Interview mit Jean-Paul Tschumi von Elca

"Vietnam bietet einige Vorteile"

Uhr
von Andreas Heer

Seit 15 Jahren betreibt Elca einen Teil der Softwareentwicklung in Vietnam. Seit Anfang dabei ist Jean-Paul Tschumi, der General Director der Offshore-Niederlassung. Er äussert sich zu den Erfolgsfaktoren und Hürden bei der Zusammenarbeit über die Distanz.

Jean-Paul Tschumi leitet die Elca-Niederlassung in Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam (Quelle: Elca)
Jean-Paul Tschumi leitet die Elca-Niederlassung in Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam (Quelle: Elca)

Was sind Ihre drei wichtigsten Erkenntnisse aus 15 Jahren Offshoring?

Erstens haben wir eine aktive Begleitung der Mitarbeiter auf allen Stufen inklusive der Geschäftsleitung aufgebaut – vor allem, um das gegenseitige Verständnis und damit auch die Qualität der Arbeitsergebnisse zu steigern. Zweitens braucht man die richtigen Leute und Prozesse. Wir haben die Erfahrung und wissen, worauf wir bei der Mitarbeiterauswahl achten müssen. Drittens braucht es eine kritische Masse bei der Projektgrösse. Zum einen, damit sich das Offshoring auszahlt und profitabel ist, zum anderen, um den Mitarbeitern eine spannende Tätigkeit zu bieten. Daher ist eine langfristige, strategische Weiterentwicklung der Offshore-Projekte elementar.

Was sind die Erfolgsfaktoren beim Offshoring?

Entscheidend für den Erfolg sind ein globales Verständnis der Projekt- und Qualitätsprozesse über alle Länder hinweg und deren Kontrolle. Elca Vietnam hat nach 2007 und 2010 letztes Jahr erneut erfolgreich das Maturitätslevel 3 des Capability Maturity Model Integration, kurz CMMI, erhalten. Dies belegt, dass wir international anerkannte und bewährte Referenzmodelle erfolgreich anwenden, wobei die Prozessqualität eine zentrale Rolle spielt. Äussert wichtig ist zudem das lokale Team-Management, das komplett im jeweiligen Land erfolgen muss. Wir in Vietnam managen unser Team vollkommen selbstständig und haben ein eigenes Coaching-Programm entwickelt. Als General Director war ich der erste Mitarbeiter von Elca Vietnam und bin dafür ausgewandert. Damit bin ich seit dem ersten Tag vor Ort. Heute sind wir ein Team von 120 Mitarbeitern. Diese Entwicklung hat uns viele Erfahrungen eingebracht. Ich glaube, ich darf inzwischen sagen, dass ich auch die vietnamesische Kultur sehr gut kenne und somit das Beste aus zwei Welten zusammenführen kann. Auch mein Team pflegt einen engen persönlichen Austausch mit den Schweizer Kollegen. Und last but not least sind agile Projektmethoden für den Erfolg sehr wichtig. Sie ermöglichen uns ein ergebnisorientiertes Arbeiten, das den Wünschen der Kunden entspricht und jederzeit von ihnen eingesehen werden kann. Und das alles zu einem Fixpreisangebot. Dies ist einer der grössten Alleinstellungsmerkmale von Elca.

Eignet sich Offshoring für alle Softwareprojekte, oder müssen hier bestimmte Bedingungen erfüllt sein?

Grundsätzlich lässt sich Offshoring überall einsetzen, wenn die benötigten Kompetenzen im Offshore-Team vorhanden sind und der Auftraggeber mit dem Offshoring-Modell einverstanden ist. Gemäss unserer Erfahrung gibt es aber einige Bereiche, wo Offshoring weniger häufig zum Einsatz kommt. Der Klassiker sind sensitive Branchen im Hinblick auf Vertraulichkeit und Datenschutz wie Banken oder der öffentliche Sektor, die darauf achten, dass gewisse Daten die Landesgrenzen nicht verlassen. Für Projekte mit vielen kleinen Zyklen könnte ein Offshoring-Modell ineffizient sein. Ansonsten bietet unser Offshoring-Modell bei den allermeisten Projekten die Möglichkeit, schneller und kostengünstiger zu arbeiten.

Worauf muss bei Offshoring geachtet werden? Wo liegen die Hürden und mögliche Schwierigkeiten? Und was unternimmt Elca, um diese Hürden zu überwinden?

Zum einen muss das recht komplexe Modell des Offshoring den Kunden transparent erklärt werden. Wir haben inzwischen einen Projektmodus erreicht, der sehr gut funktioniert, und geben unsere Erfahrungen und Learnings jeweils auch an unsere Kunden weiter. Auch können wir konkret aufzeigen, welche Vorteile ein Kunde mit dem Offshore-Szenario im Vergleich zu einer klassischen Projektkonstellation hat. Zum anderen ist eine regelmässige Kommunikation zwischen dem Schweizer und dem Offshore-Team entscheidend. Die Distanz ebenso wie kulturelle Unterschiede führen zu einer kontinuierlichen Divergenz der Teams. Daher braucht es tägliche Meetings, wöchentliche Reports, Videokonferenzen und persönliche Treffen, um diese Divergenz abzubauen. Elca investiert daher viel in Reisen und die Abstimmung – auch auf Managementebene.

Weshalb hat Elca ausgerechnet Vietnam gewählt und nicht zum Beispiel Indien?

Da viele Firmen nach Indien gehen und es dort viele Outsourcing-Firmen gibt, ist in Indien die Konkurrenz viel grösser – und dadurch auch die Wechselrate der Mitarbeiter. Zudem bietet Vietnam einige Vorteile: eine zentrale Lage in Südostasien, ein vorwiegend stabiles Umfeld sowie ein gutes Hochschul- und Bildungssystem, das sich gerade stark entwickelt. Darauf sind wir angewiesen, schliesslich benötigen wir gut ausgebildete Fachkräfte. Zudem verstärkt sich die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Vietnam auch im Bildungsbereich. Erst im Juni dieses Jahres war eine offizielle Schweizer Wirtschaftsdelegation mit Vertretern der führenden Hochschulen hier zu Besuch. Auch zeichnen sich die Vietnamesen durch eine hohe Lernbereitschaft aus.

Wie gross ist der Anteil der in Vietnam erledigten Arbeiten am gesamten Auftragsvolumen von Elca?

Das Verhältnis der Offshore-Projekte bei Elca beträgt im Durchschnitt ungefähr 20 Prozent. Dies entspricht auch dem Mitarbeiterverhältnis mit insgesamt mehr als 600 Mitarbeitern bei Elca, von denen ein Fünftel in Vietnam angestellt ist.