Interview

"User Experience kann man nicht aufs Web reduzieren"

Uhr | Aktualisiert

Mit der zunehmenden Bedeutung des Webs hat das Benutzungserlebnis an Bedeutung gewonnen. Christopher Müller, CEO von "Die Ergonomen", erklärt im Interview, weshalb sich die User Experience nicht auf die digitale Welt reduzieren lässt.

(Quelle: Die Ergonomen Usability )
(Quelle: Die Ergonomen Usability )

Was bedeutet eigentlich "User Experience" (UX), Herr Müller?

Alles, was man als Benutzer eines Produkts oder Kunde einer Dienstleistung erlebt, bildet einen Eindruck, das Benutzungserlebnis. Dieses überträgt sich schliesslich auf die Wahrnehmung der Firma oder der Marke. Die UX wird durch viele Faktoren, objektive aber vor allem subjektive, gebildet und beeinflusst. Durch die positive UX kann sich der Benutzer mit einem Produkt oder einer Marke identifizieren, wodurch eine grössere, emotionalere Kundenbindung erreicht wird.

Den Ausdruck "UX" hört man oft in Zusammenhang mit dem Web-Auftritt eines Unternehmens. Es geht aber offenbar um mehr als das?

Das Benutzungserlebnis kann man nicht auf das Bedienen einer Website reduzieren. Die Website ist ein prominenter Kontaktpunkt, in der Regel aber nur einer von mehreren, mit denen man als Kunde mit einer Firma oder Marke in Berührung kommt. Dazu kommen meistens Werbung, Filialen, Produkte zum Anfassen oder Dienstleistungen, die man nutzt, bis hin zum Kundendienst oder der Rechnung, die man von einem Anbieter erhält. An allen diesen Kundenkontaktpunkten entsteht zwangsläufig ein Benutzungserlebnis. Das Web ist sicher ein wichtiger Kanal, der sich in den letzten Jahren stark gewandelt hat. Der Innovationsdruck ist hoch und die Erwartungen der Kunden steigen stetig, weil beispielsweise einfach bedienbare mobile Apps heute zum Alltag gehören. 

Jetzt lässt sich aber nicht jedes komplexe Thema so einfach reduzieren, beispielsweise im Finanzbereich. Wie würde denn die UX beispielsweise für Banken-Internetseiten aussehen?

Am Anfang steht die Frage, was der Kunde erwartet, wenn er sich Informationen zu Anlageprodukten im Internet sucht. Wie weit will sich der Kunde selber befähigen und ab wann erwartet er Service von der Bank, konkret eine persönliche Beratung? Der wahre Nutzen für den Kunden entsteht sowieso meist erst bei der „Dienst-Leistung“, das heisst im Beratungsgespräch oder durch die Gewährung einer Hypothek etc. Zudem stellten wir in zahlreichen Usability-Tests, die wir für Banken und Versicherungen durchgeführt haben, fest, dass der Kunde nur einen Teil der Informationen wirklich versteht. Es hat einfach zu viel Fachsprache und es wird zu viel Fachwissen vorausgesetzt.  In der Verständlichkeit der Inhalte liegt noch viel Potenzial. Und man könnte den Umfang der Informationen im Web stark reduzieren und damit erst noch mehr Wirkung erzielen. Um die UX bei Bankenwebsites zu verbessern braucht es also Mut zur Lücke und mehr Durchgängigkeit zwischen Information, Webangebot, Online-Banking und Beratung.

Man hat ja heute den Eindruck, dass die Leute online alles selber machen, wenn man es nur genug einfach macht?

Genau. Aber über diese Phase sind wir eigentlich bereits hinweg. Wenn wir zurückschauen, ging es in den 90er-Jahren darum, dass eine Software umso besser war, je mehr Funktionen sie bereitstellte. Da lag der Fokus wirklich auf dem Nutzen und dem Funktionsumfang, neudeutsch auf der Utility. Dann kamen Online-Banking und E-Commerce auf und plötzlich rückte die Bedienbarkeit, die Usability in den Fokus. Jetzt ging es nicht mehr darum, was alles möglich ist, sondern wie gut, wie schnell und wie einfach sich eine Aufgabe erledigen lässt. Und heute gilt die Maxime "reduce to the max", sowohl in der Software-Welt, als auch in der Web-Kommunikation oder im E-Commerce. Wir haben die Funktionalitäten, wir haben die Bedienbarkeit. Nun geht es darum, es gefühlt noch einfacher zu machen. Die UX hat stark mit der emotionalen Ebene zu tun, mit Freude, positiver Überraschung und Identifikation mit einer Marke.

Wie weit werden denn solche umfassenden Ansätze bereits umgesetzt?

Da tut sich sehr viel. Aber es gibt immer Potential für noch mehr Wirkung: Man setzt auf Apps, mobiles Internet, Informationen sind überall und jederzeit verfügbar. Aber die Situation ist noch nicht befriedigend. Was jetzt kommt, davon bin ich überzeugt, ist der Schritt, dass man von dieser Informationsflut wegkommt und sich überlegt, was dem Kunden wirklich etwas bringt und wo man einen Mehrwert schaffen kann. Bei den Banken beispielsweise liegt dieser Mehrwert nicht zuletzt im persönlichen Bezug. Das kann für den Webauftritt bedeuten, dass man dort zuerst mal eine Zielbestätigung bietet, die passende Bank zu sein. Das funktioniert aber weniger über Produktbeschreibungen, sondern vielmehr auf der emotionalen Ebene, über das "sich aufgehoben fühlen als Kunde". Man kann sich zwar als Kunde via Website bis zu einem gewissen Grad selbst befähigen, und Online-Banking ist ein Segen. Trotzdem will man für gewisse Ziele mit echten Menschen reden, will das Erlebnis auch offline weitergeführt haben. Hier wird die Wichtigkeit der Kundenerlebniskette deutlich.

Eine gute UX führt also die verschiedenen Kanäle eines Anbieters wieder zusammen?

Eher, je durchgängiger die UX über die verschiedenen Kontaktpunkte erlebbar gemacht wird, je geschickter das Benutzungserlebnis gestaltet ist, desto konsistenter ist der Eindruck beim Kunden. Und je einfacher, verständlicher, benutzungsfreundlicher und angenehmer diese Kundenkontaktpunkte insgesamt wahrgenommen werden, desto besser ist die UX.  Die Herausforderung ist der Abgleich zwischen Innensicht und Aussensicht. Was versteht der Kunde, was erlebt er? Um eine gute UX zu erzielen ist es unabdingbar, dass man aus der Kundensicht denkt. Das braucht Einfühlungsvermögen, Erfahrung und auch dass man die User und Kunden während der Entwicklung konsequent einbezieht. So hat man die Chance, näher an das heranzukommen, was der Kunde auch als gutes Erlebnis empfindet.

Welchen Einfluss hat die UX auf den Aufwand in einem Softwareprojekt?

Auf die UX Rücksicht nehmen, verteuert ein Projekt definitiv nicht, im Gegenteil. Ein Projekt wird effizienter, wenn alle relevanten Stakeholder wie Kunden, Benutzer, Entwickler, Business, Marketing und so weiter konsequent miteinbezogen werden. Dieses benutzerzentrierte Vorgehen oder User-centered Design verkürzt erfahrungsgemäss die Projektdauer und erhöht die Kundenbindung dank zufriedener Kunden. Der Grund ist, dass man sich von Anfang an darauf konzentriert, für wen man entwickelt und was wirklich wichtig ist. Dadurch, dass man die Innensicht stetig mit der Aussensicht oder Kundenperspektive abgleicht, kann man viel schneller entscheiden, in welche Richtung ein Projekt gehen soll, man hat Inputs, was funktioniert und verstanden wird und was den echten Anforderungen der Kunden entspricht. Dadurch wird das Projekt planbarer und Risiken werden frühzeitig erkannt und minimiert.  Kurz: Die Sicht der zukünftigen Nutzer und Kunden in die Entwicklung einzubeziehen, spart Zeit, Geld und Nerven.

Wohin geht die künftige Entwicklung?

Es geht um die Reduktion aufs Wesentliche. Wir haben immer mehr Möglichkeiten, Aufgaben effizient und schnell zuhause im Wohnzimmer zu erledigen. Dieser Trend wird sich fortsetzen. In Zukunft, davon bin ich überzeugt, werden Self-Care-Plattformen weiter ausgebaut. Auf der anderen Seite wird in gewissen Bereichen der Wert echter Kunden-Beziehungen in der Offline-Welt wieder erkannt. Sie wird in die Überlegungen der UX einbezogen. Banken beispielsweise können den Wert des Beraters wieder stärker hervorheben. Er kann mir erklären, was es für eine Hypothek braucht, statt dass ich mir online eine bis zwei Stunden Zeit nehmen muss. Als Kunde diese Wertschätzung zu erhalten wird zum neuen alten USP.

Langsam begreifen und verstehen wir, dass der User nicht alles wissen will, nicht alles aufnehmen kann, gar keine Zeit und Lust hat, um ständig Internet-Inhalte zu lesen, und dass er auch nicht alles selber machen will. Man muss sich wieder bewusst werden, dass der persönliche Kontakt enorm wichtig ist, auch für die Wahrnehmung einer Marke oder Firma. Auf der emotionalen Ebene besteht Nachholbedarf. Besser zu verkaufen, stärker zu wirken, das ist bereits und wird noch stärker ein Schwerpunkt unserer Arbeit.

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