Mit Roland Kühne, Leiter Services und IT bei Ringier

"Ich sehe mich selbst als provokatives Vorbild"

Uhr | Aktualisiert

Roland Kühne bezeichnet sich selbst nicht gerne als CIO. Der Leiter Services und IT bei Ringier erzählt, was die Arbeit in einem Medienunternehmen ausmacht und wie die Mitarbeiter auf den Wechsel in die Cloud von Google reagiert haben.

Herr Kühne, wie fühlt man sich als CIO in einem Medienunternehmen?

Meine Bezeichnung lautet korrekterweise Leiter Services und IT. Zudem bezeichne ich mich selbst nicht wirklich gerne als CIO, da dieser Begriff für mich zu eindimensional wirkt.

Was meinen Sie damit?

Die IT-Welt ist sehr technologiegetrieben, muss sie ja auch sein. Basieren aber IT-Entscheidungen auf ideologischen Grundlagen, was leider in der Branche zu oft der Fall ist, ist das für mich in der heutigen Zeit zu eindimensional. Wenn ein CIO beispielsweise seine Strategie auf eine bestimmte Technologie ausrichtet und diese dann aufgrund von Markt- oder Unternehmensentwicklungen ändern muss, brechen kleine Glaubenswelten oft schlagartig zusammen.

Dann ist IT für Sie keine Glaubensfrage?

Nein, nicht wirklich. Die Entscheidungen zu technologischen Fragestellungen bedeuten für mich beispielsweise nicht per se, dass man diese bis ins letzte Detail selbst beherrschen muss, oder dass es hier nur 0 und 1 oder richtig und falsch gibt. Die IT-Welt steht hingegen immer mehr für Skills wie eine rasche Auffassungsgabe und logisches, strukturiertes Denken. Dazu gehört auch, unternehmerische Flexibilität zu entwickeln und im Alltag leben zu können.

Wie sieht denn Ihr Ansatz aus?

Ich bin froh, die beiden Services-Bereiche, also die zentralen Prozesse und die IT, unter mir zu haben. Prozesse und Technik sind im Medienalltag nicht mehr zu trennen, wodurch auch Projekte nicht nur aus rein technologischer Sicht bewertet, implementiert und betrieben werden können. Umgekehrt ist ein Prozess ohne Technologie fast nicht mehr denkbar. Das ist zwar allen klar, aber im täglichen Leben fehlt diese konsequente Gesamtsicht oft. Das ist meine tägliche Herausforderung. Ich habe dadurch, dass mir beide Abteilungen unterstellt sind, die Möglichkeit, sie integrativer zu steuern. Das hat eine andere Strahlwirkung auf meine Führungsmannschaft, als wenn mir nur die IT unterstellt wäre.

Können Sie den Services-Bereich noch etwas näher erläutern?

Services sind bei uns die zentralen Prozesse für Segmente wie zum Beispiel der Lesermarkt-, der Redaktions- oder der Werbemarktservice. Alles, was für die einzelnen Publikationen zentral abläuft, ist in einer Serviceeinheit zusammengefasst. Es sind also prozessuale Services, die für Kernprodukte zuständig sind und diese bedienen. Nicht dazu gehören administrative Shared Services wie beispielsweise Finanzen oder HR.

Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit bei Ringier?

Aus der Sicht der Prozessfachleute ist die IT eine Blackbox. Umgekehrt sind für die IT-Leute die Kernprozesse eine Blackbox. Dadurch trifft dann Blackbox auf Blackbox und jeder denkt, die andere Seite erkennt die Zusammenhänge als Ganzes. Ich muss deshalb beide Seiten dazu bringen, dass sie Vertrauen zueinander aufbauen, sich miteinander austauschen und Ehrlichkeit sich selbst gegenüber entwickeln, sodass eine integrative Gesamtsicht entstehen kann.

Das klingt fast, als wären Sie als eine Art Vermittler zwischen den zwei Fronten?

(Überlegt). Ich bin in erster Linie wahrscheinlich eher ein Provokateur, denn ein Vermittler. Mir persönlich ist es egal, welche Technologie wir einsetzen. Dadurch provoziere ich, dass die Mitarbeiter aus dem IT- und dem Prozessbereich ihre Haltung im Sinne einer ganzheitlichen Sicht hinterfragen. In zweiter Linie darf ich ein Vorbild sein. Ich muss selbst sagen können: "Das weiss ich nicht – aber das muss ich auch nicht wissen. Wenn wir dieses Problem lösen wollen, arbeiten wir es gemeinsam auf." Insofern bin ich vielleicht einfach ein provokatives Vorbild. Fronten sehe ich eher mit Blick auf den Markt und damit auf die Mitbewerber.

Kommt das gut an?

Nicht immer (lacht).

Das scheint Ihnen keine grossen Sorgen zu bereiten.

Doch, das tut es manchmal schon.

Inwiefern?

Wenn ich mit meinem Stil oder meinen Paradigmen keine Bewegung erzielen kann. Wenn ich bei den Dossiers und Mitarbeitern keine Entwicklung sehe, wobei Tempo nur bedingt wichtig ist. Das bereitet mir manchmal schon Sorgen, weil ich mich frage, was ich anders machen kann.

Und wie gehen Sie dann vor?

Das ist von meiner Tagesform und auch der Situation abhängig. Mein bester Trick ist, die Aufgabe zwei, drei Tage auf die Seite zu legen, sodass sich ein Gefühl für ein Instrument oder ein Vorgehen bei mir etablieren kann. Lasse ich das nicht zu, laufe ich Gefahr, die Aufgabe "kaputt" zu denken und damit zu "technokratisch" zu funktionieren.

Kommunikation scheint in Ihrem Job sehr wichtig zu sein.

Ich würde sagen, im operativen Geschäft sind 80 Prozent aller Dinge, die bei mir auf dem Tisch landen, rein kommunikativer Natur. Also Kommunikationsprobleme zwischen Menschen, Hierarchien oder Organisationseinheiten. Dies liegt daran, dass technisch versierte Personen Empathie nur selten zu ihren Stärken zählen können. Hauptsächlich bin ich jedoch für die strategischen und konzeptionellen Dinge zuständig, die neben der Denkarbeit auch immer viel Kommunikation beinhalten. Damit sehe ich mich weniger in einer IT-, sondern eher in einer klassischen Führungsaufgabe.

Was ist das Typische an der Arbeit bei Ringier?

Eigentlich sind wir ein relativ chaotischer Betrieb. Das ist nicht wertend gemeint und hat zudem zahlreiche positive Wirkungen. Hierarchien haben bei uns nicht die übliche Bedeutung und wir pflegen innerhalb des Hauses verschiedene Mikrokulturen.

Waren Sie schon immer in der Medienbranche tätig?

Nein, ich bin seit gut elf Jahren bei Ringier und hatte während dieser Zeit verschiedene Aufgaben. Vorher war ich in der Autoindustrie tätig.

Von der Autoindustrie in die Medienbranche? Das klingt nach einem Sprung ins kalte Wasser.

Ich meine, jeder Jobwechsel ist doch ein Sprung ins kalte Wasser. Bei der Medienbranche ist es einfach wichtig, dass man sich an ihre Besonderheiten gewöhnt. Ist man davon fasziniert, kommt man fast nicht mehr davon los. Möchte man lieber klare, hierarchische Strukturen und dicke Handbücher als Grundlage für seine Arbeit, kommt man hier nicht klar.

Was zeichnet die Medienbranche aus?

Sie ist eine enorm kreative Branche. Eine Tageszeitung muss sich innerhalb eines Tages immer wieder neu erfinden, was den Alltag prägt. Vieles ist gar nicht so linear planbar, wie es in einem Industriebetrieb der Fall wäre. Die Medienbranche ist koordiniert chaotisch. Hier kann man nicht immer hundertprozentige Qualität sicherstellen, und wenn etwas schiefläuft, muss es immer sehr, sehr schnell gehen.

Und bei Ringier im Speziellen?

Wir sind nicht die Bestorganisiertesten und die Beststrukturiertesten, aber die Mitarbeiter sind mit sehr viel Herzblut dabei. Wenn wir jemanden morgens um 3 Uhr brauchen, finden wir immer kurzfristig sehr einsatzwillige Ressourcen.

Wie steht Ringier zur Cloud?

Gut, sogar sehr gut. Wir haben als eines der ersten Unternehmen auf Google Apps migriert, dies weltweit mit all unseren Firmen, also mit gut 8000 Arbeitsplätzen.

Warum Google und nicht Microsoft?

Microsoft konnte uns damals die Cloud-Services noch nicht anbieten. Deshalb haben wir uns für die Cloud von Google entschieden.

Und was sind die Vorteile der Cloud?

Nun, da wir auch international tätig sind, ist es natürlich sehr praktisch, weltweit per Knopfdruck ein System in allen länderspezifischen Sprachen zu haben. Zudem haben wir beispielsweise von über 20 verschiedenen Mailsystemen auf dieses eine System umgestellt. Damit verbunden ist ein enormer Kostenvorteil. Auch aus der Optik der IT-Governance vereinfacht es vieles, und zudem ist Ringier ein innovatives Unternehmen, also passt das perfekt zu uns.

Und die Nachteile der Cloud?

Das Release-Management ist für Nutzer und die IT neuen Paradigmen unterworfen. Da kann es schon mal vorkommen, dass ohne Vorankündigung nach der Aktualisierung des Browser- Inhaltes das GUI auf einmal neu aussieht.

Wie haben die Mitarbeiter auf die Umstellung reagiert? Waren alle glücklich darüber?

Nein, klar nicht. Neben dem Umgang mit Browser-Applikationen mussten die Nutzer durch den Technologiewechsel vor allem alte Gewohnheiten über Bord werfen und ihre Arbeitsweise neu erfinden. Das verursacht neben dem Cloud-Aspekt bei den involvierten Personen für eine bestimmte Zeit immer ein Unbehagen. Ich selbst musste mich während meines Lernprozesses fünfmal neu erfinden und meine Arbeitsweise adaptieren – heute will ich auf keinen Fall zurück.

Stellen Sie für Ihre Niederlassungen im Ausland eine zentrale Infrastruktur zur Verfügung?

Es gibt einige Corporate-Systeme, die wir vom Headquarter aus fürs Ausland zur Verfügung stellen, zum Beispiel SAP-ERP oder auch die Google-Apps. Dies geht ja wiederum sehr einfach, da es sich in der Cloud befindet. Andere Komponenten wie zum Beispiel ein Vertriebssystem werden landesspezifisch aufgesetzt, da die Marktverhältnisse in diesen Ländern zu unterschiedlich sind.

Ringier ist ja auch in China tätig und China reguliert die Presse und das Internet sehr stark. Wie wirkt sich das auf das Unternehmen aus?

Ein Beispiel: Wenn die chinesische Regierung am Tag XY Google für zwei Stunden kappt, liest bei unseren chinesischen Mitarbeitern niemand mehr seine Mails.

Kommt das öfters vor?

Es gibt jeden Tag kleinere Unterbrechungen, von denen wir nicht genau wissen, ob sie auf Regularien oder auf die Infrastruktur zurückzuführen sind. Diesen Unterschied herauszufinden, ist enorm schwierig.

Wenn wir schon beim Internet sind: Wie wichtig ist eigentlich der Onlinebereich für Ringier?

Online ist aus unserem Haus nicht mehr wegzudenken. Dieser Bereich trägt bei den klassischen Medien-Brands auch sehr viel zum Print bei, weil er die Leute quasi zum Print überleitet. Zudem hat heutzutage jeder sein Smartphone, mit dem er eine App nutzt und News liest. Vielleicht hält jemand am Morgen zum Kaffee lieber eine Zeitung in der Hand und checkt dafür später im Büro die News online. Daher hängt das Onlineverhalten unter anderem von der Tageszeit ab. Fest steht: Unsere Onlinenutzerzahlen nehmen von Jahr zu Jahr zu.

Gibt es Messungen, wie viele dieser Nutzerzahlen rein durch mobile Geräte generiert werden?

Wir haben versucht, dies zu messen, aber es ist nicht sehr trivial. Wir können das Mobilsein als Zustand oder Verhalten nicht eindeutig trennen. Android-Notebooks beispielsweise gaukeln quasi Mobile-Zahlen vor, obwohl sie teilweise stationär genutzt werden. Wenn jemand mit dem Tablet abends am Wohnzimmertisch sitzt, ist das dann mobil oder stationär? Das Gleiche gilt, wenn ich am Arbeitstisch sitze und über eine Bluetooth-Tastatur mit dem iPad arbeite.

Welche neuen IT-Projekte haben Sie bei Ringier?

Das kann ich nicht so pauschal beantworten. Das Problem ist, dass die IT in sehr viele Projekte eingebunden ist. Ich bekomme beispielsweise schon sehr früh mit, was in ein paar Monaten oder in einem Jahr aktuell sein wird. Die Projekte, die jetzt ausgerollt werden, sind für mich daher schon fast wieder veraltet. Und über die neu geplanten darf ich nicht unbedingt sprechen.

Können Sie trotzdem ein aktuelles IT-Projekt nennen?

Wir haben uns letzten Herbst für eine hybride Strategie entschieden. Das heisst, wir wollen rollend ganz normale Windows-Geräte, Macs und auch virtuelle Clients in unserem Haus etablieren. Das entspricht im Prinzip zwar nicht dem Branchentrend, stellt aber unsere Agilität als Medienunternehmen optimal sicher.

War das Ihre Entscheidung?

Nicht nur. Meine Aufgabe verstehe ich darin, zusammen mit meinen Mitarbeitern die erforderlichen Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten, eine Empfehlung auszusprechen und im Anschluss den Entscheid meiner Geschäftsleitungskollegen umzusetzen. Ich finde es wichtig, dass die Geschäftsleitung diese Entscheide mitentwickelt und mitträgt. Der Spruch‚ «die IT wollte das halt so» sollte bei uns möglichst selten zu hören sein. Dadurch haben wir viel weniger Diskussionsaufwand in der Umsetzung und können dank der Unterstützung des Top-Kaders die Businesspläne zielgenauer realisieren.

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