Das Stethoskop

Die kollektive Verantwortungslosigkeit

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von Jürg Lindenmann, Geschäftsführer, Health-IT

Die Voraussetzungen für die Digitalisierung wären eigentlich gegeben. Wir verfügen über die Technologien des 21. Jahrhunderts, haben die nötigen finanziellen Mittel, kluge Köpfe, digital zumeist "fitte" Gesundheitsinstitutionen und eine in der Anwendung von Apps geübte Bevölkerung. Warum nur schaffen wir es nicht, die Digitalisierung des Gesundheitswesens auf nationaler Ebene zu befördern?

Jürg Lindenmann, Geschäftsführer, Health-IT. (Source: zVg)
Jürg Lindenmann, Geschäftsführer, Health-IT. (Source: zVg)

Wenn man sich die konkreten Umsetzungen anhand des EPD-Portals für Bürger und Gesundheitsfachpersonen anschaut, fühlt man sich in die Anfänge der IT in den 70er-Jahren zurückversetzt oder glaubt, zumindest die Semesterarbeit eines Studenten der Wirtschaftsinformatik im zweiten Semester vor sich zu haben.

Naht die Rettung?

Das Parlament hat’s nicht so gemeint, das BAG hat’s gut gemeint und die Kantone meinen, das sei eh Sache des Bundes. Das EPD ist das wohl prominenteste Beispiel dafür, woran es bei der Digitalisierung im Gesundheitswesen der Schweiz hapert. Niemand fühlt sich so richtig verantwortlich, was sich an den aktuellen zumeist von eigenen Interessen geleiteten Aktionen verschiedenster Akteure zusätzlich akzentuiert.

Lobbyisten wollen ihre Pfründe sichern, Politiker machen Vorstösse, das BAG baut Stellen auf und produziert Berichte (bzw. lässt produzieren), die besagen, dass alles nicht so schlimm sei und es nur genug Zeit braucht, bis sich dann mit dem EPD X.0 alles von allein geradebiegt (it’s magic!). Die kantonalen Gesundheitsdepartemente schrecken die Pflegeheime mit scharfen ­Schreiben, und die grösste Stammgemeinschaft ruft nach Hilfe und Solidarität. Die üblichen politischen Verbände bilden breite Allianzen zur Rettung des EPD, deren Exponenten sich, weit weg von der Praxis, wahrscheinlich innert vernünftiger Zeit nicht darauf einigen können, was denn die Digitalisierung des Gesundheitswesens nun praktisch genau bedeuten soll.

Dieser ziellose Aktivismus gemahnt an den Versuch von Münchhausen, sich selbst am Schopf aus dem Sumpf zu ziehen und verlängert damit letztlich das Elend in kollektiver Verantwortungslosigkeit.

Eine Katharsis ist nötig

Nötig wäre, dass wir uns schonungslos eingestehen, warum wir immer noch dort stehen, wo wir sind.

In der Organisationslehre lernt man, dass nur die gleichzeitige Allokation von Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung an derselben Stelle zum Erfolg führt (AKV). Bezüglich Digitalisierung des Gesundheitswesens sind die Aufgaben auf Bund, Kantone, Gesundheitsinstitutionen und Lösungsanbieter verteilt. Die Kompetenzen sind verzettelt oder nicht fachkompetentem Personal zugeordnet. Die Verantwortung ist nirgendwo eindeutig zugeteilt, sodass die Akteure sie sich vor allem bei Misserfolg gegenseitig zuschieben, beziehungsweise von sich weisen können.

Es braucht keine weiteren Strategien, Evaluationsberichte, Studien, Arbeitsgruppen, Gremien und Experten-Organisationen, sondern eine klare Zuordnung der Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortung. Dies könnte etwa eine industrielle Arbeitsgemeinschaft von erfahrenen "E-Health"-Unternehmen sein, die vom Bundesrat im Rahmen eines Wettbewerbs direkt beauftragt wird und bezüglich Terminen, Lieferobjekten, Qualität und Finanzen in der Verantwortung steht. Das immer wieder zitierte Beispiel der Neat hat gezeigt, dass das funktioniert.

Prognose

Es ist zu befürchten, dass der Digitalisierung des Gesundheitswesens in der Schweiz dasselbe blüht wie anderen im Gesundheitswesen anstehenden dringenden Reformen. Solange keine Anreize bestehen, Verantwortung für das Ganze zu übernehmen und immer noch genügend finanzielle Mittel für die Bewirtschaftung von Ineffizienz vorhanden sind, werden sich die Akteure weiter im Kreise drehen und uns das EPD als Ruine mit Goldrahmen als Mahnmal dienen.

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