Focus: AI & Automation

Wie Unternehmen KI wirklich gewinnbringend einführen können

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In allen Branchen und Firmen experimentiert man mit künstlicher Intelligenz – doch längst nicht überall steigert KI die ­Produktivität. Miriam Dachsel, Managing Director und Leiterin Strategie- und Managementberatung bei Accenture Schweiz, sagt, was es für eine erfolgreiche KI-Einführung braucht und wie sich die Rolle der Angestellten dadurch verändert.

Miriam Dachsel, Managing Director und ­Leiterin Strategie- und Management­beratung, Accenture Schweiz. (Source: zVg)
Miriam Dachsel, Managing Director und ­Leiterin Strategie- und Management­beratung, Accenture Schweiz. (Source: zVg)

Wie viel künstliche Intelligenz nutzen Sie aktuell in Ihrem ­Arbeitsalltag?

Miriam Dachsel: KI ist mittlerweile ein integraler Bestandteil unserer täglichen Arbeit bei Accenture. Das reicht von intelligenten Assistenten für Meeting-Zusammenfassungen bis hin zu komplexen Analysetools für Kundenprojekte. Wir bei Accenture operieren nach dem "Dogfooding"-Prinzip: Wir setzen intern die gleichen KI-Technologien ein, die wir auch unseren Kunden empfehlen, um Wirksamkeit und Praxistauglichkeit zu beweisen. Besonders im Bereich der Datenanalyse, des Ressourcenmanagements und in kreativen Prozessen hat KI unsere Effizienz signifikant gesteigert.

Laut mehreren Accenture-Studien möchten Angestellte eigentlich gerne künstliche Intelligenz am Arbeitsplatz nutzen. Allerdings mangelt es bei vielen Unternehmen an entsprechenden Schulungen. Wie können Unternehmen diese Diskrepanz konkret beheben?

Um diese Diskrepanz zu beheben, ist eine kombinierte Strategie in der Regel am erfolgreichsten. Das bedeutet, dass strukturierte Schulungsprogramme mit sofort anwendbaren Praxisbeispielen durch "Learning by Doing" in geschützten Experimentierräumen ergänzt werden sollten. Zudem schaffen Mentorenprogramme zwischen KI-erfahrenen und -unerfahrenen Mitarbeitenden Vertrauen und fördern den Wissenstransfer besser als reine Top-down-Schulungsansätze, beispielsweise durch den Austausch von Prompting Best Practices oder die Empfehlung von KI-Tools für bestimmte Tätigkeiten. Wichtig ist, dass erfolgreiche Unternehmen einen konkreten "KI-Fahrplan" mit messbaren Zielen und einem dedizierten Budget für kontinuierliche Weiterbildungen haben und nicht nur für einmalige Schulungen.

Bei vielen der befragten Angestellten gesellt sich Angst zum ­Enthusiasmus. Sie fürchten, wegen KI dereinst ihren Job zu verlieren. Bei welchen Angestellten halten Sie diese Befürchtung für gerechtfertigt?

Ich verstehe die Bedenken von Mitarbeitenden, die Routinetätigkeiten mit klaren Regeln und vorhersehbaren Prozessen ausführen, etwa Datenerfassung, einfache Sachbearbeitung oder standardisierte Kundenbetreuung. Aber die Erfahrung zeigt: Es verschwinden weniger ganze Berufe, sondern einzelne Tätigkeiten innerhalb von Berufsbildern. Das schafft Raum für komplexere Aufgaben. Daher ist es wichtig, dass Unternehmen in Mitarbeiter-Re-Skilling investieren, anstatt bloss neue KI-Talente zu re­krutieren. Das produktivste Zukunftsszenario sehen wir in der Zusammenarbeit zwischen Menschen und KI, nicht in der reinen Ersetzung.

Unzufriedene Stimmen zur KI-Einführung hörte ich unlängst aus einer Übersetzungsagentur. Das Team beklagte, man werde zunehmend zu "KI-Korrektoren" degradiert, anstatt selbst Texte zu übersetzen – dies zehre an der Motivation. Was raten Sie Unternehmen oder Mitarbeitenden, die so empfinden?

Die Rollenverschiebung sollte aktiv thematisiert werden. Der Mensch bleibt in jedem Fall Experte, denn erfolgreiche Transformationen bringen auf unterschiedlichste Weisen neue Wertschöpfungsmöglichkeiten mit sich. (Neue) Mitarbeitende sollten nicht als "Korrektoren" von KI-Output, sondern vielmehr für die strategische Qualitätssicherung und Weiterentwicklung eingesetzt werden. Wichtig ist, Mitarbeitenden mehr Gestaltungsspielraum bei der KI-Integration zu geben – wer das "Wie" mitgestalten kann, entwickelt weniger Widerstand gegen das "Was".

In der Führungsetage dagegen regieren Optimismus und die Hoffnung auf generative KI als Mittel zu einer beachtlichen Gewinnsteigerung. Wie realistisch ist diese Sichtweise?

Accenture-Studien zeigen: Signifikante Produktivitätssteigerungen sind realistisch, aber nur, wenn KI gezielt eingesetzt wird und nicht flächendeckend ohne Strategie. Tatsächlich hat generative KI das Potenzial, die Produktivität in allen Branchen um zweistellige Prozentzahlen zu steigern, wobei der Finanzsektor hier die Nase vorn hat. Die grössten Gewinne entstehen nicht durch Kosteneinsparungen, sondern durch neue Geschäftsmodelle und verbesserte Kundenerfahrungen. Die "Readiness" der Organisation – technologisch, prozessual, kulturell – ist entscheidend. Ohne diese drei Faktoren sind Gewinne unwahrscheinlich.

In der entsprechenden Studie hält Accenture fest, dass KI nur dann die erhoffte Gewinnsteigerung einbringen kann, wenn Unternehmen sie menschenzentriert einführen. Was heisst das genau? Oder anders gefragt: Wie sollten Unternehmen KI-Systeme "eben nicht" einführen?

Eine menschenzentrierte Einführung bedeutet, dass die Mitarbeitenden von Anfang an in den Prozess einbezogen werden und die Möglichkeit haben, die KI-Systeme mitzugestalten. Häufige Fehler sind die Top-down-Implementierung ohne Einbindung der Anwenderinnen und Anwender, unrealistische Erwartungen an sofortigen ROI und mangelnde Integration in bestehende Workflows. Besonders problematisch sind "Blackbox"-Implementierungen, bei denen Mitarbeitende die KI-Entscheidungen weder verstehen noch beeinflussen können. Es ist wichtig, dass Unternehmen eine transparente und partizipative KI-Implementierung sicherstellen, die die Bedürfnisse und Erwartungen der Mitarbeitenden berücksichtigt. Nur so kann das volle Potenzial von KI ausgeschöpft werden, ohne die Mitarbeitenden zu überfordern oder zu demotivieren.

In der Studie nennt Accenture noch eine weitere Herausforderung, die Unternehmen bei der Einführung generativer künstlicher Intelligenz bewältigen müssen: die Skalierung. Warum tun sich Schweizer Unternehmen damit so schwer?

Schweizer Unternehmen haben oft hochspezialisierte Prozesse mit hohem Qualitätsanspruch. Die Integration von KI in diese Präzisionssysteme erfordert besondere Sorgfalt. Zudem erschwert die dezentrale Struktur vieler Schweizer Unternehmen die einheitliche Skalierung, beispielsweise durch Abteilungssilos und unterschiedliche technische Voraussetzungen. Nicht zuletzt spielt in der Schweiz regulatorische Vorsicht eine grosse Rolle; Datenschutz, Compliance und Verantwortungsfragen werden hier besonders kritisch betrachtet.

Im Zusammenhang mit der Skalierung kommt oft die Datenstrategie ins Spiel. Wo können Schweizer KMUs ansetzen, um in puncto Daten fit für KI zu werden?

Eine solide Datenstrategie ist die Grundlage für eine erfolgreiche KI-Implementierung. Startpunkt sollte eine Datenbestandsaufnahme sein: Welche Daten existieren? In welcher Qualität? Wer ist verantwortlich für die Daten? KMUs profitieren oft von thematisch begrenzten, aber hochwertigen Datenpools für spezifische Anwendungsfälle. Branchenspezifische Kooperationen zur gemeinsamen Datennutzung können für KMUs die kritische Masse an Trainingsdaten liefern, die allein schwer zu erreichen wäre. Es ist wichtig, dass KMUs ihre Datenstrategie so ausrichten, dass sie die spezifischen Anforderungen ihrer KI-Anwendungen erfüllen und gleichzeitig die regulatorischen Vorgaben einhalten.

Mit autonomen KI-Agenten steht die vermeintlich nächste Stufe des KI-Arbeitsplatzes schon in den Startlöchern. Wer hat in der Schweiz, Ihrer Erfahrung nach, die Nase bei deren Einführung vorn?

In der Schweiz gibt es einige Branchen, die bei der Einführung autonomer KI-Agenten eine Vorreiterrolle einnehmen. Die Schweizer Finanz- und Versicherungsbranche ist etwa in den Bereichen Compliance-Monitoring und Betrugsbekämpfung mit autonomen Überwachungssystemen sehr aktiv. Auch Pharma und Life Sciences setzen zunehmend auf autonome Agenten in der Forschung, die 24/7-Hypothesen testen und Ergebnisse analysieren können. Meiner Einschätzung nach haben diese Branchen gute Voraussetzungen durch hohe Datenverfügbarkeit, klare Regelsysteme für Agenten und einen hohen wirtschaftlichen Anreiz für Automatisierung. Es bleibt spannend zu beobachten, wie sich diese Entwicklung in Zukunft gestalten wird.

Über den möglichen Gewinn durch KI haben wir schon geredet – sprechen wir zum Schluss noch über den Aufwand. Dass jede ­KI-Abfrage etwas kostet, dürfte uns allen klar sein. Aber wie kann und soll ein Schweizer KMU berechnen, welche Kosten bei Implementierung und Betrieb einer KI-Lösung anfallen?

Zuerst sollte geprüft werden, ob KI wirklich die sinnvollste und effizienteste Lösung ist. Bei der Kostenrechnung sollten direkte Technologiekosten, Datenbereinigung und -management, Schulung/Change Management, Integration in bestehende Systeme und kontinuierliche Anpassung/Weiterentwicklung berücksichtigt werden. Meine Empfehlung ist, mit einem "Minimum Viable AI" zu starten und schrittweise zu skalieren, basierend auf messbarem ROI. So lassen sich Kosten kontrollieren und der Wertbeitrag frühzeitig validieren.

 

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