Ich sehe nicht, dass das Risiko mit drei Plattformen viel kleiner wäre als mit einer. Darum sind und bleiben die Anforderungen an die Sicherheit sehr hoch.
In Interviews mit Parlamentarierinnen und Parlamentariern, die ich im Herbst 2023 anlässlich der Wahlen führte, hörte ich mehrfach den Vorwurf, der Bundesrat engagiere sich nicht stark genug für Digitalthemen und besitze hier zu wenig Expertise. Wie schätzen Sie das ein? Braucht der Bundesrat Digitalisierungsnachhilfe?
Digital- und Datenthemen haben in meinem Departement einen sehr hohen Stellenwert. Das Bundesamt für Statistik etwa ist mittlerweile ein eigentliches Datenamt mit grossen Kompetenzen im Bereich der Datenbewirtschaftung, Datenanalyse und Fragen der Digitalisierung. Generell kommt heute kein Departement, kein Amt um diese Themen herum. Dass der Bund bereit ist, hier viel zu investieren, zeigt das Programm Digisanté exemplarisch.
Im vergangenen Jahr wurden zum Teil eklatante Versäumnisse des Bundes in den Bereichen Cybersicherheit und Datenschutz publik – namentlich im Zusammenhang mit dem Cyberangriff auf das Unternehmen Xplain. Was muss passieren, dass sich dies nicht wiederholt? Und wie kann der Bundesrat dies unterstützen?
Der Fall Xplain hat unter anderem gezeigt, dass Weisungen und Richtlinien nicht nur von oben verordnet, sondern dass sie auch in der Praxis angewendet werden müssen. Ich denke, das ist ein wichtiger Befund, der uns für die Zukunft helfen wird, Sicherheitsmassnahmen effektiv durchzusetzen.
Sprechen wir noch über die digitale Schweiz als Ganzes. Die Schweiz wird regelmässig für ihre Innovationsfähigkeit gerühmt. Derweil aber dämpft der Fachkräftemangel den Enthusiasmus. Wen sehen Sie in der Pflicht, aktiv zu werden?
Dem Fachkräftemangel müssen viele Akteure, jeder auf seine Weise, begegnen. Der Bundesrat kann die Rahmenbedingungen für die Hochschulen, die Unternehmen und Arbeitskräfte attraktiv ausgestalten. In der Pflicht stehen aber auch die Unternehmen selbst, die Bildungsinstitutionen, die Kantone und so weiter.
Wir haben zu Beginn unseres Gesprächs zurückgeblickt. Blicken wir noch voraus: Welche Herausforderung im Bereich der Digitalisierung wird Sie im neuen Jahr 2025 besonders umtreiben?
Die laufenden Projekte, etwa das EPD und Digisanté, werden uns sicher weiter beschäftigen. Daneben gibt es auch im Bereich der Sozialversicherungen Handlungsbedarf. Es geht da unter anderem um Automatisierung von Prozessen bei der zentralen Ausgleichsstelle, aber auch darum, dass die AHV und die IV den Versicherten zeitgemässe digitale Dienstleistungen anbieten können. Digitalisierung bringt immer Veränderungen mit sich, was Ängste und Widerstände auslösen kann. Es wird deshalb eine Herausforderung sein, die Umsetzung zwischen allen Akteuren mit ihren verschiedenen Rollen zu koordinieren.
Welche digitalpolitischen Ziele wollen Sie in den nächsten Jahren Ihrer Amtszeit erreichen?
Ich möchte nicht ein einzelnes Projekt oder Ziel herausgreifen. Alle Projekte sind für sich genommen wichtig. Aber ich habe mir zum Ziel gesetzt, dass wir es schaffen, die Vorzüge der Digitalisierung besser zu nutzen und die gesamte Bevölkerung daran teilhaben zu lassen.
Was wünschen Sie sich persönlich in digitalpolitischer Hinsicht für die Schweiz?
Dass digitale Grundkompetenzen anerkannt werden, wie eine Sprache, die man lernt, um besser kommunizieren zu können. Dass wir Entscheidungen treffen, die den Schutz unserer Daten stärken und eine faire Verteilung des Wohlstands fördern. Dass wir in der Forschung unsere Stärken und Talente fördern und offen bleiben gegenüber der Welt.
Zur Person
Elisabeth Baume-Schneider (Jahrgang 1963) steht seit 2024 an der Spitze des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI). Im Herbst 2022 wurde sie als Nachfolgerin von Simonetta Sommaruga in den Bundesrat gewählt. Von 2019 bis 2022 vertrat die SP-Politikerin den Kanton Jura im Ständerat. Zu ihren weiteren politischen Stationen gehören der jurassische Regierungsrat und dessen Kantonsparlament. Beruflich leitete sie unter anderem die Hochschule für soziale Arbeit und Gesundheit (HETSL) in Lausanne, stand der Eidgenössischen Filmkommission vor und arbeitete als Sozialarbeiterin im Sozialdienst und sozialmedizinischen Dienst. Elisabeth Baume-Schneider hat ein Lizenziat in Sozialwissenschaften der Universität Neuenburg. Sie ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

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