Gastartikel: Collaboration

Was Unternehmen von Onlinespielen lernen können

Uhr | Aktualisiert
von Benjamin Hörner, Matthias Gehrig

Ein Team, das an einem Strang zieht, effektiv zusammenarbeitet und damit erfolgreich Projekte umsetzt – das wünscht sich jedes Unternehmen. Wie Teamwork erfolgreich funktionieren kann, zeigt ein Blick in die Welt der Onlinespiele.

Anmerkung der Redaktion: Die Autoren dieses Artikels, Benjamin Hörner und Matthias Gehrig, sind Senior Consultants bei Namics. Der Gastartikel ist in Printausgabe 7/12 erschienen.

Es ist eine Art Siegesformel: Effektiver Wissensaustausch + richtige Kommunikation + gutes Teamwork = grösserer Erfolg. Jedes Unternehmen, das heute eine Kollaborationsplattform mit diesem Ziel initiiert, wünscht sich, den Know-how-Transfer zwischen den Mitarbeitern zu erleichtern und zur abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit anzuregen. Das Ziel: schnellere Problemlösung, innovativere Produkte und allgemein eine höhere Qualität.

Doch häufig ist es für die Unternehmen problematisch, die Technologien erfolgreich einzuführen. Nicht selten geht die Siegesformel nicht auf. Die Ziele werden nicht erreicht. Das liegt oftmals daran, dass die Beteiligung der Mitarbeiter zu gering und die Benutzerakzeptanz unzureichend ist. Die Gründe hierfür sind vielfältig und in seltenen Fällen in der Wahl des Tools begründet. Stattdessen sind die Motivation der Mitarbeitenden sowie die kulturellen Rahmenbedingungen zu hinterfragen.

Szenarien und Hürden des Teamworks

Zusammenarbeit im Unternehmen findet in unterschiedlichen Formen statt. Mitarbeiter arbeiten in Projekten und Teams zusammen, schliessen sich Interessengruppen an oder tauschen sich in informellen Netzwerken aus. Für jedes Szenario gilt: Zusammenarbeit und Austausch funktionieren dann gut, wenn Menschen für ein gemeinsames Ziel arbeiten, das ihren eigenen Zielen entspricht und wenn ihnen die Arbeit Selbstbestätigung gibt.

Und dort erscheinen bereits die ersten Hürden. Häufig genug hört die Zusammenarbeit an den Abteilungsgrenzen auf. Sie wird gestört durch "Gärtchendenken" beziehungsweise durch das "Not-invented here"-Phänomen, nach dem nur Lösungen genutzt werden, die auch selbst entwickelt wurden. Dies macht es schwierig, zum Beispiel Best Practices im Unternehmen zu verbreiten und anzuwenden. Der zweite Störfaktor ist das "Horten" von Informationen. Verfügt eine Person allein über eine gewisse Information oder Kompetenz, kann sie besonderen Einfluss üben und Anerkennung erlangen – hindert aber Kollegen daran, von diesem Wissen zu profitieren.

Dazu kommen noch das Transferproblem, das entsteht, wenn Teammitglieder kein gemeinsames Verständnis einer Thematik haben, sowie die Hürde der Informationssuche. Fehlt es an Nähe und Struktur im Team, wird das Finden notwendiger Informationen unnötig erschwert. Dies zeigt, dass Zusammenarbeit sehr stark durch folgende Faktoren beeinflusst ist: die vorgegebenen Strukturen, die Anreizgestaltung sowie die Unternehmenskultur. Alle drei Faktoren haben Einfluss auf die Motivation eines Mitarbeitenden, sich für die Gemeinschaft zu engagieren.

World of Warcraft, ein Musterbeispiel

Um die Mechanismen funktionierender Zusammenarbeit zu veranschaulichen, lohnt sich ein Blick in die Welt der Computerspiele. Das mit weltweit über 11,5 Millionen aktiven Spielern erfolgreichste Online-Multiplayer-Spiel der letzten Jahre ist "World of Warcraft" (WoW). In der fiktiven Welt voller Zwerge, Elfen und Orcs kämpft man sich durch virtuelle Abenteuer – mal allein, doch oft auch in Kleingruppen von ungefähr 25 vernetzten Onlinespielern.

In solchen sogenannten Raids fällt es leichter, Gegner zu bekämpfen und Punkte zu sammeln, die die individuelle Weiterentwicklung ermöglichen. Jeder Spieler verkörpert eine Rolle, die unterschiedliche Fähigkeiten mitbringt und im Team eine fest definierte Funktion besetzt. Um die Aufgaben erfüllen zu können, müssen Raids ausgeglichen besetzt sein. Krieger kämpfen an vorderster Front, Heiler versorgen verletzte Helden und auch Priester, Jäger und viele andere bereichern jede Kampfgruppe mit ihren Talenten.

Formen der Zusammenarbeit in WoW

Innerhalb des Raids und im Kampf sind die Spieler über das Voicechat-Tool "Teamspeak" verbunden, um sich unmittelbar abzusprechen, neue Situationen zu analysieren und Aufgaben zu delegieren. Zusätzlich können die Teilnehmer mit einzelnen Spielern über die Chatfunktion kommunizieren. Damit ist die funktionale Kommunikation gesichert, wenn sich zum Beispiel die Heiler des Teams über die bevorstehenden Herausforderungen absprechen und sich Tipps geben.

Doch die Zusammenarbeit beschränkt sich nicht auf den unmittelbaren Kampf gegen die gemeinsamen Feinde während des Spiels. Die Community rund um World of Warcraft arbeitet auf mannigfaltige Arten zusammen: Gilden – sozusagen Vereine, in denen sich grössere Gruppen von Spielern organisieren – haben eigene, aufwendige Internetseiten.

In Wikis und Foren werden Strategien, Erfahrungsberichte und Tipps ausgetauscht. Über Videos in Film-Datenbanken, in denen erfolgreiche Kämpfe zu Lernzwecken angeschaut werden können, bilden sich die Spieler weiter, bevor sie sich selbst dem Feind stellen. Ein Excel-Datenblatt, über das zum Beispiel die persönliche Effektivität ausgewertet werden kann, wird durch zahlreiche Benutzer weiterentwickelt und mehrere Millionen Mal angeklickt.

Reale Welt contra Spielewelt

Solch eine Kooperation innerhalb einer Community gestaltet sich im Unternehmen zunächst schwierig. Mitarbeiter wollen einen unmittelbaren, individuellen Nutzen aus dem eigenen Engagement ziehen. Sich für ein Gemeinwohl – zum Beispiel eine Wissensdatenbank – zu engagieren, ist eine Tätigkeit, von der sie langfristig profitieren können, kurzfristig aber nur anderen nutzen.

Für das Team stellt sich der Vorteil der Zusammenarbeit in der Regel sofort ein, da Informationen schnell und kontextorientiert gefunden werden können. Der zeitnahe, aktuelle Wissensaustausch im Team hilft der gemeinsamen Zielerreichung. Ist diese deckungsgleich mit den eigenen Zielen, ist auch der individuelle Anreiz, mit dem Team erfolgreich zu sein, gegeben.

Bei World of Warcraft stellt sich der Nutzen für den einzelnen Spieler deutlicher dar: Sein Anreiz zum Teamwork ist es, durch die Bewältigung der einzelnen Level seine Fähigkeiten auszubauen und bessere Ausrüstung zu erhalten. Diese benötigt er für zukünftige Aufgaben oder als Statussymbol. Die Zugehörigkeit zu einer renommierten Gilde verleiht ihm sozialen Status und Anerkennung. Und nicht zuletzt verleihen ihm die gemeinsamen Erfolge bei der Erfüllung komplexer Aufgaben ein Gefühl der Bestätigung.

Die Beteiligung der Benutzer in den Foren, den von einzelnen Spielern gepflegten Websites zu einzelnen Themen, den verfügbaren Schulungsvideos und die wachsende Wissensbasis in Wikis ermöglicht es anderen Spielern, in immer kürzerer Zeit auf ein hohes Niveau zu kommen. Ein Effekt, der in einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte als Collaboration-Curve bezeichnet wird (2009): Die Lernkurve steigt durch die zahlreichen Weiterbildungsangebote, die von der Community bereitgestellt werden sowie durch die intensivere Vernetzung der Spieler. Obendrein erarbeiten sich Spieler neben ihren Leistungen im Spiel auch durch ihre Darstellung und ihren Einsatz in den Wissensquellen ein Renommee, das ihnen Türen zu namhafteren Gilden öffnet.

Was Unternehmen daraus lernen können

Bleibt die Frage, warum Zusammenarbeit und Wissensaustausch beim Hobby funktionieren, in der Geschäftswelt aber nicht. Anders gefragt: Warum geben Unternehmen ihren Mitarbeitern das Gefühl, dass das Teilen von Informationen Zeitverschwendung gegenüber produktiver Arbeit ist? Fakt ist: Der Effekt der Collaboration-Curve trägt grosses Potenzial für Unternehmen, die es schaffen, ihre Mitarbeiter zum Austausch und zur Zusammenarbeit zu motivieren. Wie können Unternehmen von solchen Effekten profitieren, die in der Welt der Spiele funktionieren?

Level 1: Klare Zielsetzung

Die Spieler in World of Warcraft verbindet ein für alle gültiges Ziel: das nächste Level zu erreichen und die eigene Rolle mit besserer Ausrüstung auszustatten. Unternehmen sind daher gut beraten, klar formulierte und kommunizierte Ziele vorzugeben und die individuellen Ziele ihrer Mitarbeiter so zu stecken, dass sie sich nicht widersprechen. Das fördert den gemeinsamen Einsatz.

Level 2: Anreize anhand von Interessen und Zielen

In World of Warcraft arbeiten Teams zusammen, damit das Individuum seine Rolle weiterbringen, seine persönliche Effektivität verbessern, neue Statussymbole bekommen und seine Reputation verbessern kann. Unterscheidet sich dies von den Zielen, die Mitarbeitende im Unternehmen erreichen wollen? Vermutlich nicht. Doch die Wege, wie sie diese Ziele erreichen, sind nicht so offensichtlich wie das zu Fall gebrachte Monster in WoW. Daher gilt es zu analysieren, von was die Mitarbeitenden getrieben werden, wenn sie ihre Arbeit erledigen. Die Zusammenarbeit muss auch im Unternehmen den individuellen Zielen zuträglich sein.

Level 3: Reputation und Statussymbole

Ein engagierter WoW-Spieler erhält klares Feedback: Millionen von Benutzern lesen Einträge im Forum und sprechen ihren Dank aus. Videos ihrer Erfolge werden verbreitet. Die Verantwortung in der Gilde wächst. All das gibt ihnen ein Gefühl der Bestätigung. Diese Mechanismen sollten auch in der Berufswelt genutzt werden, indem man den Nutzern die Möglichkeit gibt, Feedback offen zu kommunizieren und den Beitragenden zu danken. Die aktiven Nutzer können auch explizit genannt und die Zahl oder Qualität der Beiträge visualisiert werden. Dies drückt eine Wertschätzung für die Zusammenarbeit aus und motiviert Mitarbeitende. Die Organisation muss dieses Verhalten auch tatsächlich als wertvoll erachten.

Wer sein Wissen teilt, sollte vom entstehenden Expertenstatus profitieren. Eine offene Visualisierung steigert die Reputation und andere können weiterhin vom geteilten Wissen profitieren. Die Arbeit auf Kollaborationsplattformen darf nicht als Zeitverschwendung betrachtet und Mitarbeiter keinesfalls als "nicht ausgelastet" bezeichnet werden.

Level 4: Gamification

World-of-Warcraft-Spieler suchen die Herausforderung im Spiel. Das Spieldesign belohnt Zusammenarbeit, da es gemeinsam leichter ist, Boni zu erhalten oder Feinde zu besiegen. Spielerische Aspekte können auch im Unternehmen genutzt werden, um das Teamwork und die Beteiligung der einzelnen Mitarbeitenden zu fördern. Sie können zum Beispiel die Lösungssuche für aktuelle Probleme ausschreiben und damit den Ehrgeiz und Wettbewerb fördern. Zusätzlich können spielerische Mittel dazu führen, dass die Vernetzung der Mitarbeitenden zunimmt und diese Kontakte zukünftig für schnellere Problemlösung genutzt werden.

So werden "Helden des Teamworks" gemacht

Alles in allem ist die Welt des Onlinespiels fairer als die wirkliche Geschäftswelt: Der Einsatz für das Team und das Teilen von Wissen wird individuell belohnt. Der Nutzen ist für den einzelnen Spieler klar spürbar. Der Blick auf World of Warcraft zeigt, wie Zusammenarbeit ausserhalb der Geschäftswelt erfolgreich funktioniert. Die Mechanismen können auch im Unternehmen bei der Implementierung von Zusammenarbeitsplattformen genutzt werden, um Mitarbeiter zur Beteiligung und zum Austausch zu motivieren.

Um ein Kollaborationsprojekt auf den höchsten Level der Effektivität zu bekommen, müssen individuelle Anreize mit den Projektzielen im Einklang sein sowie den Mitarbeitern Raum und Zeit zum Wissensaustausch eingeräumt werden. So wachsen schnell wahre Helden des Teamworks im Unternehmen, die ihrer "Business-Gilde" zu immer neuen Abenteuern und immer grösseren Siegen verhelfen.