Editorial

Die wilden Jahre der KI

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Yannick Züllig, Redaktor. (Source: Netzmedien)
Yannick Züllig, Redaktor. (Source: Netzmedien)

Valentinstag. Der Tag der Liebenden beschert uns dieses Jahr auch eine neue Ausgabe der Netzwoche, die Sie nun in den Händen halten. Zu solchen "Feiertagen" lohnt es sich immer, kurz innezuhalten und eine Bestandsaufnahme zu machen. Hat man seinen Lebenspartner schon gefunden? Hat man vielleicht die Person gefunden, die einmal dieser Partner werden könnte? Ist man schlicht zufrieden allein mit sich selbst? Oder befindet man sich gerade in einer wilden Phase, in der man sich mit allem und jedem einlässt?

Eine solche wilde Phase durchlebt gerade die künstliche Intelligenz. Kein Produkt und keine Dienstleistung scheint mehr ohne den Vermerk "KI-gestützt" auszukommen. KI-Sesselbahn, KI-Grill, KI-Phishing, KI-DJanes sind nur einige der KI-Kuriositäten, über die wir schon berichtet haben. Künstliche Intelligenz hat zweifellos das Potenzial, viele Lebensbereiche grundlegend zu verändern. Doch nicht alles, was sein kann, muss auch sein.

So flatterte etwa vor einigen Tagen eine Pressemitteilung in mein Postfach, Betreff: "Super Bowl 2024: Diese Mannschaft hat die heissesten Spieler!"

Da ich weder Sport- noch Trashjournalismus betreibe, interessiert mich sowas eigentlich gar nicht. Aber eine Zeile in der Mitteilung weckte mein Interesse: Entstanden sei die Liste durch einen "KI-basierten Attraktivitätstest". Also schaue ich mir das Ganze doch einmal genauer an. Welche Kriterien die KI benutzt haben soll, um die Attraktivität zu messen, bleibt offen. Jedenfalls habe der Algorithmus je drei Bilder der Spieler gezeigt bekommen und ihnen einen Wert von 1 bis 10 vergeben. Das Bewerten der physischen Attraktivität von Sportlern gehört nicht zu meinen Stärken, doch glücklicherweise habe ich Kolleginnen, die sich darauf spezialisiert haben. Ihr Feedback zur KI-Liste fällt verheerend aus. Von den Top 10 erhält nur ein Spieler ein positives Feedback, während Athleten auf den 60er- und 80er-Listenplätzen deutlich weiter vorne platziert werden.

Haben wir es hier mit einer KI zu tun, die so menschenähnlich geworden ist, dass sie selbst eine Vorstellung entwickelt hat, was sie attraktiv findet? Oder handelt es sich schlicht um einen Use Case, für den KI gänzlich ungeeignet ist und der nur den Hype um das Thema aufgreift? Wahrscheinlich ­letzteres. 

Doch auch bei seriösen Unterfangen gilt: Die KI steckt noch mitten in ihren wilden Jahren. Man probiert alles aus, was möglich ist – und weit mehr als das, was man für richtig halten könnte. 

Mit neuen Technologien verhält es sich wie beim Dating: Anfangs ist alles neu und spannend, doch mit der Zeit beginnt man, die kleinen Macken zu sehen, die im schlimmsten Fall die Beziehung zerstören. Was dann aus den ganzen KI-gestützten Produkten und Dienstleistungen wird, bleibt abzuwarten. Dem Menschen hingegen ist in solchen Fällen schnell geholfen – ironischerweise durch KI. Wer in der realen Welt nicht den passenden Deckel für sein Töpfchen findet, der kann sich einen virtuellen, KI-gestützten Partner suchen. Angebote gibt es reichlich.

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