Von der Schweizer Rentenanstalt zum Digital-Lab

"Wir sind keine Getriebenen der Digitalisierung"

Uhr | Aktualisiert
von George Sarpong

Swiss Life hat turbulente Jahre hinter sich: Digitalisierung, CIO-Wechsel, Umbau der IT-Abteilung. Weshalb Business und IT dadurch in symbiotische Nähe rückten, erklären Ivo Furrer, CEO Schweiz, und Beat Marbach, CIO von Swiss Life Schweiz.

(Quelle: Netzmedien)
(Quelle: Netzmedien)

Herr Marbach verantwortet seit Anfang dieses Jahres die IT-Abteilung der Swiss Life. Wie kam es zu seiner Ernennung?

Ivo Furrer: Sein Vorgänger, Peter Sany, arbeitete zuvor in Grossunternehmen wie die Deutsche Telekom. Swiss Life ist jedoch bedeutend kleiner und erfordert daher eine andere, operativere Arbeitsweise. Beat Marbach und ich arbeiten seit inzwischen sechs Jahren sehr gut zusammen. Deshalb habe ich mich entschieden, mit ihm unsere IT-Agenda umzusetzen und ihm die Leitung zu übertragen.

Wieso dann das einjährige Zwischenspiel mit Herrn Peter Sany als CIO?

Furrer: Die Zeit für diesen Schritt war damals noch nicht reif. Jetzt fühlen wir uns richtig aufgestellt.

Herr Marbach, was haben Sie seither anders gemacht als Ihr Vorgänger?

Beat Marbach: Wir haben die neue Ausrichtung der IT-Abteilung weiter vorangetrieben und uns über die IT Roadmap mit dem Business abgestimmt. Das ging nicht von heute auf morgen, sondern war ein Prozess, der bereits Ende letzten Jahres angestossen wurde. Ziel war es, von traditionellen Arbeits- und Entwicklungsverfahren wegzukommen. Über die Zeit haben wir gelernt, moderne Methoden wie Scrum und Agile Development nicht nur zu verstehen, sondern erfolgreich anzuwenden. Das ist eine wichtige Grundvoraussetzung, da wir viele neue Produktstarts planen und teilweise bereits umgesetzt haben.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Marbach: Wir haben seit Jahresbeginn für unsere Kunden ein neues Portal namens My World lanciert. In My World findet der Nutzer alle Inhalte zur ersten, zur zweiten und zur dritten Säule wie auch zu Krankenversicherung, Hypotheken und Immobilienfinanzierung. Das Interessante an unseren Lösungen ist, dass Kunden eigenständig ihre Situation und Bedürfnisse online abbilden und berechnen können – und das in Echtzeit. Unsere Kunden erhalten dadurch unmittelbar die gleichen Informationen, die ihnen auch eine einfachere persönliche Beratung liefern würde. Zusätzlich können sie ein einfaches Produkt ihrer Wahl auch gleich online erwerben. Aktuell stehen wir bei Release 3 von sieben geplanten Releases dieses Jahr. Wir haben also noch einiges vor.

Die Beratung wird also digitalisiert. Was halten Ihre Berater davon?

Furrer: Die persönliche Beratung wird im Vorsorgegeschäft immer sehr wichtig bleiben. Mit den digitalen Möglichkeiten verändert sich allerdings die Ausgangslage – für Kunden und Berater. Wir haben viele Mitarbeiter, die von den neuen Lösungen begeistert sind, da sie einen klaren Mehrwert für das Business bieten. Das sind Mitarbeiter, die sich auch fragen, was die Digitalisierung für sie und ihre Arbeit tun kann. Natürlich gibt es vereinzelt auch Berater, die wenig begeistert darüber sind, dass ihre Kunden durch unsere eigenen Online-Angebote sehr gut vorbereitet zu einem Verkaufsgespräch kommen. Dazwischen befindet sich jene Gruppe, die – aus verständlichen Gründen – Angst vor Veränderungen hat. Sie müssen wir von den Vorteilen der neuen technischen Möglichkeiten überzeugen. Das machen wir, indem wir Ihnen die Chancen aufzeigen. Sie können nun beispielsweise mit aufgeklärten Kunden auf Augenhöhe ein optimales Beratungsgespräch führen. Sie merken dadurch auch, dass sie nach wie vor gebraucht werden.

Was bedeutet die Digitalisierung für ihre Unternehmensführung? Weist nun die IT dem Business den Weg bei Swiss Life?

Furrer: Unsere neuen Anwendungen werden von den verantwortlichen Business-Kollegen in der Geschäftsleitung von der Konzeption bis zur Implementierung eng begleitet. Dadurch wird auch die Hierarchie in unserem Unternehmen klar: Die IT dient dem Business. Das heisst auch, dass das Business mit klaren Standards seine Anforderungen an die IT-Abteilung weitergeben muss. Das kann wiederum nur geschehen, wenn das Business klare Zielvorstellungen hat. Andererseits sind wir auf der Business-Seite auch darauf angewiesen, dass wir von der IT neue Ideen erhalten. Der IT obliegt also eine inhaltliche Führungsaufgabe, sie muss Antworten auf die Frage liefern: Was könnten wir noch wollen, wenn wir wüssten, was es alles noch gäbe? Ein Beispiel sind neue interaktive Werbemöglichkeiten. Wir könnten heute bereits über interaktive Lösungen mit potenziellen Kunden an Haltestellen in Kontakt treten, und das Gespräch würde am Abend genau dort weitergeführt, wo es zuvor aufgehört hat.

Vergleichbar der Lösung, die Graubünden-Tourismus kürzlich im Zürcher Hauptbahnhof durchführte?

Furrer: Genau, etwas ähnliches wäre auch für unser Geschäft denkbar.

Dann lassen Sie sich von der Digitalisierung mit all ihren neuen Möglichkeiten auch vorantreiben?

Furrer: Wir sind keine Getriebenen der Digitalisierung. Wir sehen sie als eine Chance, die wir nutzen. Denn wenn wir eine Idee nicht umsetzen, wird sie einer unserer Mitbewerber realisieren. Die technischen Mittel sind alle vorhanden. Für uns geht es darum, Leuchtturm zu sein statt Mitläufer. Wir wollen vorne mit dabei sein und neue Möglichkeiten aufzeigen, anstatt Lösungen nur abzukupfern.

Marbach: Es ist wie bei einer Symbiose. IT und Business hängen voneinander ab. Sie unterstützen und fordern sich gegenseitig heraus. Dadurch können wir uns gemeinsam weiterentwickeln.

Furrer: Parallel zum Transformationsprozess unserer IT-Abteilung entwickeln wir uns im Business vom reinen Lebensversicherer zum Anbieter von umfassenden Vorsorge- und Finanzlösungen. Das geht nur, wenn IT und Business wirklich eng zusammenarbeiten.

Welche Herausforderungen erzeugt die Digitalstrategie für ihre IT-Abteilung?

Furrer: Früher nutzten wir Wasserfall-Methoden und ähnliche Verfahren, die vor einigen Jahren Standard waren. Damit wären wir heute viel zu langsam und hätten unsere Projekte nie in der gewollten Geschwindigkeit umsetzen und am Markt lancieren können.

Marbach: Wir haben deshalb unsere Arbeitsmethoden umgestellt. Wie erwähnt arbeiten wir vermehrt mit Rapid Prototyping. Ausserdem entwickeln wir heute nicht mehr alles selber, insbesondere Funktionen und Inhalte, die heute per SaaS angebunden werden können. Dieses Orchestrieren von Systemen in Kombination mit zeitgemässen Entwicklungsmethoden erlaubt eine effektivere Umsetzung zu reellen Preisen und innerhalb kurzer Umsetzungszyklen. Dabei kombinieren wir bewusst auch die Möglichkeiten eines gezielten In- und Outsourcing, Stichwort Outtasking.

Sie haben IT-Leistungen ausgelagert. Das heisst, sie haben Stellen in der IT-Abteilung abgebaut.

Marbach: Wir haben unser IT-Team entlang der Neuausrichtung auf rund 300 Mitarbeitende verkleinert mit dem Ziel, flexibler und agiler zu werden. Wir haben aber nicht nur einfach Stellen reduziert, sondern uns massgeblich im Mindset und in der Arbeitsmethodik reformiert. Wir mussten uns von innen heraus neu ausrichten und von einer Hardware-orientierten Sichtweise auf eine Software-orientierte Arbeitsweise umschwenken. Dies hat dazu geführt, dass wir heute eine interdisziplinäre IT unterhalten, die nicht nur traditionelles IT-Know-how verinnerlicht hat. Auf dem Weg dorthin realisierten wir Pilotprojekte nach den neuen Methoden. Mit den Projekten haben wir bewiesen, dass die neuen Methoden Sinn machen. Dennoch konnten wir nur durch die Unterstützung der Geschäftsleitung die teilweise vorhandenen Widerstände lösen und den Wandel herbeiführen. Heute werden Applikationen nicht für Jahre entwickelt, sondern beispielsweise noch für 18 Monate, wobei die Daten für Jahrzehnte akkurat gehalten werden müssen.

Wie setzt sich das Team heute zusammen?

Marbach: 60 Prozent der Mitarbeiter stammen noch aus der Zeit vor der Restrukturierung, und 40 Prozent sind neu hinzugekommen. Wir arbeiten punktuell auch mit externen Mitarbeitern zusammen. Dabei steht die Wahl der richtigen Spezialisten im Zentrum, und nicht die anbietende Mittlerin. In die Rekrutierung investieren wir viel Zeit, denn wir wollten sichergehen, dass unsere Externen gut in das Team hineinpassen. Wir behandeln sie genauso wie unsere internen Mitarbeiter, weshalb sie beispielsweise auch an Team-Events teilnehmen. Durch die Integration ins Team konnten wir mitunter die Overall-Kosten senken.

Wie motivieren Sie Ihre Mitarbeiter?

Marbach: Wir wecken Ambitionen in ihnen. Wir zeigen ihnen Chancen auf. Bei uns können Entwickler ambitionierte Projekte wirklich umsetzen. Sie können eine bestimmte Idee nicht nur beschreiben, sondern konkret realisieren. Das motiviert letztlich mehr, als lediglich höhere Gehälter zu bezahlen. Vorausgesetzt natürlich, dass die Löhne bereits auf einem guten Niveau sind, was bei uns der Fall ist.

Furrer: Mitarbeitermotivation heisst auch, dass wir erreichte Ziele gemeinsam feiern. Das schafft ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl. Auf diese Weise können wir rasch neue Produkte auf den Markt bringen und neue Releases bestehender Produkte lancieren.

Lassen Sie uns einen Blick auf die Zukunft werden. Um auf neue Ideen zu kommen sind Sie in die USA gereist. Weshalb, wo doch die Schweiz als eines der innovativsten Länder dieses Planeten gilt?

Marbach: Die Schweiz ist ein Land mit hoher Innovationskraft. Dies steht ausser Frage. Aber man muss auch gelegentlich das eigene Umfeld bewusst verlassen und sich objektiv mit anderen Gedanken und Umsetzungskulturen vergleichen. Sehen, was andere aktuell umtreibt, in welchen Bereichen sie besser unterwegs sind und weshalb. Oder aus den Fehlern einfach lernen. Wir reisten deshalb in die Staaten, um uns mit dem Thema Innovation zu beschäftigen.

Mit dem Swiss Life Lab haben Sie nun ihre eigene Ideenschmiede ins Leben gerufen. Was hat es damit konkret auf sich?

Furrer: Das Swiss Life Lab ist wirklich ein Labor. Dort wird an Projekten getüftelt, die eines Tages zu neuen Versicherungsprodukten oder Services führen können. Oder auch nicht. In zwei Jahren werden wir Bilanz ziehen und uns anschauen, ob sich das Projekt gelohnt hat. Es sind aber keine verbindlichen Ziele definiert worden. Auch das gehört zur neuen Arbeitsweise der heutigen Swiss Life. Unser Swiss Life Lab hätten wir vor fünf Jahren wohl noch nicht so realisieren können.

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3536

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